Von Menschen und Mauern
"Auf die Daua hüft ka Maua", sagt der Volksmund. Dennoch wurden noch nie so viele Zäune, Grenzen und Mauern gebaut wie heute.
Donald Trump ist alles andere als ein isolierter Irrer, der eine Mordsmauer zum Nachbarland hochziehen will. Vielmehr befindet er sich in bester Gesellschaft. Die Regierungen von 65 Ländern heißen Barrieren an ihren Grenzen gut. Das sind mehr als ein Drittel aller Staaten, so viele wie noch nie, die sich mit Hilfe von Stacheldraht einigeln. Mitten in Europa befestigen Ungarn und Serbien ihre Grenzen gegenüber Flüchtlingen, im Nahen Osten separieren Grenzanlagen verfeindete Staaten, die USA schotten sich gegen Armutsmigration aus dem Süden ab, ähnlich wie Indien gegen Bangladesch. Die Liste ist lang und wird fast täglich länger.
"Das Zeitalter der Mauern hat eben erst begonnen", konstatiert Tim Marshall. Der britische Außenpolitik-Experte für BBC und Sky News rechnet in seinem Buch "Abschottung – Die neue Macht der Mauern" vor, dass die Hälfte der weltweiten Grenzbauten erst nach dem Jahr 2000 entstanden ist. Demgegenüber steht gerade einmal eine Mauer, die es nicht mehr gibt, die Berliner, die aber auch schon vor bald 30 Jahren fiel. Doch diese sei mit den Angstmauern à la Trump nicht zu vergleichen, sagt der Psychologe und Philosoph Alfred Barth, Leiter des Instituts für Psychologie an der Linzer Dependence der Sigmund Freud Privatuni Wien (siehe Interview unten).
So oder so: Mauern entstehen, wenn die Spaltungen unüberwindlich werden. Deshalb sind sie beängstigend und entmenschlichend. Und sie sind ein Paradoxon. Während die Welt die Erfolge der Globalisierung feiert – Wirtschaftswachstum, weniger Armut – teilt sie sich in kleine Segmente, sei es vor religiösen, nationalistischen oder kriegerischen Hintergründen.
Dabei sind Mauern ein ebenso untaugliches wie historisch überholtes Konzept. Keine Mauer konnte jemals Menschen langfristig aufhalten; weder die Mauern von Troja oder Jericho noch die Chinesische Mauer, der Limes, der Hadrianswall oder die Mauern der Inkas in Peru. Andererseits muss festgehalten werden, dass manche Mauern zumindest mittelfristig funktionieren, etwa jene, mit denen sich Israel abschottet. Die Zahl der Attentäter aus sogenannten besetzten Gebieten ist seit dem Bau der Mauern entlang des Westjordanlandes und des Gazastreifens fast gegen null zurückgegangen. Die dortigen Terrororganisationen behelfen sich statt mit Sprengstoffgürteln nun mit Kurzstreckenraketen.
Während Nationalismus und Identitätspolitik das Trennende hervorheben, arbeiten UN, EU, ASEAN etc. an paranationaler Konfliktlösung. Man wird sehen, ob sich Einheit oder Einfalt durchsetzt.
Ein Weg zur Kurskorrektur wäre, mehr Geld dorthin zu transferieren, wo die meisten Menschen leben. Dann werden diese Menschen nicht dorthin gehen, wo das meiste Geld wohnt. "Wir brauchen einen Marshallplan des 21. Jahrhunderts für die Entwicklungsländer, um die Reichtümer der G20-Staatengruppe in einer globalen Umverteilung des Wohlstandes besser zu nutzen. Entwicklungshilfe, Infrastruktur, Handel, Bildung, Gesundheit, Klimawandel – alle Themenbereiche müssen darin Berücksichtigung finden", schreibt Marshall.
Für die Jetztzeit lässt sich sagen, dass der Gipfel an Gehässigkeit und Gewalt gegen jene, die die Mauern zu überwinden trachten, noch steigen wird. Es ist noch ein weiter Weg zur universellen menschlichen Gemeinschaft und zu einer Welt ohne Wettbewerb um ihre Ressourcen.
Eine treffende Analyse der weltweiten Vermauerung liefert Tim Marshall in seinem Buch "Abschottung", dtv-Verlag, 336 Seiten, 24,70 Euro
Zypern/Nordzypern: Seit der türkischen Invasion 1974 ist die zypriotische Insel zweigeteilt. Die UNO richtete eine Pufferzone ein, Zäune und Mauern trennen die türkisch- und griechischstämmigen Einwohner der Insel. Immer wieder gab es Anläufe zur Wiedervereinigung, zuletzt im Vorjahr. Im November wurden zwei neue Grenzübergänge geöffnet, einer in Lefgios, der andere in Deryneia.
Israel/Gaza: 1994 begann Israel mit dem Bau einer „Sperranlage“ entlang der Waffenstillstandslinie zum Gazastreifen. Sie ist 60 Kilometer lang und bis zu neun Meter hoch. Derzeit wird diese Mauer an der Küste und unterirdisch ausgebaut. Da es zu Tunnelbauten zwecks Umgehung durch die Terrorbewegung Hamas kam, reicht die Sperre mittlerweile einige Meter tief in den Boden.
USA/Mexiko: Die Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko ist 3144 Kilometer lang. Seit den frühen 1990er-Jahren wird sie durch Mauerbauten immer stärker gesichert. Präsident Trumps Plan sieht einen Ausbau über die gesamte Länge und auf neun Meter Höhe vor. Ziel ist es, die Armutsmigration aus Mittel- und Südamerika hintanzuhalten.
Indien/Bangladesch: 1989 wurde von Indien aus begonnen, die Grenze zu Bangladesch, von wo rund 17 Millionen Einwanderer kamen, abzudichten. Der Zaun wird von Militär bewacht. Mehr als 1000 Grenzgänger (Schmuggler, Einwanderer) sollen laut Menschenrechtsorganisationen erschossen worden sein.
Südkorea/Nordkorea: Eine militärische Demarkationslinie (vier Kilometer breit) inklusive Zaun teilt seit 1953 über eine Länge von 248 km Nord- und Südkorea. Die Annäherung der beiden Staaten verläuft zäh.
China: Ziel der Chinesischen Mauer war es, ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. das Kaiserreich vor Raubüberfällen und Angriffen nomadischer Reitervölker zu schützen. Die Mauer erstreckte sich über 21.196 Kilometer, sie gilt als das größte Bauwerk der Welt. Das desolate Weltkulturerbe ist übrigens nicht aus dem Weltall zu sehen, wie oft behauptet wird.
Das Irrationale am Mauerbau
Warum baut der Mensch Mauern, obwohl es langfristig sinnlos ist? Antworten sucht Alfred Barth, Leiter des Instituts für Psychologie an der Sigmund Freud Privatuniversität in Linz.
OÖN: Warum baut der Mensch so gerne Mauern, vom Jägerzaun bis zum Grenzschutz? Steckt das in unserer Psyche?
Barth: Der Grund, warum Menschen Mauern bauen, ist eine Bedrohung oder eine eingebildete Bedrohung basierend auf begründeten oder unbegründeten Ängsten. Das Problem ist, dass der Mensch im Jetzt lebt. Würde er historisch denken, sähe er, dass sich die Welt immer verändert hat. Nur im subjektiven Bild des Einzelnen ist die Welt konstant. Auf einer Makroebene gibt es permanent Veränderungen. Der Mensch sieht aber nur seinen Schrebergarten. Und wenn da jemand hereinkommt, empfindet er das als Bedrohung und versucht sich abzuschotten. Das Mauerbauen ist ein Schutzmechanismus, der möglicherweise auch evolutionstheoretisch zu begründen wäre.
Wie passt da die deutsche Mauer hinein?
Die deutsche Mauer war ein Spezialfall. Es ging nicht um eine Burgmauer, sondern um das Teilen von zwei Machtsphären. Die Trump-Mauer hingegen ist eine Angstmauer. Die Menschen fürchten sich vor Immigration – teilweise zu Recht. Es gibt auch metaphorische Mauern. Kanada, Australien oder die Schweiz bauen keine Mauern, sie treffen andere Maßnahmen, etwa durch Gesetze.
Je reicher, desto höher die Mauer?
Klar. In Ländern, in denen hoher Wohlstand, hohe Lebensqualität und ein gutes Gesundheitssystem vorhanden sind, ist Angst vor Verlust da. Je mehr ich habe, desto mehr kann ich verlieren. Wenn ich nichts habe, brauche ich keine Angst zu haben.
Wer brächte es zustande, vom Mauer- zum Brückenbauer zu werden?
Ich glaube, dass politische Brücken zwischen verfeindeten Parteien oder Ländern nur wirkliche Hardliner zustande bringen. Sie können eher über den Schatten springen und eine Mauer sprengen, weil sie vom Standing her, von der Aura her stark sind.
Der Mensch, ein Herdentier mit irrationalen Ängsten?
Gerade die Psychologie zeigt, dass die menschlichen Entscheidungen nie rational waren, sondern aufgrund von Abkürzungsmechanismen wie Gewohnheiten, Musterbeispielen oder Mehrheitsentscheidungen fielen. Mauerbau ist ein Symptom, das zeigt, welcher Gefühlszustand, welcher pathologische Prozess im Menschen herrscht. Die moralische Debatte darüber ist geprägt durch den moralischen Zeigefinger, das führt aber zu nichts. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich die Leute fürchten, und dann mit dieser Erkenntnis arbeiten.