"Nach Spaziergang zusammengebrochen": Russischer Oppositionsführer Nawalny ist tot
MOSKAU. Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny ist tot. Das teilte die Gefängnisverwaltung am Freitag mit.
Aus dem Kreml hieß es, man habe "keine Information über die Todesursache". Es würden aber alle erforderlichen Untersuchungen durchgeführt. Kreml-Chef Wladimir Putin sei vom Tode seines Widersachers in Kenntnis gesetzt worden. Erst diese Woche hatte es Berichte gegeben, dass Nawalny bereits zum 27. Mal für eine Dauer von 15 Tage in Einzelhaft gebracht worden sei.
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Wie es in der Gefängnismitteilung hieß, fühlte sich Nawalny nach einem Spaziergang am Freitag "unwohl". Er habe dann "fast sofort das Bewusstsein verloren". Die alarmierten Ärzte hätten es nicht geschafft, den Häftling wieder zu beleben.
Familie entsetzt
Seit langen schon wirft Nawalnys Team dem Kreml vor, den Oppositionsführer töten zu wollen. 2020 überlebte er nur knapp einen Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok. Für den Kreml galt Nawalny auch im Straflager als Ärgernis und Störfaktor, weil er vor der genau in einem Monat angesetzten Präsidentenwahl zu Protesten gegen Putin aufrief. Seine Familie zeigte sich entsetzt über die Nachricht. Noch in dieser Woche habe sie ihren Sohn besucht und "lebendig, gesund und lebenslustig" erlebt, sagte Nawalnys Mutter Ljudmila.
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Seine Ehefrau Julia Nawalnaja erklärte in München sichtlich erschüttert, sie könne den Tod ihres Mannes nicht bestätigen, Putins Staatspropaganda sei verlogen. Aber sollte die Nachricht stimmen, müsse sich Putin für den Tod ihres Mannes verantworten, sagte sie auf der Sicherheitskonferenz. Putin und seine Unterstützer dürften nicht straflos davonkommen für das, "was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben".
Immer wieder hatte der Familienvater fehlende medizinische Hilfe, Schikane und sogar Folter im Straflager beklagt. Bis zuletzt zeigte sich der abgemagerte und sichtlich geschwächte Politiker aber etwa bei Auftritten bei Gerichtsverhandlungen entschlossen in seinem Ziel, ein "Russland ohne Putin" erreichen zu können.
Video veröffentlicht
Unabhängige russische Medien veröffentlichten kurz nach dem Tod Nawalnys ein Video, das den Oppositionellen während eines Gerichtstermins am Donnerstag zeigen soll. Nur einen Tag vor seinem Tod habe Nawalny den Umständen entsprechend noch "fröhlich, gesund und munter" gewirkt, schrieben etwa die Journalisten des Kanals "Sota" am Freitag auf Telegram. Dazu zeigten sie einen rund 30 Sekunden langen und tonlosen Clip, auf dem zu sehen ist, wie Nawalny spricht und lächelt. Er war demnach per Videoschaltung in den Gerichtssaal zugeschaltet.
Der russische Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow bezeichnete den Tod Nawalnys als "Mord". Er sei der Ansicht, dass die Haftbedingungen zu Nawalnys Ableben geführt hätten, sagt der Jounalist zur Nachrichtenagentur Reuters. Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin sagte, er bete dafür, dass sich die Informationen über seinen Tod als unwahr erweisen würden. "Nawalny ist einer der talentiertesten und mutigsten Menschen Russlands", schrieb er auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Dem Kriegsgegner Nadeschdin war ein Antreten bei der russischen Präsidentenwahl im März verweigert worden.
Aus dem Team Nawalny hieß es, man könne den Tod nicht bestätigen. "Die russischen Behörden haben ein Geständnis publiziert, dass sie Alexej Nawalny im Gefängnis getötet haben. Wir haben keine Möglichkeit, das zu bestätigen." . Sein Anwalt Leonid Solowjow sagte der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta": "Auf Entscheidung von Alexej Nawalnys Familie kommentiere ich überhaupt nichts."
Jahrelange Haft in Strafkolonie
Der 47-Jährige hat eine jahrelange Haft in einer Strafkolonie verbüßt. Verurteilt wurde Nawalny unter anderem wegen Extremismus, er hat den Vorwurf stets bestritten. Seine politische Bewegung wurde verboten, enge Mitarbeiter wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland. Das Regime von Kreml-Chef Wladimir Putin hatte im Jahr 2020 versucht, ihn mittels eines Giftanschlags aus dem Weg zu räumen. Auf internationalen Druck wurde Nawalny nach Deutschland gebracht, wo er in der Berliner Charité behandelt wurde.
Nach seiner Genesung entschloss sich Nawalny zur Rückkehr nach Russland, wurde aber am 17. Jänner 2021 noch auf dem Moskauer Flughafen verhaftet. Im vergangenen Dezember war der als politischer Gefangener eingestufte Politiker über mehrere Wochen verschwunden. Im Nachhinein erwies sich, dass die Justiz ihn aus dem europäischen Teil Russlands in ein Straflager im hohen Norden Sibiriens verlegt hatte. Nawalny vermutete, dass er dort vor der Präsidentenwahl im März möglichst isoliert werden soll.
Scharfe internationale Reaktionen
Erste internationale Reaktionen auf den Tod Nawalnys fielen scharf aus. EU-Ratspräsident Charles Michel würdigte den Verstorbenen als "Kämpfer für die Werte von Freiheit und Demokratie". Der Gefängnistod des Oppositionsführers "erinnert uns an die Realität des Regimes von Wladimir Putin", teilte der französische Außenminister Stéphane Séjourné mit. Der Widerstand gegen das Unterdrückungsregime Putins habe Nawalny das Leben gekostet. Der lettische Präsident Edgars Rinkevics sagte, dass Nawalny "vom Kreml brutal ermordet" wurde. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich "zutiefst betrübt und beunruhigt" und forderte umfassende Aufklärung.
Die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger bezeichnete ihn als "Verbrechen". Indem sich Nawalny Russlands Präsident Wladimir Putin "entgegenstellte und für Freiheit und Menschenrechte kämpfte, hat er großen Mut bewiesen", erklärte die FDP-Politikerin am Freitag im Online-Dienst X (vormals Twitter). "Dafür musste er mit seinem Leben bezahlen. Heute ist ein schwarzer Tag. Meine Gedanken sind bei seiner Familie." Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete Nawalny als "Helden".
Nawalny wurde international als politischer Gefangener anerkannt. Die USA, die EU und Österreich hatten wiederholt die sofortige Freilassung des Oppositionspolitikers gefordert. Russland wies dies aber als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten zurück. Der Kreml teilte auch mit, dass er sich nicht um das Schicksal von Gefangenen in Russland kümmern könne.