Angriff auf Flüchtlingslager im Gazastreifen: mehr als 70 Tote
GAZA/TEL AVIV. Bei neuen israelischen Angriffen im Gazastreifen sind laut dem von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums rund 70 Menschen getötet worden.
Es seien mehrere Familien im Flüchtlingsviertel Al-Maghasi im zentralen Abschnitt des schmalen Küstenstreifens betroffen, teilte ein Sprecher des Ministeriums am Sonntag mit. Die israelische Armee meldete ihrerseits die Bergung der Leichen von fünf Geiseln aus einem Tunnelnetzwerk im nördlichen Gazastreifen.
Die sterblichen Überreste der am 7. Oktober aus Israel verschleppten Männer und Frauen seien in einem sehr weitreichenden und tiefen Tunnelsystem im Bereich des Flüchtlingsviertels Jabalia gefunden worden, hielt das Militär am Sonntag fest. Laut "Jerusalem Post" waren zwei der Leichen bereits vor zwei Wochen gefunden worden. Drei weitere seien einige Tage später entdeckt worden. Das Tunnelnetzwerk habe als Kommandozentrale der islamistischen Hamas im nördlichen Gazastreifen gedient, hieß es in der Mitteilung der Armee. Sprecher Daniel Hagari zufolge waren von dort aus auch die Angriffe auf Israel am 7. Oktober koordiniert worden.
Alle Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die israelische Armee teilte zur vermeldeten Attacke auf das Flüchtlingscamp mit, man untersuche die Berichte. Es sei wahrscheinlich, dass die Zahl noch weiter steige, sagt der Sprecher der Hamas-geführten Gesundheitsbehörde. "Was im Lager Maghazi geschieht, ist ein Massaker in einem überfüllten Wohngebiet", meinte er. Mehrere Häuser seien beschädigt worden. Es sei wahrscheinlich, dass die Zahl noch weiter steige. Die radikal-islamische Hamas verurteilte den Angriff als "schreckliches Massaker" und "ein weiteres Kriegsverbrechen" Israels.
Israel hat nach Angaben eines Militärsprechers bisher etwa 8000 palästinensische Kämpfer im Gazastreifen getötet. Die Zahl ergebe sich aus Zählungen nach gezielten Angriffen und Kämpfen am Boden sowie aus Verhören von Gefangenen, hieß es. Im umkämpften Gazastreifen leben nach UN-Schätzungen gegenwärtig rund 50.000 Schwangere. Es gebe jeden Tag mehr als 180 Geburten, teilte das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA am Sonntag auf der Plattform X mit. "Ärzte und Hebammen unternehmen alles Mögliche, um sich in sieben (von 22) noch einsatzfähigen UNRWA-Gesundheitszentren um Wöchnerinnen und Hochrisiko-Schwangere zu kümmern", hieß es weiter.
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Die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen ist vielerorts sehr schlimm. Menschen kampieren in provisorischen Zeltlagern oder im Freien, bei zunehmend schlechtem Wetter.
Israel reagiert mit seinen Angriffen auf das Hamas-Massaker vom 7. Oktober mit mehr als 1.200 Toten sowie die Verschleppung von mehr als 240 Menschen in den Gazastreifen.
Nach Angaben des UN-Nothilfebüros sind im Gazastreifen inzwischen mehr als 1,9 Millionen Menschen Binnenflüchtlinge, also etwa 85 Prozent der Bevölkerung. Viele davon haben in überfüllten UNRWA-Einrichtungen Schutz gesucht.
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, schrieb auf X: "Die Dezimierung des Gesundheitssystems in Gaza ist eine Tragödie." Angesichts der ständigen Unsicherheit und der Ankunft neuer Verletzter setzten sich Ärzte, Krankenschwestern und Krankenwagenfahrer aber weiter dafür ein, Leben zu retten.
Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi forderte am Sonntag erneut eine humanitäre Feuerpause. Dies sei die einzige Möglichkeit, um Notleidende in dem blockierten Küstenstreifen zu erreichen, eine Freilassung der Geiseln zu erreichen sowie eine weitere Vertreibung und vor allem weiteren Verlust menschlichen Lebens zu verhindern, schrieb er auf X. "Krieg widerspricht der Logik und Menschlichkeit und bereitet eine Zukunft von mehr Hass, weniger Frieden, vor."