Tote bei Protesten gegen Taliban in Jalalabad
KABUL. Bei gegen die militant-islamistischen Taliban gerichteten Protesten in Jalalabad in Afghanistan sind am Mittwoch mindestens drei Menschen gestorben. Dutzende wurden verletzt, teilten Augenzeugen und ein früherer Polizeivertreter der Nachrichtenagentur Reuters mit.
Zuvor hatte es Berichte über Verletzte bei einer Massenpanik am Flughafen Kabul gegeben.
Nach Angaben eines NATO-Vertreters wurden bei der Massenpanik bei einem Tor zum Flughafen in Kabul 17 Menschen verletzt. Der Vertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, erklärte, er habe keine Hinweise auf Übergriffe von Taliban-Kämpfern außerhalb des Flughafens.
Rund um den Flughafen in Kabul harrten Hunderte Menschen aus, berichteten Augenzeugen der dpa. Kinder, Frauen und Männer hielten sich in den Straßen um das Flughafengelände auf. Viele hätten dort auch übernachtet. Afghanische Zivilsten seien aufgefordert worden nicht zum Flughafen zu kommen, es sei denn, sie hätten einen Reisepass und ein Visum. Am Mittwoch hieß es, das US-Militär entscheide abhängig von der jeweiligen Lage über Öffnung und Schließung bestimmter Zugänge zum Flughafen.
Unklar war, ob es neben Evakuierungsflügen am Mittwoch auch wieder kommerzielle Flüge gab oder geben sollte. In den vergangenen 24 Stunden wurden nach Angaben eines westlichen Informanten rund 5.000 Diplomaten, Sicherheitskräfte, Entwicklungshelfer und Afghanen aus Kabul evakuiert. Jedoch mehren sich Zweifel, dass möglichst alle Ortskräfte aus dem Land gebracht werden können, die westlichen Ländern geholfen haben und mögliche Racheakte der Taliban fürchten.
Ständig Evakuierungsflüge
Deutschland und Frankreich schickten bereits Evakuierungsflüge nach Afghanistan. Laut deutschem Verteidigungsministerium wurden bisher über 450 schützenswerte Personen ausgeflogen. Weitere Flüge der Bundeswehr seien in Planung. Die deutsche Regierung beschloss am Mittwoch zudem einen bis September dauernden Einsatz von bis zu 600 Bundeswehrsoldaten für die Evakuierungsaktion in Kabul.
Frankreich flog in der Nacht auf Mittwoch weitere 216 Menschen aus Afghanistans Hauptstadt Kabul aus. An Bord der zweiten französischen Maschine ins Golf-Emirat Abu Dhabi waren neben 184 Afghanen und 25 Franzosen auch Menschen aus den Niederlanden, Kenia und Irland, wie Außenminister Jean-Yves Le Drian in Paris mitteilte. Eine erste Gruppe von 41 Franzosen und anderen Staatsangehörigen war bereits am Dienstag in Paris gelandet.
Militärmaschinen aus Tschechien und Polen brachten ebenfalls Menschen aus Afghanistan am Mittwoch in Sicherheit. Italien will eine Luftbrücke zur Evakuierung von Menschen aus Afghanistan einrichten.
Chaos hatte zuvor das Ausfliegen niederländischer Ortskräfte verhindert. "Es ist schrecklich. Viele standen mit ihren Familien vor den Toren des Flughafens", sagte Außenministerin Sigrid Kaag. Ein mit anderen nordeuropäischen Ländern gemeinsam betriebenes Militärflugzeug habe Kabul deshalb nahezu leer wieder verlassen müssen.
Präsident in die VAI geflüchtet
Der vor den Taliban geflohene afghanische Präsident Ashraf Ghani hält sich samt seiner Familie in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf. Das bestätigte das Außenministerium des Golfstaates. Er werde "aus humanitären Gründen im Land willkommen geheißen". Nach Angaben der russischen Botschaft in Kabul vom Montag war Ghani mit vier Wagen und einem Hubschrauber voller Geld aus Afghanistan geflohen.
Gespräche gab es indes zwischen den Taliban und Ex-Präsident Hamid Karzai. Auch das ranghohe Mitglied der bisherigen Regierung, Abdullah Abdullah, sei bei dem Treffen dabei gewesen, sagt ein Taliban-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Auf Taliban-Seite habe der Anführer der Haqqani-Gruppe, Anas Haqqani, teilgenommen. Details zu den Gesprächen nannte der Taliban-Vertreter nicht. Es sei noch zu früh zu sagen, ob die Taliban in ihre neue Regierung auch Mitglieder früherer Regierungen einbeziehen würden, erklärt er. Karzai war von 2001 bis 2014 afghanischer Präsident.
In Afghanistan hielt sich indes das Misstrauen gegenüber den neuen Machthabern - trotz der Versprechen der Taliban, auf Racheakte zu verzichten und Frauenrechte innerhalb islamischer Gesetze zu respektieren. Die Frauen-Aktivistin Pashtana Durrani sagte Reuters: "Sie müssen ihren Worten Taten folgen lassen. Im Moment tun sie das nicht." Die Taliban bekräftigten erneut, sie seien bereit, Beziehungen zu ausländischen Staaten aufzubauen. Ihre Führer würden aus dem Schatten treten und sich der Welt zeigen, kündigte ein Sprecher an.
"Auch, wenn sich Medienberichten zufolge die Lage nach der Machtübernahme durch die Taliban scheinbar punktuell ein wenig beruhigt, die Situation ist weiterhin höchst volatil und für weite Teile der Bevölkerung lebensgefährlich", warnte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, in einer Aussendung am Mittwoch. "Diese Menschen den Taliban auszuliefern, ist ein absolutes No Go." "Hilfe vor Ort bedeutet momentan vor allem offene Fluchtwege, eine adäquate Versorgung der Geflüchteten in den Nachbarstaaten und die sofortige Evakuierung all jener, die um ihr Leben fürchten müsse", so die Sprecherin.