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Rückblick: Emotionen und Höhepunkte der EURO

Von Günther Mayrhofer, 12. Juli 2021, 00:04 Uhr
Blick in den Rückspiegel: Das bleibt von dieser EURO
Aufreger in Baku, die UEFA schweigt: Kein Platz für Regenbogenfarben Bild: APA/AFP

LONDON. Analyse: Licht und Schatten: Den Mutigen gehörte die Welt, der Videobeweis nahm die Referees aus der Schusslinie, die UEFA war der Verlierer.

Die EURO 2021 ist Geschichte. Welche Erkenntnisse hat dieses Turnier in elf Städten und elf Ländern unter außergewöhnlichen Bedingungen (Stichwort Corona-Pandemie) geliefert? Was lässt sich in die Zukunft transportieren, was war zum Vergessen?

Klare Muster sind wichtiger als individuelle Einzelkönner. Nicht die Stars prägten diese EM – sondern die Spielideen. Italien funktionierte als Kollektiv mit erarbeiteten Mustern: Asymmetrie im Aufbau (Stichwort: die linke Seite mit Spinazzola) und wiederholbare Lösungen im Umschaltspiel. Diese waren selbst in der dritten Vorrundenpartie gegen Wales zu sehen, als die meisten Leistungsträger geschont wurden. Dänemark nutzte die taktische Flexibilität innerhalb der Partien, bis die Energie ausging. Spanien zog das Kurzpassspiel durch und erspielte die meisten Chancen des Turniers, es fehlte aber ein Abschlussspieler. England bestach mit starker Defensive und einem brauchbaren Plan bei Ballbesitz: Mittelstürmer Harry Kane ließ sich bei Ballgewinn vor der gegnerischen Abwehr anspielen und bediente die dribbelstarken Flügelangreifer. Dazu ähnelten die Bewegungen von Linksverteidiger Luke Shaw im Laufe des Turniers immer mehr der Asymmetrie Italiens.

Topfavorit Frankreich schied hingegen früh aus: Beim Weltmeister schien offensiv der Lochpass auf Kylian Mbappe das einzige Rezept zu sein, ansonsten verließ man sich auf die Genieblitze der Einzelkönner. Portugal war bei dieser Endrunde individuell besser aufgestellt als beim EM-Titel 2016. Trotzdem war im Achtelfinale Endstation, weil jeder vorne eigene Ideen verfolgte. Deutschland hatte im Ballbesitz überhaupt nichts zu bieten. In diese Aufzählung passt auch Österreich: Selbst ÖFB-Teamspieler bemängelten, dass in der Offensive die Vorgaben fehlten.

Der Ball muss rollen. Das Vorrundenspiel zwischen Dänemark und Finnland (0:1) wird ewig in Erinnerung bleiben: Christian Eriksen rang nach einem Kollaps um sein Leben und musste reanimiert werden. Es war unmenschlich, dass zum einen die Übertragung fortgesetzt wurde, zum anderen die Partie am selben Abend weitergespielt wurde. Ein solches Drama live zu zeigen ist für die UEFA kein Problem, sehr wohl aber, wenn ein Flitzer oder ein Aktivist über das Spielfeld huscht.

Blick in den Rückspiegel: Das bleibt von dieser EURO
Aufreger in Baku, die UEFA schweigt: Kein Platz für Regenbogenfarben Bild: APA/AFP

Gemeinsame EM – aber keine gemeinsamen Werte. Ein Stadion in Regenbogenfarben zu beleuchten, war für die UEFA nicht zumutbar. Diese Entscheidung nahmen einige Sponsoren danach zum Anlass, ihre Werbebotschaften auf den Banden in Regenbogenfarben leuchten zu lassen – nur bei den Viertelfinalspielen in St. Petersburg und in Baku wurde das von den nationalen Regierungen verboten. In Baku gab es zudem einen Wirbel um eine von Ordnern einkassierte Regenbogenfahne. Die UEFA, die davor die Austragungsländer trotz der angespannten Corona-Lage zu Zuschauern im Stadion gezwungen hatte, machte da von ihrer Allmacht keinen Gebrauch.

Werte spielen bei der UEFA eine Nebenrolle. Nur was sich einnahmenseitig niederschlägt, zählt: Wenn etwa Cristiano Ronaldo oder Paul Pogba bei Pressekonferenzen Getränkeflaschen von EM-Sponsoren aus dem Blickfeld entfernen, dann werden schnell Strafen angedroht.

Blick in den Rückspiegel: Das bleibt von dieser EURO
Sergej Karasew beim Videostudium Bild: APA/AFP

Der Video Assistant Referee hat sich bewährt. Der VAR entschied schnell und bremste im Gegensatz zu den Erfahrungen in Champions League, deutscher Bundesliga oder englischer Premier League den Spielfluss wenig. Natürlich kann man im Nachhinein einige Entscheidungen hinterfragen, etwa den Elfmeter Englands in der Verlängerung des Semifinales gegen Dänemark – aber der VAR blieb seiner Linie treu: Nur wenn eine Referee-Entscheidung ohne Zweifel falsch war, wurde sie zurückgenommen.

Die zusätzlichen Augen auf das Spielfeld könnten auch dazu beigetragen haben, dass die Spiele durchwegs fair abliefen: Das Risiko einer Roten Karte nach Videobeweis dürfte die Raubeine gebremst haben. Auch Schwalben waren kaum zu sehen.

Bei einem Punkt sollte aber nachgearbeitet werden: Die Schiedsrichter-Assistenten wurden angehalten, knappe Abseitsentscheidungen nicht anzuzeigen, um durch eine mögliche Fehleinschätzung nicht die Entstehung von Toren zu verhindern. Das ist im Grundsatz gut – nur waren mehrere Assistenten dabei zu vorsichtig. In einigen Partien gab es Szenen, in denen nach eigentlich klarem Abseits weitergespielt wurde. Weil besonders bei Torabschluss und -verhinderung mit höchstem Einsatz gespielt wird, steigt die Verletzungsgefahr.

Trotzdem: So wenig wie diesmal wurde noch nie über Schiedsrichter(fehl)leistungen diskutiert. Das ist schade für Stammtische, aber absolut im Sinn des "Fair Play".

Blick in den Rückspiegel: Das bleibt von dieser EURO
Der dänische Regisseur Christian Eriksen Bild: APA

Eine EM in elf Ländern ist möglich – aber keine gute Idee. Der ehemalige UEFA-Chef Michel Platini hatte eine paneuropäische EM durchgedrückt, die Premiere verdient aber keine Fortsetzung. "Ich glaube nicht, dass wir das noch einmal machen", sagte Platinis Nachfolger Aleksander Ceferin folgerichtig. "Ich denke, es ist zu herausfordernd und nicht korrekt, dass zum Beispiel manche Teams mehr als 10.000 Kilometer reisen müssen und andere nur 1000." Nicht nur die Reisen sind ein Problem: Es geht vor allem das Flair einer Endrunde durch die verstreuten Austragungsorte vollkommen verloren. 2024 wird das anders sein: Deutschland bereitet sich auf das nächste "Sommermärchen" vor.

24 teilnehmende Nationen sind viel – aber nicht zu viel. Je mehr Spiele, desto kräftiger klingeln die Kassen. Die EURO ist ein gewachsenes Projekt, das in seiner ursprünglichen Form (1960) nur vier Teams ins Boot nahm. Mittlerweile sind es sechsmal so viele, richtig abgefallen ist keine Mannschaft. Ohne Punkt blieben nur die Türkei und Debütant Nordmazedonien. Trotzdem entpuppten sich einige "Kleine", wie Ungarn und phasenweise Schottland, die es unter strengeren Kriterien nicht auf die große Bühne geschafft hätten, als Bereicherung. Das war schon bei der Premiere des 24er-Formats 2016 so gewesen, damals überraschten Halbfinalist Wales und Viertelfinalist Island. Diese Abwechslung tut der EM gut.

Die Spannung ist höher als etwa bei der Copa America. In Brasilien waren zehn Teams in zwei Fünfer-Gruppen eingeteilt, jeweils die Top Vier zogen ins Viertelfinale ein. Man kann es auch übertreiben.

Autor
Günther Mayrhofer
Redakteur Sport
Günther Mayrhofer

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