"Nicht, dass einmal ein Volkskanzler aufersteht"
SCHWERTBERG, WIEN. Am Mittwoch fand in Wien zum zwölften Mal das "Fest der Freude" statt, der alljährliche Schlusspunkt der Gedenkfeiern anlässlich des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft – am 8. Mai 1945 unterzeichnete Deutschland die Kapitulation.
Mit dabei am Wiener Heldenplatz war wieder die Schwertbergerin Anna Hackl. Im Vorjahr hatte die Zeitzeugin tausende Besucher mit ihrem Wort und der Erinnerung an die sogenannte "Mühlviertler Hasenjagd" bewegt. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau, Doris Schmidauer, die Anna Hackl im Vorjahr kurzerhand für das nächste Jahr zum Kaffee in die Hofburg einluden. Dieses Versprechen haben sie nun gewissermaßen eingelöst.
Sabine Schatz, SP-Nationalrätin aus Ried in der Riedmark, der Nachbargemeinde von Schwertberg, die seit mehr als 20 Jahren in engem Kontakt mit Anna Hackl steht und das Treffen organisierte, brachte sie nach Wien, wo ein Großteil ihrer Familie bereits wartete. Nach einer Besichtigung des Parlaments ging es um 17 Uhr zum Bundespräsidenten in die Hofburg – wo ein erstes kurzes und unbeabsichtigtes Aufeinandertreffen schon bei der "Adlerstiege" stattfand. Van der Bellen kam gerade mit Hündin "Juli" nach Hause.
Dann ging die Tapetentür auf
Wenige Minuten später war es dann auch planmäßig soweit, Familie Hackl wurde ins Maria-Theresien-Zimmer geleitet. Kurz darauf ging dann die aufgrund der hohen Zahl der Ministerwechsel in den vergangenen fünf Jahren "berühmt" gewordene Tapetentür auf, und Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowie seine Frau kamen herein, um zum einen die Familie von Anna Hackl zu begrüßen, und zum anderen – wie die OÖNachrichten bereits berichteten – die seit wenigen Tagen 93-Jährige auszuzeichnen. Denn für ihren Einsatz als Mahnerin hat Anna Hackl gestern vom Bundespräsidenten das "Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich" erhalten. Und die Verdienste von Anna Hackl sowie ihrer Familie, allen voran ihrer Mutter Maria Langthaler, sind und waren nicht zu knapp, wie Van der Bellen in seiner Rede hervorhob.
"Sie und Ihre Familie, liebe Frau Hackl, haben Menschlichkeit und Erbarmen über Ihre Angst gestellt und so den Mut aufgebracht, zwei sowjetische Soldaten auf Ihrem Hof aufzunehmen und bis Kriegsende vor SS und Volkssturm zu verstecken. Anstatt wegzuschauen, haben Sie Haltung gezeigt und gehandelt", sagte Van der Bellen und skizzierte die ersten Februartage 1945, jene Tage, die als sogenannte "Mühlviertler Hasenjagd" bekannt sind. 500 sowjetische Kriegsgefangene waren am 2. Februar 1945 aus dem Konzentrationslager Mauthausen ausgebrochen und in den Tagen danach von der SS und der Zivilbevölkerung gejagt und ermordet worden.
"Menschlichkeit und Mitgefühl"
"Als Sie letztes Jahr bei Ihrer Rede gesagt haben, ‚Nikolaj und Michail wurden für mich wie Geschwister‘, hat mich das sehr berührt. Es macht deutlich, wie stark Menschlichkeit und Mitgefühl uns über alle Grenzen hinweg verbinden können", sagte Van der Bellen weiter. "Leider gehören Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Ausgrenzung nicht der Vergangenheit an. Gerade jetzt sind Menschen, die gegen das Vergessen kämpfen und ihren Mitmenschen Mut machen unglaublich wichtig." Van der Bellen
schloss mit den Worten: "Ihr Leben, liebe Frau Hackl, war und ist gelebte Zivilcourage."
Nach einem kurzen Anstoßen bedankte sich Anna Hackl und sprach klare Worte ...
"Ich werde, solange ich kann, in Schulen gehen. Die jungen Menschen sind dankbar, wenn sie erfahren, was war. Ich sage: ‚Seid vorsichtig, dass so etwas nicht mehr kommt. Das war keine schöne Zeit. Ihr seid die Zukunft für unser Land, ihr müsst schauen, dass es so bleibt. Nicht, dass einmal ein Volkskanzler aufersteht, das ist ganz gefährlich.‘"
Nach Brötchen und Kuchen gab es für die Familie eine Besichtigung der Prunkräume, bevor es zum Heldenplatz zum diesjährigen "Fest der Freude" ging, das alljährlich vom Mauthausen Komitee Österreich organisiert wird. Dort traf Anna Hackl erneut den Bundespräsidenten. Als Zeitzeugin trat Rosa Schneeberger auf die Bühne und sprach zu den 6000 Gästen. Sie war drei Jahre alt, als ihr Vater und seine Brüder 1939 vom NS-Terrorregime erst ins Konzentrationslager Dachau, und dann nach Buchenwald deportiert wurden. Zwei Jahre später kam sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern ins Lager Lackenbach – dort wurde sie im April 1945 durch die Rote Armee befreit.
Eingebettet in ein Konzert von Ensembles der Wiener Symphoniker mahnte Van der Bellen auch hier: "Wir müssen Judenhass und Antisemitismus mit null Toleranz begegnen. Wenn wir in diesem Jahr Wahlen haben, dann entscheiden wir auch darüber, in welchem Rechtsstaat wir leben wollen. Denn wir wissen: Recht allein schützt nicht vor Ungerechtigkeit. Darum ist es wichtig, für die Werte einzutreten, die unseren Gesetzen zugrunde liegen sollten: der liberalen Demokratie, der Solidarität, der freien Entfaltungsmöglichkeiten und der Rechtsstaatlichkeit selbst."
Nach dem "Fest" verabschiedeten sich Van der Bellen und Schmidauer von Anna Hackl. Ob es ein Wiedersehen gibt? Vielleicht, denn ausgerechnet den im Vorjahr vereinbarten Kaffee gab ’s nicht.
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