Die Emanzipation der Grete Samsa
Ein tragisch-schönes Theater, das die Wahrnehmung schärft.
Wie sich Gregor Samsa in Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" (1912) vom Arbeitstier zum Insekt entwickelt, ist hinlänglich bekannt. Dass Gregor in dem Text eine Schwester hat, weit weniger.
Wie sich Grete Samsa gefühlt haben muss? Diese Frage, um die sich die Uraufführung von "Verwandlung" in Regie und Fassung der britischen Autorin Sam Chittenden am Samstag in Linz rankte, ist als bislang ausgeklammert zu betrachten. Grete gilt als "nutzloses Mädchen", dann "heiratsfähige Frau", die den Bruder fallen ließ.
Gefangene im eigenen Haus
Die Linzer Schauspielerin Karin Schmid, die das Stück ins Linzer Lentos zur Schau "Female Sensibility" brachte, ließ Grete jedoch als mehrdimensionales Wesen mit Bedürfnissen auferstehen. Gretes übergeordnete, "kafkaeske" Mächte sind unfähige Eltern, der Horror des Bruders, die unkontrollierbare Entwicklung zur Frau, zudem auch Missbrauch. Mit Bewegungen, die sich einbrennen, und idealer, selten zu leiser Stimmarbeit zeigt Schmid die mehrstufige Emanzipation Gretes, die sogar vom "literarischen Vater" Kafka fordert, besser wahrgenommen zu werden.
Der sachlichen Gründlichkeit, mit der Kafka im Original Abgründiges beschreibt, stellen zudem Katharina Bigus (Co-Regie), Annemarie Dämon (Bühne) wie Künstler die.fisch.die (Technik) eine sensitive Bühnensprache entgegen. Tomás Novac an der Violine wird zum essenziellen Erzählpartner. (nb)
Fazit: Tragisch-schönes Theater, das die Wahrnehmung schärft. Weiters: 6. 11., 15 Uhr, Lentos Linz, lentos.at