Das andere Rot-Weiß-Rot
Lettland ist der mittlere der drei baltischen Staaten. Eingebettet zwischen Estland im Norden und Litauen im Süden, ist dieses Land eines mit sehr vielen Besonderheiten. Dazu zählen die Sprache und ein "medizinischer" Balsam.
Ein Land, das größer als die Schweiz ist, aber nicht einmal zwei Millionen Menschen zählt, von denen wiederum mehr als 640.000 alleine in der Hauptstadt leben – so ein Land muss viel Landschaft haben. Wie Lettland. Wer Natur sucht, wird sich hier nicht allzu schwer tun, sie auch zu finden. Rund die Hälfte der 64.589 Quadratkilometer ist Wald. Doch der baltische Staat mit seiner außergewöhnlichen Sprache und mit seiner Flagge, die von manchen mit der österreichischen verwechselt wird, hat nicht nur Natur zu bieten, sondern auch eine spannende Geschichte und Städte mit besonderer Architektur und besonderem Flair.
Man könnte theoretisch auch mit dem Auto nach Lettland fahren – dauert aber länger und ist anstrengender als mit dem Flugzeug. AirBaltic bietet wöchentlich zwölf direkte Verbindungen zwischen Wien und der lettischen Hauptstadt Riga an (www.airbaltic.com). Geflogen wird mit dem neuesten Flugzeugtyp A220 von Airbus. Von Wien bis Riga dauert es auf diese Weise keine zwei Stunden. In der wunderschönen, 1201 vom Bremer Bischof Albert von Buxhoeveden gegründeten Stadt beginnt praktisch jede Tour. Womit wir bei einem Thema wären: Viele Besucher des Baltikums nehmen Lettland einfach so mit, während sie von Litauen kommend Richtung Estland rauschen (oder umgekehrt). Kein guter Tipp, es so zu machen, denn auf diese Weise versäumt man mit Sicherheit Orte und Begebenheiten, die man besser nicht auslässt.
Etwa die zehn Kilometer von Riga entfernte Kurstadt Jurmala – wenn man so will das Bad Ischl Lettlands, mit dem Unterschied, dass Jurmala am Meer und nicht an der Traun liegt. Die Ostsee hat in dieser Bucht im Juli und August eine Temperatur von 20 Grad. Im vergangenen Sommer waren es sogar 26. Wer hier schwimmen will, muss zuvor wandern, denn das Wasser ist so seicht, dass es erst 300 Meter vom Ufer entfernt eine schwimmbare Tiefe erreicht. Der Strand von Jurmala ist gut 100 Meter breit, zieht sich über 30 Kilometer dahin und ist bedeckt von weißem Quarzsand – oder Schnee. Je nach Jahreszeit.
Jurmala ist mit mehr als 57.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Lettlands. Zu den Sehenswürdigkeiten gehören die vor etwa 120 Jahren errichteten Villen in Holzbauweise und der Dzintari-Forest-Park, ein 14 Hektar großes, grünes Refugium mitten in der Stadt, das im Winter mit wunderbaren Licht-Installationen erhellt wird.
Ein Herrenhaus als Hotel
Weiter östlich, in der Nähe von Kuksas, befindet sich ein früheres Herrenhaus, das sein Besitzer, der vor bald 30 Jahren nach Lettland emigrierte Deutsche Daniel Jahn, zu einem Hotel der außergewöhnlichen Sorte umgebaut und umfunktioniert hat. Im "Kuksi Manor", so der Name der Unterkunft, fühlt man sich wie ein Gutsbesitzer, umgeben von Tausenden großen und kleinen Antiquitäten, von Originalgemälden lettischer Meister und umweht vom Geist einer lang vergangenen Epoche. Hier zumindest eine Nacht zu verbringen, ist heftigst anzuraten, denn so etwas erlebt man so schnell nicht mehr. Die Preise inkludieren Frühstück und rangieren von 170 Euro (Standardzimmer) bis 200 (Luxussuite), wobei das Wort "Suite" sogar eine Untertreibung darstellt (www.kuksumuiza.lv).
Das Gästebuch im "Kuksi Manor" ist so groß, dick und schwer, dass es vermutlich einer Vierschaft an Gewichthebern bedurft hatte, um es dort hin zu schleppen, wo es aufliegt. Darin finden sich Einträge von Reisenden aus aller Welt, von Neuseeland bis Südböhmen, sowie von Prominenten und sehr Prominenten, etwa aus dem europäischen Hochadel, darunter auch Österreicher.
Was verschlägt seine internationalen Gäste nach Lettland? Daniel Jahn: "Die Natur ist unser größtes Kapital. Die Hälfte unserer Fläche ist Wald." Dieser wiederum sei bevölkert mit Wild etlicher Gattungen, daher gehörten auch Jagdgesellschaften zu seiner Klientel, sagt Jahn, der das Haus kaufte, als es fast nicht als solches zu erkennen war, derart ramponiert war es. Es waren Millionen, die der 59-Jährige investierte, um ein wahres Schmuckstück daraus zu machen. "Aber verdienen tu’ ich damit nichts", so Jahn. "Das ist alles Liebhaberei."
Ein heißer Tipp für eine Stadtbesichtigung ist Kuldiga, auf Deutsch Goldingen. Die hiesige Altstadt und die rote Ziegelbrücke über den Fluss Venta sind Kandidaten für die Aufnahme in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste. In Kuldiga befindet sich auch der breiteste Wasserfall Europas. Hoch ist der Ventas Rumba wirklich nicht, bestenfalls ein bis zwei Meter, aber mit 110 Metern tatsächlich sehr breit. Im Frühling und Herbst können hier "fliegende" Fische bei ihren sprunghaften Versuchen, flussaufwärts zu gelangen, beobachtet werden.
Wer gerne gut isst, sollte sich einen Tisch im Restaurant "Goldingen Room" mitten in Kuldiga reservieren. Hier speist der Gourmet etwa den köstlichsten Schweinsbauch, den man sich vorstellen kann. Kein Wunder, zählt das unspektakulär erscheinende "Goldingen Room" doch zu den besten 15 Restaurants in ganz Lettland.
Ehemalige Kolonial-"Macht"
Überhaupt ist der sich über Jahrhunderte erstreckende Einfluss der Deutschen auf Kulinarik, Architektur und Lebensart nicht zu übersehen. Riga war eine der bedeutendsten Hansestädte, die einstige Internationalität Lettlands erstaunlich. So waren etwa das Karibik-Eiland Tobago und eine kleine Flussinsel im afrikanischen Gambia tatsächlich Kolonien des heute zu Lettland gehörenden einstigen Herzogtums Kurland.
Riga selbst hat ein ganz besonderes Schmuckstück: seine Altstadt. Wunderschöne Kirchen und Häuser aus der Zeit der Hanse, schmucke Geschäfte und nette Lokale reihen sich aneinander. Und ein Gebäude ist geschichtsträchtiger als das andere. Zu erwähnen seien die Lettische Nationaloper oder das Nationale Kunstmuseum, beides wahre Prachtbauten, die es zu besuchen lohnt.
Sehr sehenswert ist auch der Markt, in dem – teils Freiluft, teils auf mehrere Hallen verteilt – so gut wie alles verkauft wird, was es an Lebensmitteln, Getränken oder der Krankheitsvermeidung dienenden Waren gibt. Womit wir bei einem ganz spezifischen Thema dieses Landes wären: beim Rigas Mailnais Balzams, zu Deutsch: Schwarzer Balsam aus Riga. "Medizin!", sagen die Letten, wenn sie den neugierigen Balsam-Novizen diesen aus unzähligen Kräutern und Geheim-Ingredienzen gebrauten Likör servieren. Die im Original pechschwarze und in drei Geschmacksrichtungen erhältliche Spezialität ist ein Muss als Mitbringsel und schmeckt so großartig, dass die für Eltern oder Freunde gekauften Flaschen oft schon während der Heimreise vom vermeintlichen Schenker selbst ausgetrunken werden.
Man muss übrigens nicht Lettisch können, um sich hier zu verständigen. Viele sprechen Englisch, manche auch Deutsch, und Russisch sowieso fast alle. Die Sprache ist keine slawische, sondern so wie Litauisch eine baltische. Sie zu erlernen ist möglich, aber schwierig. Vielleicht fällt’s mit ein bisschen Schwarzem Balsam intus leichter.
Lettland in Zahlen
1.950.116: So viele Bürger weist der baltische Staat laut dem jüngsten Zensus im Juni 2017 aus, und das auf einer Fläche von exakt 64.589 Quadratkilometern. Die meisten Bewohner finden sich in der rund 700.000 Menschen zählenden Haupt- und ehemaligen Hansestadt Riga. Die Bevölkerungsentwicklung geht kontinuierlich nach unten.
Die lettische Flagge ähnelt im ersten Eindruck der österreichischen. Doch ist das Rot dunkler und entspricht laut Überlieferung den Beeren, mit denen die Fahnen einst eingefärbt worden sein sollen. Außerdem sind die Proportionen anders: Der weiße Streifen ist schmäler, die Flagge selbst länger.
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Währung Lettlands ist der Euro.
Infos: www.latvia.travel/de