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Krumau: Geschichten hinter der Geschichte

Von Josef Achleitner, 05. Februar 2011, 00:04 Uhr
Krumau: Geschichten hinter der Geschichte
Winterstimmung in der Renaissancestadt an der Moldau: Zum näheren Kennenlernen ist die kalte Jahreszeit besser als die Sommersaison. Bild: Archiv Cesky Krumlov

Die Kleinstadt Cesky Krumlov (Böhmisch-Krumau) in Südböhmen ist nach Prag der zweitgrößte touristische Anziehungspunkt Tschechiens. Möglich wurde das durch das unglaubliche Flair der Renaissancestadt und durch die Leidenschaft örtlicher Pioniere.

Eine Million Besucher zählt die 14.000-Einwohnerstadt im Jahr. In den Sommermonaten erinnern der Lärm und das Geschiebe der Tausenden Touristen an ähnliche Szenen in der Salzburger Getreidegasse. Die Besuchermassen wälzen sich durch das rote Tor hinauf zu Schloss und Burg Krumau, der zweitgrößten Burganlage nach dem Prager Hradschin. Dort herrschten einst die Rosenberger als Nachfolger der Wittigonen, dann kurz und mit schlechter Nachrede die Habsburger unter Rudolf II., in der Folge die Eggenberger, geadelte steirische Bürger, die es zu Geld und schließlich sogar zum Herzogtitel gebracht haben. Von 1719 bis 1940 war die Burg im Besitz der Schwarzenberger, die zuerst vom NS-Regime und dann von der kommunistischen Führung um den Besitz gebracht wurden.

Bis zum Platz der Liebe

Von der Burg drängt der Besucherstrom zur Shoppingmeile Latran und über die hölzerne Baderbrücke in die malerische, stellenweise unwirklich anmutende Welt der Gotik- und Renaissancehäuser, deren Erscheinungsbild seit 1850 größtenteils unverändert geblieben ist. Man geht auf unebenem Kopfsteinpflaster, solides Schuhwerk ist auf dem Weg zum Marktplatz gefragt. Der hieß in der Zeit des NS-Protektorats Hitler-Platz, dann Gottwaldplatz nach dem Kommunistenchef und ab der Wende Platz der Eintracht. Im Mai wird der von Renaissancebauten umsäumte Platz umgetauft: zum Platz der Liebe.

Wer mehr vom Zauber der Stadt spüren will, sollte sich etwas Zeit nehmen und außerhalb der Hauptsaison nach Krumau kommen. Besonders im Winter wirkt die Stadt, als wäre eine Filmkulisse Wírklichkeit geworden. Wenn vor allem an Wochentagen wenige Touristen auf den Straßen sind, beginnen die Häuser zu sprechen. Der Blick kann länger auf den Fassaden bleiben, deren Fresken, Sgraffiti oder Mauerzeichen Geschichten aus der Geschichte der einst so herrschaftlichen Stadt erzählen. Das Hotel Ruze etwa, das die fünfblättrige Rose der Rosenberger als Zeichen trägt, war doch Wilhelm von Rosenberg der Initator des einstigen Jesuitenkollegs. Der Welschenhof zeigt den Rosenbergschen Hornbläser Schlampers. Und das Pfarrhaus „Kaplanka“ vor der St. Veitskirche hat als Schutz vor Beschädigung durch vorbeifahrende Fahrzeuge einen Fels in Form einer gespaltenen Kugel, den der Volksmund treffend „Arsch von Krumau“ nennt.

Die St. Veitskirche, ein eindrucksvoller gotischer Bau, fasziniert durch einen „Sound“, der einem erst nach wenigen Minuten Stille bewusst wird. In der Kirche ist es nie still, auch wenn niemand spricht: Das Rauschen des über ein Wehr stürzenden Moldauflusses ist ständige Begleitmusik.

Aktuelle Bedeutung hat die Kirche wenig. Wie (mit Ausnahme Mährens) überall in der Tschechien spielt Religion keine große Rolle mehr. Nur etwa 30 Prozent der Tschechen sind Christen. Der Rest hat sich, wie der Historiker und ironisch-pointiert plaudernde Krumau-Führer Stanislav Jungwirth sagt, von den vertikalen Werten (himmelwärts) ab und den horizontalen Werten zugewandt. Die da wären: Geld, Bier und Eishockey. Jungwirths Name kann auch als Zeichen für das neue Selbstverständnis der heutigen Krumauer gesehen werden. Er ist Tscheche mit polnischem Vornamen und deutschem Nachnamen. Offenheit nach außen war in vergangenen Jahrhunderten das Erfolgsrezept des hochherrschaftlichen Krumau. „Wir brauchen den offenen Raum“, sagt Ivan Slavik, der Direktor des Regionalmuseums von Cesky Krumlov. In den besten Zeiten reichte das politische und wirtschaftliche Netzwerk bis nach Prag, bis in die alte bayerische Hauptstadt Landshut und bis nach Wien. Mit dem Eisernen Vorhang kam der völlige Stillstand. Unter Slaviks Führung ist im Regionalmuseum die Geschichte von Krumau (man kann auch Krummau schreiben) und der umgebenden Region dokumentiert worden. Von der Urzeit bis zum großen Schnitt 1945 reicht der erste Teil. Der zweite Teil behandelt die in der tschechischen Öffentlichkeit noch immer vielfach als Tabu angesehene Aussiedlung der Sudetendeutschen oder Böhmerwäldler, wie sie sich hier nannten, im Gefolge von Nazi-Terror und sozialer Unterdrückung.

In der Ausstellung wird das Ende der Jahrhunderte dauernden deutschen Besiedlung Böhmens dort, wo es eine solche war, auch Vertreibung genannt. Insgesamt ist das Thema auch hier ein schweres, wie Führer Jungwirth sagt. Ähnlich wie die Österreicher bis Ende der 80er- Jahre den Anteil des Landes an den Schrecken von Weltkrieg und Holocaust kaum ansprechen wollten, wehren sich viele Tschechen gegen die Debatte.

Slavik, dessen Deutsch wie das eines Niederbayern oder Österreichers klingt, kann neben der attraktiven Ausstellung noch mit einem Juwel aufwarten: mit dem Keramikmodell der Stadt, nach dem Stand des Jahres 1800. Faszinierend zu sehen, wie wenig sich an der Grundstruktur geändert hat, obwohl anderswo in der Gründerzeit im späten 19. Jahrhundert ganze Stadtteile abgerissen und im klassizistischen Stil neu aufgebaut wurden.

Neues Burgmuseum

2011 ist in Krumau das Rosenberger-Jahr. Vor 400 Jahren ist mit Petr Vok das Adelsgeschlecht ausgestorben. Schlossdirektor Pavel Slavko kann im Jubiläumsjahr mit einem neuen, ganzjährig geöffneten Museum in der kleinen Burg aufwarten. Darin werden in authentischen Räumen Lebenswelt und Schätze der Krumauer Adelsgeschlechter von den Anfängen bis ins beginnende 20. Jahrhundert gezeigt.

Es wäre nicht Krumau, wäre nicht auch hier eine dunkelgraue Geschichte dabei: jene vom Heiligen Reparatus, der Stadtpatron werden sollte, dessen im 18. Jahrhundert aus Rom eingeführten Reliquienknochen allerdings von mehreren in den römischen Katakomben beerdigten Menschen stammen. Im 20. Jahrhundert erinnerte man sich an eine Heilige Reparata. Erst jetzt holten die Historiker die Gebeine aus dem Minoritenkloster. Bekleidet und mit silbernen Fäden und Glasperlen geschmückt wie einst liegt der wieder zum Mann gewordene Heilige nun in einem Glasschrank im Burgmuseum. Er wird seinem Namen gerecht und ist für Direktor Slavko und seine Kollegen auf jeden Fall der „Schutzpatron der Denkmalpflege“.

Ein Sommer voll Musik
Die kleine Stadt an der Moldau zieht mit ihren Musik- und Theaterfestivals, bei denen nationale und internationale Stars auftreten, jährlich so viel Publikum an, dass die Karten knapp werden. Höhepunkte unter anderen: das Kammermusikfestival (24. Juni bis 3. Juli) mit der Barocknacht, einem Schlossfest im Stil der Zeit; das Festival der alten Musik (8. bis 17. Juli) und die größte tschechische Veranstaltung dieser Art, das Internationale Musikfestival Cesky Krumlov. (22. Juli bis 28. August). Attraktiv fürs Publikum sind auch die Opernaufführungen im Freilichttheater mit drehbarem Zuschauerraum.

Kunst in der Brauerei
Mit dem Weltruhm des 1918 jung verstorbenen Malers Egon Schiele sind auch dessen Krumau-Motive zum globalen Begriff geworden. Bilder wie „Die tote Stadt“ oder „Stadt am blauen Fluss“ sind von seinen Aufenthalten in der Geburtsstadt seiner Mutter inspiriert. Zeichnungen, Aquarelle, eine Lebensdokumentation, die Totenmaske und die einzige Plastik des Künstlers sind im Egon Schiele Art Centrum in der ehemaligen bürgerlichen Brauerei zu sehen.

Dokumentierte Zeit
Das Museum Fotoatelier Seidel erinnert an den Fotopionier Josef Seidel. Er war 1888 nach Krumau gekommen und hat über die Jahrzehnte mit Porträtaufnahmen der Krumauer Bevölkerung und fantastischen Landschaftsbildern seine Zeit dokumentiert. Mehr als 120.000 Aufnahmen sind erhalten und werden digitalisiert. Atelier, Wohnung und Arbeitsräume sind originalgetreu renoviert worden.

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