Ein überzeugender Untergang
"Titanic": Zwei Jahre nach dem Linzer Landestheater wagt sich die Bühne Baden bei Wien an den Musicalstoff über das am 15. April 1912 gesunkene Schiff
Die Inspiration holte sich Michael Lakner, künstlerischer Leiter der Bühne Baden, bei einem Besuch im Linzer Musiktheater im Februar 2022. Gerade einmal zwei Jahre später stellte das vielseitige Mehrspartenhaus in der baulich immer noch von der k.u.k.-Monarchie inspirierten Stadt im Wienerwald selbst das Musical "Titanic" (Buch Peter Stone, Musik Maury Yeston) auf die Bühne. Ein direkter Vergleich mit der viel umjubelten Produktion in Linz wäre schon allein ob der technischen Möglichkeiten ungerecht. Was unter dem Strich der sehr ansprechenden Premiere am Samstagabend bleibt, ist die Tatsache, dass all die Emotionen, die um die Geschichte von Gigantismus, fehlender Demut, gesellschaftlichen Abgründen und letztlich den Untergang des "unsinkbaren" Schiffes mit mehr als 1500 Todesopfern entstehen, auch mit einfachen Mitteln generiert werden können.
Besonders gelungen ist die musikalische Umsetzung. Hier brauchen auch keine technischen Abstriche gemacht werden, hier kann man aus dem Vollen schöpfen und Victor Petrov schafft es über die rund dreistündige Produktion, dem Orchester der Bühne Baden jederzeit einen stimmigen Leitfaden zum wohl bekannten Handlungsstrang zu vermitteln. Gleiches gilt für den stimmkräftigen Chor der Bühne, der vor allem den Massenszenen mit rund 50 Akteuren auf der Bühne Glanz, Opulenz und Gänsehaut verleiht.
Leonard Prinsloo inszeniert und choreografiert dieses erfolgreiche, aber selten gespielte Musical stringent, großteils frei von Pathos und verzichtet dabei auf allerlei Schnörkel. Hier und da hätte der eine oder andere Hinweis auf die äußeren Umstände - klirrende Kälte, Todesangst und die daraus entstehenden surrealen Handlungsweisen - gut getan.
Bühnenbildner Carlos Santos hat die Gegebenheiten der Bühne ohne Dreh- und Senkelemente, mit konventionellen Mitteln gemeistert. Vieles hat sich mühelos aus der Handlung erklären lassen. Die zunehmende Schlagseite des sinkenden Schiffes wurde nur einmal angedeutet - mit einem Servierwagerl, das wie von Geisterhand gezogen die Bühne kreuzt. Ein, zwei weitere Ideen dazu hätte man gerne gesehen.
Natascha Maraval meistert die Kostümhürde für die mehr als 50 Darsteller scheinbar mühelos. Die Ausstattung trägt sehr zum nachvollziehbaren Verständnis der Geschehnisse bei. Die Schwimmwesten hat man sich beim Kostümfundus des Linzer Landestheaters geliehen.
Das Darsteller-Ensemble gefällt en gros. Martin Berger ist ein stimmlich wie schauspielerisch starker Thomas Andrews (Konstrukteur und Erbauer der Titanic). Sein mitreißendes Plädoyer, sein Aufladen der Hauptschuld am Untergang kriecht unter die Haut. Reinwald Kranner gibt einen egozentrischen Bruce Ismay, den Chef der White Star Line, die das am 15. April 1912 im Atlantik gesunkene Schiff bauen ließ. Vielseitig in jeder seiner drei Rollen (Funker, John Thayer und Bandleader) agiert Sebastian Brummer. Gleiches gilt - vor allem auch stimmlich - für Leon De Graaf (unter anderem "Ausguck"). Überaus stimmig agieren Luzia Nistler und der mit Witz und Charme ausgestattete Darius Merstein-MacLeod als Ida und Isidor Straus. Nistler sang diese Rolle übrigens auch in Linz. Missy May ist als Kate McGowan und Charlotte Drake Cardoza vor allem spielerisch hinreißend.
Fazit: So einfach geht großes Musical.
Infos und weitere Termine: www.buehnebaden.at