Auf Beobachtungsposten
Barbara Anderl begleitet auf Island Walbeobachtungstouren. Die Mühlviertlerin hat sich damit nicht nur einen Traum erfüllt, sie hat auch gelernt, die Wale aufgrund ihrer Fontänen zu unterscheiden.
Wenn ein Wal an dir vorbeigleitet und dich anschaut, hast du das Gefühl, er liest dich, und dass er dich beobachtet und nicht du ihn." Die Kraft, mit der sich ein derartiger 40-Tonnen-Koloss im Wasser bewegt, die Sanftheit, die er auszustrahlen vermag, und nicht zuletzt die Fähigkeit, selbst erwachsene Männer in Staunen zu versetzen und kindliche Freude hervorzurufen – für Barbara Anderl sind es Momente wie diese, die ganz tief gehen, "spirituelle Momente", wie es die 38-Jährige nennt: "Da liebe ich meinen Beruf."
Ist das Wetter nicht zu stürmisch und der Wellengang nicht zu hoch, startet um 8 Uhr morgens die erste von drei Touren in die Faxaflói-Bucht vor der Inselhauptstadt Reykjavik. In die große und durchschnittlich 35 Meter tiefe Bucht kommen die Wale zum Fressen und Rasten. Barbara Anderls Aufgabe an Bord ist es, die Passagiere in die Sicherheitsvorschriften einzuführen und dann die "Watch-Position" einzunehmen. Der höchste Punkt auf dem Schiff, das ist ihr Platz. Er eignet sich am besten, um die Meeressäuger aufzuspüren. Ihr geschultes Auge liest die Wasseroberfläche, erkennt, welche Veränderungen auf der Wasseroberfläche nicht vom Wind verursacht werden, sondern von einem Tier, erkennt an der Größe und Art der Fontänen, welche Walart im Anmarsch ist. "Bei Buckelwalen ist der sogenannte Blow drei Meter hoch, beim Finnwal ist der Strahl konzentrierter, bei Minkwalen hingegen ganz klein, weshalb sie auch Zwergwale heißen", erklärt die Mühlviertlerin, die in Vorderweißenbach aufgewachsen ist, in Wien "Internationale Entwicklung" studiert hat und sich im zweiten Bildungsweg zur Grafikdesignerin hat ausbilden lassen.
Seit fünf Jahren unterwegs
Seit fünf Jahren ist sie "on the road", wie sie sagt. Obwohl sie nur einen Monat oder zwei bleiben wollte, verbrachte sie vier Jahre auf den Azoren, entdeckte dort, dass Tierschutz ihr eine Herzensangelegenheit ist, besonders in Verbindung mit dem Ozean. "Auf den Azoren schaust du vom Garten aufs Meer und siehst die Wale. Ich wollte einfach näher bei den Tieren sein." In England ließ sie sich zum "Marine Mammal Observer" ausbilden, absolvierte in Amsterdam Sicherheitskurse und den Bootsführerschein, um als Guide auf Whalewatching-Booten arbeiten zu können. Es ist ihre erste Saison, aber sicher nicht die letzte. "Ich bin noch bis Oktober hier auf Island, dann schauen wir weiter. Es ergibt sich sicher irgendwas. Argentinien wäre eine Option, ein wunderschönes Land."
Die unvergesslichen Walmomente aus Island werden sie begleiten. Von denen gibt es viele, wie sie versichert. Jener von einem jungen Buckelwal blieb besonders haften. "Er ist vor dem Boot auf und ab getaucht und ist vor jedem Passagier mit dem Oberkörper vertikal aufgetaucht und hat ihn angeschaut. Irgendwann mussten wir heimfahren und er ist uns nachgeschwommen. Wir hatten fast ein schlechtes Gewissen."
An die 90 Walarten bevölkern die Weltmeere. Barbara Anderls Vorliebe gehört momentan den Finnwalen. "Einfach, weil sie in Island noch gejagt werden. Einen zu sehen bedeutet für mich, dass ich ihm die Daumen drücke und hoffe, dass er bei uns in der Bucht bleibt, wo sie nicht gejagt werden dürfen."
Video eines auftauchenden Wals: