Sönke Wortmann: "Mein Publikum ist mir ehrlich gesagt wichtiger ist als jeder Kritiker"
"Der Spitzname" im Kino: Zum dritten und für ihn letzten Mal schickt Sönke Wortmann den Böttcher-Clan aufs „Schlachtfeld“ eines Familientreffens
Oft genügt ein Reizwort: Im Kinofilm „Der Spitzname“ lädt Thomas Böttcher (Florian David Fitz) seinen Clan in einen Nobelskiort ein, um dort seine Hochzeit zu feiern. Dass er Tochter Paula „Paulchen“ nennt, tritt sogleich eine Lawine an Konflikten los. Wie bei „Der Vorname“ (2018) und „Der Nachname“ (2022) inszenierte Sönke Wortmann.
OÖN: Das Kino ist stets wieder mit Kritik konfrontiert, wenn es um Fortsetzungen und Vorgeschichten geht. Es gibt den Anspruch, das Film nichts wiederkäuen sollte. Was würden Sie
jemandem sagen, der Ihre „Namen“- Trilogie deshalb kritisiert?
Sönke Wortmann: Ich muss ehrlich sagen, dass mir mein Publikum wichtiger ist als jeder Kritiker. Aber wenn die Trilogie so bewertet werden würde, auch vom Publikum, würde ich sagen: Jeder Film der Trilogie ist eine Weiterentwicklung. Und wir erzählen nie dieselbe Geschichte. „Der Vorname“ war ein Remake von „Le Prenom“ (Frankreich, 2012), aber danach haben wir mit der Weiterentwicklung begonnen. Wir hatten das Gefühl, dass noch Geschichten in dieser Familie liegen, die erzählt werden könnten. Aber ja: Es gibt bessere und schlechtere Fortsetzungen. Für mich ist „Der Pate 2“ aber genauso stark wie „Der Pate 1“. Ich kann nur hoffen, dass wir in der Qualität nicht abfallen. Was ich so gehört habe, ist dem auch nicht so.
Sie sind seit 40 Jahren Regisseur, und in der Kunst schaut man noch einmal genauer auf die menschliche Natur. Hat sie sich Ihnen komplett erschlossen oder tauchen noch neue Facetten auf?
Solche gibt es bestimmt noch. Aber ich habe natürlich dazugelernt. Ich weiß jetzt im hohen Alter natürlich mehr über die Menschen und über mich selbst als vor 40 Jahren. Aber Überraschungen gibt es noch immer, meistens sind sie positiv. Was das Thema Versöhnung in Familien betrifft, bin ich in meiner Umgebung positiv überrascht worden: Manche Konflikte, die gar nicht hätten entstehen müssen, konnten doch über Gespräche gelöst werden – auch von Menschen, von denen ich es nie erwartet hätte.
Sie haben einen Schneefilm gedreht. Ist es nicht ein großes Risiko, in Zeiten des Klimawandels so ein Filmprojekt anzugehen?
Ja, ohne Schnee wäre es nicht gegangen und wir hatten ein bisschen Glück im Unglück. Der Klimawandel war in Osttirol, wo wir gedreht haben, auch deutlich zu sehen. Aber die Pisten, auf denen wir unterwegs waren, waren hoch genug und schneesicher. Wir hatten schon bei der Motivauswahl bedacht, dass die Pisten auf mindestens 1500 Metern Höhe liegen mussten. Viele Drehorte kamen da schon nicht in Frage. Es hätte bei uns zwar mehr Schnee geben können, aber wir sind zufrieden.
Erstes „Schlachtfeld“ der Trilogie war das Wohnzimmer („Der Vorname“). Jetzt geht es auf die Piste. Wie wichtig war es Ihnen, dass es noch Räume für ein Kammerspiel gibt?
Bei diesem Film passieren – wie Sie gesagt haben – andere Dinge, die Figuren gehen Skifahren, verlassen das Hotel („Gradonna“, Kals-Matrei). Da war es gerade wichtig, auf das Kammerspiel zurückzukommen. Und ein Viertel des Films spielt in einer Gondel – mehr Kammerspiel geht gar nicht, das ist sozusagen die Essenz. Auf engstem Raum gibt es kein Entrinnen.
Die Kinder von Elisabeth (Caroline Peters) und Stephan (Christoph Maria Herbst) treten endlich auf: Cajus (Jona Volkmann) und Antigone (Kya-Celina Barucki). War das frischer Wind?
Genau, es war ein frischer Wind. Es war eine Idee unseres Autors Claudius Pläging. Bei mir ist es so, dass ich nicht gerne vorher groß erzählt haben möchte, was bei einem Stoff auf mich zukommt. Ich lese gerne ein Drehbuch und entscheide dann intuitiv, ob ich es realisieren möchte oder nicht. Und dann kamen schon auf Seite drei oder vier des Drehbuchs auf einmal Cajus und Antigone – zwei Charaktere, über die vorher allein geredet wurde, die man aber nie gesehen hat. Diese Figuren sind auch sehr wichtig, weil es bestimmte Themen gibt, die fast nur diese junge Generation aufs Tapet (u. a. Gendern und Klimakrise, Anm.) bringen kann, weil sie intensiver davon betroffen und teils damit aufgewachsen ist.
Wie ging es den Jungen beim Einfügen in das Star-Ensemble?
Wären Sie beim Dreh dabei gewesen, hätten Sie gesehen, dass sie so völlig angstfrei agiert haben. Da gab es keine große Nervosität. Die haben auf Augenhöhe gespielt. Das war schön zu sehen.
- Zur Person: Sönke Wortmann (65) zählt zu den wichtigsten deutschen Regisseuren. Er ist bekannt für „Der bewegte Mann“ (1994) oder „Deutschland. Ein Sommermärchen“ (2006). Die Filme „Der Vorname“ (Darf man einen Buben Adolf nennen?).
- Zur Trilogie: „Der Nachname“ (Darf Dorothea Adoptivsohn Rene heiraten und statt Böttcher König heißen?) und „Der Spitzname“ sind für ihn eine abgeschlossene Trilogie, das soll für ihn auch so bleiben.
- „Der Spitzname“ ist wie erwartet und erhofft: lustig, bissig, flott und voll herrlicher Übersprungs-handlungen. Manches bleibt ob der Themenfülle nur angerissen, aber das Amüsement stimmt.
D 2024, 90 Min., ab 19. Dezember im Kino - OÖN Bewertung: