Ein Abschied vom Frieden
Der Gründonnerstag steht für den Abschied. Tausende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine müssen ihn derzeit täglich erleben.
Iwano-Frankiwsk war auf einem guten Weg. Vielleicht sogar auf dem besten, um ein neues Wirtschafts- und Kulturzentrum in der Westukraine zu werden. Touristen schritten durch das Tor zu den Karpaten, Studierende aus der ganzen Republik trugen sich in die Listen der Nationalen Technischen Universität für Öl und Gas ein. Die Entwicklung war eine westliche. 2018 wurde die Stadt mit dem Europapreis ausgezeichnet, weil "sie sich am aktivsten für das europäische Ideal einsetzt".
Die Stadt, 100 Kilometer südlich von Lwiw gelegen und kaum größer als Linz, hatte Perspektiven, als sich Lesia Tyenoniuk mit ihrer Familie dort niederließ. Das Eigenheim, das sie für ihre drei Kinder schufen, kostete sie viel Kraft und noch mehr Geld. Doch das Leben war schön und voller Hoffnung, sagt sie, als sich alles zu verändern begann.
Abschied von der Heimat
Am Morgen des 24. Februar brennt es in Iwano-Frankiwsk. Vier Kilometer südwestlich des Stadtzentrums trifft eine russische Rakete Teile des Flughafens. Der Krieg hat begonnen. Auch hier.
Noch bleiben Lesia Tyenoniuk, ihr Mann und die drei Kinder in der Stadt. Das Gefühl, zu schnell zu viel aufzugeben, lässt sie zögern. Die Angriffe der russischen Armee verlagern sich daraufhin in den Osten des Landes, Iwano-Frankiwsk scheint vorerst kein Ziel mehr zu sein. Drei Wochen später, in der Nacht auf den 13. März, kommt es wieder zu Explosionen. Wieder wird der Flughafen, ein Luftwaffenstützpunkt, angegriffen. Ruslan Marzinkiw, Bürgermeister der Stadt, ruft die Bewohner in der Nähe auf, das Gebiet so rasch wie möglich zu verlassen, und warnt alle anderen eindringlich: "Ich bitte euch, seid alle so vorsichtig wie möglich und passt auf euch auf."
Das Leben der Familie Tyenoniuk wird auf den Kopf gestellt. Die Flucht ist nicht mehr die letzte Option, sie wird zur einzigen. Zu fünft steigt die Familie in das Auto. Das Ziel, rund 280 Kilometer oder viereinhalb Fahrstunden entfernt: Vysné Nemecké, Ostslowakei.
Abschied von der Familie
Am Vormittag des 15. März kommen sie in der ukrainischen Grenzstadt Uschhorod an, die Nacht war kalt, die Morgensonne wärmt nur bedingt. Sie gehen zu Fuß über die Grenze. Zu viert. Lesias Mann bleibt in der Ukraine. "Das wollte ich auch unbedingt. Jeder hier will das. Aber mein Mann hat gesagt, ich muss die Kinder in Sicherheit bringen", sagt sie. Sie fühle sich völlig verloren, habe alles aufgeben müssen, was sie geliebt habe. "Meine Schwester wohnt in Charkiw. Oder wohnte. Auch sie ist geflohen. Über die polnische Grenze", sagt Lesia Tyenoniuk.
13, zwölf und sechs Jahre alt sind ihre Kinder, mit denen sie in den großen Bus gestiegen ist, der sie weit weg bringen soll. Nach Wien, vorübergehend. "Wir wollen so schnell wie möglich wieder zurück. Das ist unsere Heimat und das wird sie auch bleiben", sagt sie. Doch vorerst heißt es Abschied nehmen.
Einem psychischen Erdbeben komme es gleich, sich von wichtigen Zielen, Menschen oder Orten trennen zu müssen, sagte einmal der amerikanische Evolutionspsychologe Eric Klinger.
Abschied, das ist auch das traurige Schlagwort, das die Szenerie an den ukrainischen Grenzen prägt. Von Vätern, Großvätern, Onkeln und Brüdern. Tränen fließen, Kinder können nicht verstehen, was sie sehen. Mütter nicht fassen, dass sie nun auf sich alleine gestellt sind. Für die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, ist es ein psychisches Erdbeben, das nichts an seinem gewohnten Platz zurücklässt. Zwischenmenschliche Beziehungen werden zerstört, Kontakte brechen ab, Träume werden dem Erdboden gleichgemacht.
Kein Abschied ohne Neuanfang
Nur die Hoffnung bleibt als Fundament für einen Neuanfang. Hoffnung auf ein Wiedersehen, Hoffnung auf Frieden, zumindest auf einen Stillstand der Waffen. Mit einem Abschied für immer will sich niemand von jenen abfinden, die, Tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt, versuchen, in ein neues Leben zu finden. Es soll ein Lebensabschnitt bleiben.
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