Was ist ein EU-Defizitverfahren und wie läuft es ab?
BRÜSSEL. Während Österreich noch immer auf eine neue Regierung wartet, steigen die Staatsschulden und das Budgetloch wächst weiter. Ein EU-Defizitverfahren wird immer wahrscheinlicher.
Als die EU-Kommission im Sommer 2024 gegen insgesamt sieben EU-Mitgliedsstaaten ein Strafverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung einleitete, galt Österreich noch als frugaler Musterknabe in Brüssel. Mittlerweile hat sich der Wind gedreht.
Auch Österreich droht ein EU-Defizitverfahren: Die Republik macht mehr Schulden als erlaubt, das Defizit liegt bei rund vier Prozent des BIP. Wie die Maastricht-Kriterien der EU vorsehen, muss es wieder unter drei Prozent gebracht werden.
Warum greift die EU bei zu hoher Verschuldung ein?
Fehlentwicklungen in der Wirtschaftspolitik können Rückwirkungen auf alle Mitgliedstaaten haben. Um diese früh zu erkennen und gegensteuern zu können, gibt es das sogenannte Europäische Semester, einen Monitoring- und Koordinationsprozess. Die Regeln für diesen Prozess sind im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) festgelegt. Er ist der Rahmen für die Koordinierung und Überwachung der Finanzpolitik der einzelnen EU-Länder.
Er setzt sich aus einem sogenannten präventiven und einem korrektiven Arm zusammen. Der präventive Teil soll insbesondere Etatdisziplin und damit vorsorglich die Vermeidung übermäßiger Defizite gewährleisten. Liegt dennoch ein übermäßiges Defizit in einem Mitgliedstaat vor, setzt der korrektive Arm an. Bei übermäßiger Verschuldung kann ein Defizitverfahren eingeleitet werden, das exzessive Staatsschulden abbauen soll.
Welche Fristen gilt es zu beachten?
Die EU-Kommission gibt Defizitsündern einen Pfad vor, wie sie die Verschuldung in den nächsten Jahren abbauen können. Dieser Referenzpfad deckt einen Zeitraum von vier Jahren ab, der bei entsprechenden Reform- und Investitionsvorhaben auf Antrag eines Staats auf bis zu sieben Jahre verlängert werden kann.
Was ist der Plan der Verhandler im Bund?
ÖVP-Chef Christian Stocker zufolge plant eine mögliche FPÖ-ÖVP-Regierung eine Budgetsanierung innerhalb von sieben Jahren. Konkret sollen heuer rund 6,4 Milliarden Euro eingespart werden, sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl am Montag. Damit könne man beim Defizit wieder unter drei Prozent des BIP liegen. Ein EU-Defizitverfahren wollen sowohl die Freiheitlichen als auch die Volkspartei um jeden Preis verhindern. Um das zu schaffen, muss schnellstmöglich ein glaubwürdiger Sanierungsplan nach Brüssel geschickt werden. Sollte das nicht passieren, kommt es definitiv zu einem Defizitverfahren gegen Österreich.
Die Maßnahmen der Verhandler müssten rechtzeitig vor dem nächsten Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin) am 21. Jänner in Brüssel eintreffen, und bewertet werden. Wenn die Kommission den neuen Budget-Pfad als ausreichend bewertet, kann ein Defizitverfahren vermieden werden. Die Wirtschafts- und Finanzminister würden dann auf Grundlage einer möglichen neuen Empfehlung der EU-Kommission entscheiden.
Welche Vorteile hätte ein Defizitverfahren?
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin haben sich für ein EU-Defizitverfahren gegen Österreich anstatt eines radikalen Sparkurses ausgesprochen, damit die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Eine sprunghafte Reduktion des Defizits auf die Maastricht-Höchstgrenze von 3 Prozent würde laut aktueller Wifo-Prognose das Wachstums um 0,5 bis 1 Prozentpunkt dämpfen.
Ein Defizitverfahren bietet in der Regel mehr Flexibilität, wenn außergewöhnliche wirtschaftliche oder finanzielle Krisen eintreten (z.B. Rezession, Naturkatastrophen oder unerwartete geopolitische Spannungen). In solchen Fällen erlaubt die EU, dass ein Land vorübergehend das Defizit überschreitet, um die Wirtschaft zu stabilisieren und notwendige Konjunkturmaßnahmen zu ergreifen. Eine strikte Begrenzung würde in solchen Zeiten zusätzliche Belastungen schaffen, da das Land möglicherweise gezwungen wäre, in einer Krise Kürzungen vorzunehmen oder Steuern zu erhöhen, was die Erholung verlangsamen könnte.
Wie läuft ein Defizitverfahren ab?
Die EU-Kommission erstellt einen Bericht, in dem ein übermäßiges Defizit festgestellt wird. In einem zweiten Schritt muss der Rat der EU-Finanzminister die Einschätzung der Kommission billigen. Bei ihrem nächsten Treffen am 21. Jänner könnten sie demnach entscheiden, ein Defizitverfahren gegen Österreich einzuleiten. Ist das Verfahren erst einmal eingeleitet, würden Gespräche zwischen Österreich und der Kommission beginnen, um einen Abbaupfad für die Verschuldung festzulegen. Nach etwa einem halben Jahr veröffentlicht die Kommission Details, wie das übermäßige Defizit zu verringern ist.
Gibt es Sanktionen, wenn Anforderungen nicht erfüllt werden?
Im Rahmen eines Defizitverfahrens können Sanktionen gegen einen Defizitsünder verhängt werden, wenn dieser die an ihn gestellten Anforderungen zur Korrektur eines übermäßigen Defizits nicht erfüllt. Bei Nichteinhaltung könnten am Ende Geldstrafen in Milliardenhöhe fällig werden - was allerdings noch nie vorkam.
Ist Österreich der einzige EU-Defizitsünder?
Nein, ganz im Gegenteil. Die EU-Kommission leitete im Juni 2024 gegen sieben Länder ein EU-Defizitverfahren ein. Darunter waren auch Frankreich und Italien - immerhin die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Union. Neben Frankreich und Italien sind auch Belgien, Ungarn, Malta, Polen, Slowakei. Auch gegen Rumänien ist ein Verfahren anhängig.
Für Österreich wäre es das zweite EU-Defizitverfahren. Das Erste war im Zuge der Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 eröffnet worden.
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Jedenfalls haben wir jetzt reichlich Argumente, um uns aus EU-Nettezahlern zu Nettoempfängern zu machen!
Es reicht sowieso, wenn Öst. die Transithölle samt Kosten für Bau u. Erhalt der dafür nötigen Verkehrswege auf sich nimmt.
Na ja, die EU zahlt da schon mit!