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Baby durch Taschentuch im Mund gestorben: Drei Jahre teilbedingt für Vater

Von nachrichten.at/apa, 08. November 2021, 12:09 Uhr
Der Angeklagte vor Gericht. Bild: SOPHIA KILLINGER (APA/SOPHIA KILLINGER)

ST. PÖLTEN. Wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang hat ein 34-Jähriger am Montag am Landesgericht St. Pölten drei Jahre Haft, davon zwei bedingt, erhalten.

Der Mann gab in der Schöffenverhandlung zu, im Jänner 2016 seinem schreienden, sechs Wochen alten Sohn ein Papiertaschentuch in den Mund gesteckt zu haben. Das Baby starb im Mai 2016 im Spital. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Vorfall soll sich bereits am 22. Jänner 2016 ereignet haben. Die Mutter des Kindes hatte sich zuhause in der Küche die Haare von einer Freundin färben lassen. Der Niederösterreicher sollte inzwischen seinen Sohn beaufsichtigen und wollte das schreiende Baby wickeln. "Aufgrund seiner Überforderung in der Situation" soll der Beschuldigte ein Papiertaschentuch zusammengeknüllt und es dem Säugling in den Mund gesteckt haben.

Das Baby lief laut Staatsanwaltschaft daraufhin blau an und war am Ersticken. Der Vater konnte das Taschentuch nicht herausholen, der Fremdkörper wanderte immer weiter in Hals, Rachen und Atemwege. Der Angeklagte rief um Hilfe. Die Freundin der Mutter versuchte, den Fremdkörper herauszuholen. Auch die verständigten Rettungssanitäter konnten das Taschentuch nicht entfernen. Erst der Notarzt konnte schließlich eine halbe Stunde später den Fremdkörper - zunächst stand laut Aussage des Mediziners nicht fest, worum es sich handelte - mit einer Zange herausholen. Der Bub wurde sofort ins Spital gebracht und starb am 12. Mai 2016.

Mann leidet seit Geburt unter geistiger und körperlicher Behinderung

Der Beschuldigte leidet laut seinem Verteidiger seit Geburt an einer geistigen und körperlichen Behinderung. Aufgrund seiner spastischen Lähmung auf der linken Seite könne Wickeln den Beschuldigten "an seine körperlichen Leistungsgrenzen bringen", sagte der Rechtsanwalt. Aufgrund einer Intelligenzminderung habe der 34-Jährige eine niedrigere Stress- und Frustrationstoleranz. Sein Mandant "war mit dieser Situation komplett überfordert, er stand unter Stress, unter Druck", erklärte der Verteidiger.

Der Angeklagte "hat etwas furchtbar Dummes, einen Fehler gemacht", "er hat sich dabei nichts Böses gedacht", sagte der Rechtsanwalt. "Er wollte einfach, dass das Baby aufhört zu schreien."

Die Folgen, wenn man jemandem ein Papiertaschentuch in den Mund steckt, konnte der 34-Jährige abschätzen. "Ich habe mir nichts dabei gedacht", erzählte er dennoch. Nachdem er seinem Sohn das Tuch in den Mund gesteckt hatte, "hat er die Augen verdreht". Der Angeklagte hatte laut seinen Angaben "ein, zwei Minuten" zugeschaut und dann versucht, das Taschentuch herauszuziehen. "Ich wollte es alleine schaffen", meinte der Mann auf die Frage des Richters, warum er nicht sofort beim Wickeln um Hilfe gerufen habe. Der Angeklagte aus dem Bezirk St. Pölten-Land hat neun Jahre Sonderschule absolviert und ist ohne Beschäftigung.

"Ich habe seitdem Albträume"

Der Vater soll zunächst gesagt haben, er habe mit einem Taschentuch Erbrochenes weggewischt und das Baby habe sich den Fremdkörper selbst in den Mund gestopft. Aus Angst habe sie damals nicht die Wahrheit geäußert, das Thema sei lange "totgeschwiegen" worden, sagte die heute 35-jährige Mutter als Zeugin: "Ich habe seitdem Albträume." Weil sie damals mit dem Färbemittel in den Haaren nicht zu ihrem Sohn gehen wollte, habe sie ihren damaligen Lebensgefährten zum Wickeln geschickt. "Plötzlich war es seltsam still", erinnerte sich die Frau, die daraufhin ins Nebenzimmer ging. "Ich bin dortgestanden wie erstarrt" und ihr seien die Tränen runtergeronnen.

"Die Schreie sind dumpfer geworden, dann hat er uns gerufen", erzählte die Freundin der 35-Jährigen. Weil das Taschentuch beim Eintreffen der Rettung schon so weit unten war, dass es nicht mehr zu sehen war, wurde der Notarzt verständigt, berichtete ein Sanitäter.

Der Vorfall Anfang 2016 löste einen Sauerstoffmangel und Herz-Kreislauf-Stillstand aus, sagte Gutachter Wolfgang Denk. Es kam zu "erheblicher Substanzschädigung des Gehirns". Nach Aufenthalten in mehreren Krankenhäusern wurde schließlich die Therapie des Babys reduziert, der Säugling starb am 12. Mai 2016.

Lange Zeit hatte sie mit ihren Partner nicht über den Tod ihres gemeinsamen Sohnes gesprochen, sagte die 35-Jährige. Erst Anfang dieses Jahres soll die Frau Anzeige bei der Polizei erstattet haben, weil sie der Niederösterreicher mit dem Umbringen bedroht haben soll. Die 35-Jährige hatte heuer am 22. Februar ausgesagt. Schließlich wurde der 34-Jährige, der sich bis zum Prozess auf freiem Fuß befand, wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang angeklagt.

Beschuldigter nicht per se "ein Verbrecher"

Der Beschuldigte sei nicht per se "ein Verbrecher, ein böser oder schlechter Mensch", meinten die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger in den Schlussvorträgen übereinstimmend. Es sei ein "gravierender Fehler" begangen worden, der dem 34-Jährigen trotz seiner Intelligenzminderung angelastet werden kann, sagte die Vertreterin der Anklagebehörde.

Der Richter sprach von einem "massiven Misshandlungsverhalten" des Beschuldigten. "Es gibt keine gerechte Strafe dafür", meinte er, es brauche ein Urteil, "das auch die Leute zum Nachdenken bringt". "Offenbar hatten Sie doch Gewissensbisse", sagte der Richter zum 34-Jährigen. Deshalb habe der Beschuldigte nicht seine erste Version des Vorfalls, das Baby habe sich das Taschentuch durch den Greifreflex selbst in den Mund gestopft, aufrechterhalten.

Bei einem Strafrahmen von ein bis zehn Jahren wirkten sich das Geständnis, die Unbescholtenheit und marginal auch die eingeschränkte Schuldfähigkeit mildernd aus. Als erschwerend wurde die Tat an einem nahen, besonders schutzbedürftigen Angehörigen angesehen. Außerdem erging die Weisung, die bereits begonnene Psychotherapie fortzusetzen. Zudem wurde Bewährungshilfe angeordnet.

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