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Baikalsee: Übers heilige Meer gehen

Von Martin Dunst, 06. April 2013, 00:04 Uhr
Übers heilige Meer gehen
Die Baikalrobbe ist zum Wahrzeichen des Baikalsees geworden. Bild: Sabaikalsi Nationalpark

Mythen und Legenden ranken sich rund um den größten Süßwassersee der Welt, von dem eine urtümliche Kraft ausgeht. Wenn Mitte Jänner der Baikal komplett zufriert, entsteht für Monate eine bizarre Welt aus Eis und Schnee.

Die Natur scheint am Baikalsee nahe der Insel Olchon ihren Spieltrieb voll auszuleben, lädt ein zum Staunen. Schon das Gehen auf dem zur Gänze zugefrorenen Baikalsee ist ein Erlebnis. Zugegeben: Zu Beginn ist dieses Erlebnis verbunden mit leicht unsicherer Beinarbeit auf blankem Eis und mulmigem Gefühl, ob sich denn nicht wo ein gemeiner Spalt auftut. Nicht überall ist die Oberfläche spiegelglatt. Immer wieder türmt sich das Eis meterhoch zu bizarren Formationen auf. Die Felsen am Ufer sind mit einer dicken Eisschicht glaciert. Binnen Minuten müssen hier meterhohe Wellen im Wintersturm erstarrt sein – ein großartiges Schauspiel am Ende der Welt.

Hinter den verspielten und bizarren Eisverzierungen ist hier am Baikal auch die Urgewalt der Natur und des Wassers zu spüren. Diese Kraft kommt auch in einem sibirischen Volkslied zum Ausdruck, das einst Ernst Busch in deutscher Sprache neu interpretiert hat.

„Herrlicher Baikal, du heiliges Meer, Auf einer Lachstonne will ich dich zwingen! Starker Nordost treibt die Wellen daher. Rettung, sie muss mir gelingen.“

Das Lied handelt von einem nach Sibirien Verbannten, dem die Flucht aus dem Straflager gelingt und der zum Überleben den Naturgewalten am Baikal trotzen muss.

Heute scheint es beinahe umgekehrt zu sein: Nicht die Menschen müssen den Baikal fürchten, sondern der See die Menschen.

Unter dem dicken Eispanzer, der den Baikal noch zu Ostern bedeckt, verbergen sich rekordverdächtige Zahlen. Mehr als 25 Millionen Jahre alt ist diese flüssige Ausnahmeerscheinung. Der Baikal erstreckt sich über 31.500 Quadratkilometer, das entspricht der Größe Belgiens. Der See bildet das größte Süßwasserreservoir der Erde – die ganze Menschheit könnte mit seinem Inhalt 50 Jahre lang versorgt werden. Bis zum Grund des tiefsten und ältesten Sees der Welt sind es bis zu 1642 Meter. Es gibt hunderte Zuflüsse, aber mit der Angara nur einen Abfluss.

Eine Ausnahmestellung nimmt auch das Leben im Wasser und an den Uferzonen ein. Mehr als 2600 Arten sollen sich an der russisch-mongolischen Grenze tummeln. Zwei Drittel davon kommen ausschließlich am Baikal vor. So zum Beispiel die Baikalrobbe oder der lachsähnliche Omul – „sa Baikal“! Auf den Baikal! – wie die Einheimischen sagen. Sie lassen ihr blaues Kronjuwel gerne hochleben und harren beim Eisfischen stundenlang an ihren selbst gebohrten Löchern aus, um – bevorzugt – Omul zu fangen.

Mehr als Taiga, Frost und Tränen

„Heiliges Meer“ nennen die einheimischen Burjaten „ihren“ See. Über diesen See mit den Dimensionen eines Meeres zu gehen, ist nicht nur ein Erlebnis, sondern auch eine Erfahrung mit Tiefgang. In absoluter Ruhe, ohne Nebengeräusche bahnen sich vielfältige Gedanken und Empfindungen ungestört ihren Weg. Wie froh muss man sein, das weite Land als Besucher und nicht als Eroberer erkunden zu dürfen. Fast fühlt man mit den jungen Männern, die im Zweiten Weltkrieg über russischen Boden gehetzt wurden, ungenügend ausgerüstet und in ständiger Angst um das eigene Leben – deutsche wie russische Soldaten.

„Jahrelang schleppt ich die Kette am Bein, fern in Sibirien, eiskalten Bergen. Bis eines Tags es gelang zu befrein, mich von den Ketten und Schergen.“

So lautet die zweite Strophe des Lieds „Herrlicher Baikal!“. Befreien muss sich der Besucher des Baikal auch von gängigen Sibirien-Klischees. Diese Gegend ist nicht mehr geprägt von Gulag, Tränen und Verbannung, hat mehr zu bieten als bloß Wodka, Bären und Banja (Sauna). Das fängt schon beim Wetter an. Auf der größten Insel am Baikal Olchon – scheint an 300 Tagen im Jahr die Sonne. Das kontinentale Klima bürgt für Stabilität und wenig Niederschlag. Meterhohe Schneewände suchen Touristen vergebens. Die Temperaturen sind in der Früh im März mit bis zu minus 20 Grad zwar knackig aber nicht unbedingt arktisch. Tagsüber zeigt das Thermometer sogar leichte Plusgrade an. Nur der beißend-kalte Wind erinnert daran, dass der Frühling noch auf sich warten lässt. Warum sollte das auch ausgerechnet in Sibirien anders sein als in Österreich.

Während der Sowjet-Zeit haben die Kommunisten vieles darangesetzt, alte Glaubensvorstellungen der Menschen auszumerzen – ohne Erfolg. Der Glauben der Menschen ist vom Schamanismus und Buddhismus geprägt. Rund um den Baikalsee gibt es viele mystische Geschichten und Plätze. Von der schönen Angara, der einzigen Tochter Baikals, über den Schamanenfelsen bis zu „Heiligen Nase“.

Immer wieder bleibt man stehen, atmet die frische Luft tief ein, genießt die Stille, schaut über die unendliche Eisfläche des Baikal. Dieser Ort strahlt Kraft und Ruhe aus, macht überdeutlich, dass der Mensch Teil der Natur ist und nicht umgekehrt.

Dennoch setzen die Menschen dem Baikal zu. Beispielsweise mit einem umstrittenen, weil veralteten Zellulosewerk. Dieses Werk schafft zwar Arbeitsplätze, in einer Gegend, in der Jobs rar sind – die Abwässer der Papierfabrik sind aber im wahrsten Sinn Gift für das fragile Ökosystem.

„Herrlicher Baikal du heiliges Meer. Auf einer Lachstonne will ich dich zwingen, Spann meinen Kittel als Segel verquer, Rettung, sie muss mir gelingen.“

Das Lied des einst Verbannten könnte heute symbolisch für den Baikal selbst stehen, seine Rettung muss gelingen – sa Baikal! Auf den Baikal!

Im Biologiezentrum Linz (Johann Wilhelm Kleinstraße) ist noch bis 14. Juli 2013 die Sonderausstellung „Der Baikalsee – die Perle Sibiriens“ zu sehen.

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2  Kommentare
2  Kommentare
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( Kommentare)
am 08.04.2013 19:27

Die Ausstellung zu diesem Thema im Biologiezentrum Linz kann ich wärmstens empfehlen

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( Kommentare)
am 12.04.2013 15:22

dieser Gegend steht bei mir im Garten.
Ein wunderschöner Cypripedium macrantha hat dort seinen Ursprung.

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