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Toter Bub in Kitzbüheler Ache: Vater beteuert Unschuld

Von nachrichten.at/apa, 17. Juli 2024, 11:49 Uhr
Der Angeklagte im Prozess wegen Mordverdachts, im Falle eines sechsjährigen Buben, der im August 2022 tot in der Kitzbüheler Ache gefunden worden war. Bild: EXPA/JOHANN GRODER (APA/EXPA/JOHANN GRODER)

INNSBRUCK. Im Fall eines sechsjährigen Buben, der im August 2022 tot in der Kitzbüheler Ache in St. Johann in Tirol gefunden worden war, hat am Mittwoch am Landesgericht Innsbruck der Prozess gegen den 39-jährigen Vater wegen des Verdachts des Mordes begonnen.

Der Angeklagte bekannte sich zu Beginn nicht schuldig. Während die Staatsanwaltschaft gegenteilige Beweise ins Treffen führte, konnte die Verteidigung nur "Hinweise" erkennen. Gutachten belasteten den Mann indes.

Der 39-Jährige zeigte sich zu Beginn seiner Befragung vor Richter Andreas Fleckl emotional mitgenommen - er sei schließlich mit einer "heftigen Anklage" konfrontiert. Als ihn der Richter bat, die Ereignisse in jener Nacht zu beschreiben, brach er in Tränen aus. Sein Sohn sei in der regnerischen Nacht wie so oft unruhig gewesen, er habe daher wie üblich einen "Spaziergang" unternommen. Seine letzte Erinnerung sei "ein Blitzschlag im Kopf" gewesen, blieb er bei einem angeblichen Raubüberfall mitsamt folgender Ohnmacht.

Video: Auftakt zum Prozess unter großem öffentlichen Interesse

Bereits bei seiner Befragung im Krankenhaus habe er den Beamten schließlich von einem auffälligen Mann mit Kapuzenpullover erzählt. Dieser sei "aus dem Dunklen" gekommen. Im Spital sei "Panik" in ihm hochgestiegen, da er Angst hatte, dass sein Sohn, der sich von Wasser stark angezogen gefühlt habe, in die Ache gefallen sein könnte. Zu diesem Zeitpunkt war der Bub noch nicht gefunden gewesen. Er wurde wenig später tot auf einer Sandbank entdeckt.

"Ich hatte kein Motiv"

"In erster Linie bin ich Papa", erzählte der Angeklagte zu Beginn einer zweiten Befragung am Nachmittag. Ausführlich schilderte der Deutsche die vielfältigen Bemühungen um seinen Sohn wegen dessen Gendefekts. Auf mehreren Ebenen hätten sich aber im Laufe des Jahres 2022 entscheidende Fortschritte eingestellt. "Es gibt viele Sechsjährige, die schwieriger zu handhaben sind als er", beschrieb der 39-Jährige die zuletzt vorliegende Situation. Die Betreuungssituation war zuletzt "die beste, die wir jemals hatten", stellte der Mann den verwehrten Kindergartenplatz als Motiv in Abrede. Auch bezüglich Forschung und zukünftiger Heilungsaussichten sei man zuletzt zuversichtlich gewesen. "Mein Blick auf die Zukunft war voller Vorfreude", versicherte der Angeklagte: "Ich hatte kein Motiv, meinem Kind so etwas anzutun."

"Eine große Bereicherung"

Seinen Sohn zu Grabe zu tragen, sei "das schlimmste, was ich je im Leben erlebt habe". Er habe sofort psychologische Hilfe benötigt und sei "auf allen Ebenen am Ende" gewesen. "Mein Sohn war einer der tollsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte", so der Angeklagte unter Tränen. Dieser habe das Leben viel mehr wertgeschätzt als andere. "Jede einzelne Schneeflocke hat er gefeiert", erinnerte er sich: "Das ist nicht nur eine Belastung, sondern auch eine große Bereicherung für eine Familie". "Ich hatte einfach so viel mit ihm vor", der Verlust sei weiterhin unbegreiflich. Ebenso sei "unerträglich", dass der eigentlich dafür Verantwortliche weiter auf freiem Fuß sei.

Gutachten belastet Vater

Das Gutachten von Gerichtsmediziner Walter Rabl belastete den Angeklagten indes. Der 39-Jährige habe eine kleine Rissquetschverletzung am Hinterkopf und einige Abschürfungen im Gesicht gehabt. "Die Verletzung ist nicht übereinstimmend mit der langen Bewusstlosigkeit. Üblicherweise gibt es da gar keine Bewusstlosigkeit", hielt Rabl vor Gericht fest. "Bei einem wuchtigen Schlag mit einer Flasche würden andere Verletzungen auftreten", sagte der erfahrene Experte bezüglich der im Raum stehenden Tatwaffe. Die Verteidigung fragte indes nach einer zweiten Verletzung am Hinterkopf, die zur Bewusstlosigkeit führen hätte können. Rabl verneinte dies und sprach vielmehr von einem "Probierschlag".

Auch für die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter war eine lange Bewusstlosigkeit aus neurologischer Sicht nicht erklärbar, es gebe keinen "objektiven Grund" dafür. Eine Kombination aus einem Schlag und einer Ermüdung, wie von einem hinzugezogenen Experten der Verteidigung nahegelegt, schloss die Gutachterin aus. Dem Angeklagten attestierte sie indes psychisch gesund zu sein.

Sektflasche als Tatwaffe?

Staatsanwalt Joachim Wüstner hatte sich indes zuvor in seinem Eröffnungsplädoyer von der Schuld des Angeklagten eindeutig überzeugt gezeigt und auf Gutachten der Gerichtsmedizin sowie der psychiatrischen Sachverständigen verwiesen. Auch würden Videoaufnahmen zeigen, dass sich die Tatwaffe – eine Sektflasche – im Kinderwagen befunden hätte und darauf DNA-Spuren vom Kind nachweisbar gewesen seien. Es gebe keine DNA-Spuren von einem etwaigen Täter am Handy oder der Kleidung des Angeklagten - somit sei dies nicht mit dem angeblichen Raubüberfall in Einklang zu bringen. Das Handy - damals das neueste iPhone - sei nicht gestohlen, sondern in einem Mistkübel entsorgt worden und am Schrittzähler seien "die Schritte des Räubers" nicht aufgezeichnet worden, argumentierte der öffentliche Ankläger. Aus der Handyauswertung ging hervor, dass der Mann kurze Zeit vor dem Tod des Kindes nach dem Wort "ohnmächtig" gesucht habe.

Wüstner räumte ein, dass der Vater sein gesundheitlich beeinträchtigtes Kind "sicherlich geliebt" und sich "jahrelang aufgeopfert" habe. Als die Suche nach einem Kindergartenplatz in jenem Sommer gescheitert sei, habe sich der 39-Jährige in einer Nachricht an die Mutter gefragt, "wie viele Rückschläge man verkraften" könne. "Vielleicht wollte er sein Kind erlösen, vielleicht wollte er seine Familie erlösen", meinte er.

"Liebevolle Beziehung"

Verteidiger Mathias Kapferer betonte dagegen vielmehr die "liebevolle Beziehung" zwischen Vater und dem Kind und merkte an, dass auch zwischen die Eheleute "kein Blatt Papier passt". Der erkrankte Bub habe zudem vor seinem Tod erhebliche Fortschritte gemacht, seine Prognose sei gut gewesen. Auch sei die Betreuung gesichert gewesen, ein fehlender Kindergartenplatz könne nicht als Motiv dienen.

Insgesamt gebe es in dem Verfahren "überhaupt keine Beweise", meinte Kapferer, der den 39-Jährigen gemeinsam mit Anwalt Albert Heiss vertritt. Er kritisierte das polizeiliche Ermittlungsverfahren, so seien etwa Glasscherben "vom Straßenkehrer von St. Johann zusammengekehrt und entsorgt" worden. Der Schrittzähler sei "fehlerhaft" gewesen. Zudem habe man ein Beweisvideo nicht rechtzeitig gesichert, das einen Unbekannten zeigen würde. Auf der Kleidung des Buben sei außerdem die DNA eines "fremden Mannes" entdeckt worden sein, verwies der Verteidiger auf private Gutachten. Dass sein Mandant nach dem Begriff "ohnmächtig" gesucht habe, habe mit einer Frage seiner Tochter nach Quallen zu tun gehabt.

Raubüberfall oder Mord?

In dem für großes Aufsehen sorgenden Fall war man ursprünglich von einem Raubüberfall auf den Vater ausgegangen. Es hatte danach ausgesehen, dass der Mann in der Nacht auf einer Promenade neben der Ache von einem Unbekannten mit einer Flasche bewusstlos geschlagen und beraubt worden war. Danach soll der Sechsjährige selbstständig aus dem Kinderwagen gestiegen, in die Hochwasser führende Ache gestürzt und dort ertrunken sein. Doch nach monatelangen, intensiven Ermittlungen, bei denen sich keine heiße Spur nach dem angeblichen Räuber herauskristallisierte, geriet der 39-Jährige selbst ins Visier und wurde schließlich am 27. Februar 2023 festgenommen. Konkrete Ermittlungsergebnisse sollen ihn schwer belasten.

Für den Schwurgerichtsprozess wurden angesichts des beträchtlichen Verhandlungsumfanges drei Verhandlungstermine anberaumt. Es sollen 25 Zeugen gehört werden. Verhandelt wird auch noch diesen Donnerstag und am 1. August. Der Prozess wird unter großem Medieninteresse geführt. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten aus ganz Österreich und Deutschland verfolgten das Verfahren.

Dieser Artikel wurde zuletzt um 17:37 Uhr aktualisiert. 

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