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Vorbeischlängeln, das ungeliebte Recht

Von Carsten Hebestreit, 18. April 2017, 00:04 Uhr

Motorradfahrer dürfen an einer stehenden Kolonne vorbeifahren und sich vor der Ampel einreihen. Doch was genau ist erlaubt – und was nicht? Die OÖN haben in der ÖAMTC-Rechtsabteilung nachgefragt.

Scheibenwaschanlage betätigen, um den Motorradfahrer nasszuspritzen. Aus der Kolonne ausscheren, um den Biker zu blockieren. Oder einfach den Stinkefinger zeigen: Autofahrer werden oft aggressiv, wenn sich Motorradfahrer an einer stehenden Kolonne vorbeischlängeln. Dabei ist das Vorbeifahren das gute Recht der Biker. Das wissen viele Lenker nicht. Doch was genau erlaubt ist und vor allem was nicht – so weit reichen die Kenntnisse nicht. Wobei der Gesetzestext ohnehin schwammig formuliert ist. Wir haben in der ÖAMTC-Rechtsabteilung nachgefragt.

Der Gesetzestext

§ 12 Absatz 5 StVO lautet: "Müssen Fahrzeuge vor Kreuzungen, Straßenengen, schienengleichen Eisenbahnübergängen und dergleichen angehalten werden, so dürfen die Lenker einspuriger, später ankommender Fahrzeuge nur dann neben oder zwischen den bereits angehaltenen Fahrzeugen vorfahren, um sich mit ihren Fahrzeugen weiter vorne aufzustellen, wenn für das Vorfahren ausreichend Platz vorhanden ist und die Lenker von Fahrzeugen, die ihre Absicht zum Einbiegen angezeigt haben, dadurch beim Einbiegen nicht behindert werden."

Dieser Gesetzestext lässt Interpretationen offen, ÖAMTC-Jurist Lukas Thallinger beantwortete unsere Fragen.

 

1. Wo dürfen Motorradfahrer stehen bleiben – vor oder hinter der Haltelinie?

Verboten ist, sich vor der Haltelinie hinzustellen – egal, ob dort ein Zebrastreifen entlangführt oder nicht. Wenn zwischen Haltelinie und erstem stehenden Auto kein Platz ist, muss sich der Biker vorher einreihen. Und zwar entweder zwischen zwei Autos oder neben einem Auto – sofern dort Platz ist. Generell gilt: Vorbeifahren ist nur erlaubt, wenn "ausreichend" Platz vorhanden ist. Der Oberste Gerichtshof hat im Verfahren gegen einen Radfahrer einen seitlichen Abstand von 1,40 Metern als "ausreichend" eingestuft. "Dieser Abstand gilt auch für Motorradfahrer", sagt Lukas Thallinger.

2. Darf auf einer Busspur vorbeigefahren werden?

Nein, Busspuren dürfen generell nicht befahren werden, außer dies ist auf Verkehrszeichen extra vermerkt.

3. Dürfen Motorradfahrer eine Sperrlinie überfahren, um nach vorne fahren zu können?

Nein, Sperrlinien dürfen nicht überfahren werden. Weder von der einen noch der anderen Seite. Das heißt auch, dass sich Motorradfahrer, die an einer Kolonne vorbeifahren, wieder einreihen müssen, bevor die Sperrlinie kurz vor der Kreuzung beginnt.

4. Dürfen Motorradfahrer auf einer Linksabbiegespur an einer Kolonne vorbeifahren?

Ja, sofern der seitliche Abstand zu den Autos eingehalten wird. Prinzipiell gilt: Werden die 1,40 Meter nicht unterschritten, darf links oder rechts an einer stehenden Kolonne vorbeigefahren werden. Erlaubt ist hierbei auch, die Seiten von rechts nach links oder umgekehrt zu wechseln – wenn, logisch, "der Abstand zu den Autos eingehalten wird", so Lukas Thallinger.

5. Darf an einer stehenden Kolonne auf einer Linksabbiegespur rechts oder links vorbeigefahren werden?

Links darf vorbeigefahren werden, wenn der Abstand passt und keine Sperrlinie überfahren wird. Auch rechts darf auf der Geradeausspur vorbeigefahren werden. Wichtig ist nur: vor der Haltelinie einreihen, nicht dahinter.

6. Was tun, wenn die Ampel auf Grün umschaltet und sich die Kolonne langsam in Bewegung setzt?

Der Biker muss sein Fahrzeug zwar nicht anhalten, jedoch seine Geschwindigkeit an die der Kolonne anpassen und sich wieder entsprechend einordnen.

7. Wo darf ein Motorradfahrer stoppen, wenn zwei Haltelinien aufgezeichnet sind?

Die Fläche zwischen der ersten und zweiten Haltelinie ist Fahrradfahrern und anderen Einspurigen vorbehalten. Es dürfen also auch Motorradfahrer diesen freien Raum benutzen.

 

Überholen mit dem Motorrad (PDF):

Download zum Artikel

Überholen mit dem Motorrad

PDF-Datei vom 14.04.2017 (5.770,86 KB)

PDF öffnen

Tipps für die Praxis

Das juristische Korsett ist eng. Vieles ist erlaubt, etliches auch wieder nicht. Doch wie sieht die Praxis aus? Wir haben ÖAMTC-Instruktor Erwin Machtlinger gefragt. Seine Tipps:

  • Ganz wichtig: Beim Vorbeifahren immer bremsbereit sein. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass zwischen den stehenden Fahrzeugen ein Fußgänger die Straße quert.
  • Wichtig ist der Abstand zwischen den Fahrzeugen. Es kann sein, dass plötzlich ein Fahrzeug umdreht, ein Lenker die Tür öffnet, link abbiegt etc. Je mehr Abstand, desto besser.
  • Nach der Winterpause sind die Biker noch nicht 100 Prozent in Form. Auch die Pkw-Lenker müssen sich erst wieder an die Zweiradfahrer gewöhnen.
  • Defensiv fahren.
  • Der richtige Abstand verschafft dem Biker den Sicherheitspolster, um Fehler von anderen Verkehrsteilnehmern zu korrigieren.

 

Umfrage

Verständnis oder Stinkefinger? Welche Erfahrungen machten Biker beim Vorbeischlängeln?

"Natürlich zwicke ich mich gerne an stehenden Kolonnen vorbei. Oft bekomme ich den Stinkefinger zu sehen. Einmal hat ein Pkw-Lenker sein Auto kurz scharf nach links verlenkt, um mir die Vorbeifahrt zu blockieren."
Hubert Niedermayr, Steyr

"Ich fahre vorbei, wenn Platz ist. Droht Stress, warte ich lieber. Obwohl: Ein Autofahrer hat mich schon mal mit Scheibenwaschwasser absichtlich nassgespritzt. Bei Radfahrern schimpfen Autofahrer übrigens mehr."
Stefan Hartwich, Linz

"Wenn der Verkehr steht, dann passt’s. Aber du weißt natürlich nie, wann die Ampel auf Grün umschaltet. Wenn die Kolonne dann losfährt, während du noch vorbeifährst, kann’s richtig gefährlich werden."
Andi Grillnberger, Walding

"Ich fahre mit meiner Harley langsam vorbei. Aber wenn mich Autofahrer im Rückspiegel sehen, scheren manche aus. Einmal wurde ich abgedrängt. Leider ist die gegenseitige Rücksichtnahme verloren gegangen."
Karsten Metzkow, Linz

"Gar keinen Vorteil soll man haben als wind- und regengepeitschter Motorradfahrer! Vorbeifahren an der stehenden Kolonne – eh klar. Und wenn die Kelle kommt, lieb sein zum Kieberer."
Klaus Buttinger, OÖN-Motorradprofi aus Wels

 

 

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3  Kommentare
3  Kommentare
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KeinSpieler (716 Kommentare)
am 11.05.2017 11:02

Das mit dem 1,40m-Abstand ist gut zu wissen - der ist nämlich vor Kreuzungen nur gegeben, wenn eine weitere Spur neben der stehenden Autokolonne frei und durch keine Sperrlinie getrennt ist. Meist zwicken sich die Radfahrer ( seltener die Motorradfahrer) so zwischen den Kolonnen durch, dass sie gerade nicht das Auto zerkratzen

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AndreasHofer (182 Kommentare)
am 03.05.2017 07:13

Ich bin kein Motorradfahrer, aber ich habe noch einen Gedanken an dieses Thema verschwendet!

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benzinverweigerer (14.816 Kommentare)
am 18.04.2017 15:49

Am Zweirad, egal welchem, hat die STVO bestenfalls Vorschlagscharakter! grinsen

Warum sollen Autofahrer deppert werden, wenn Zweiräder schneller vorwärts kommen?
Habe noch nie bemerkt, dass sich jemand beschwert hätte.

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