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Zu geschönt, um wahr zu sein?

Von Florian Madl aus Katar, 28. September 2022, 00:04 Uhr
Zu geschönt, um wahr zu sein?
Im Lusail-Iconic-Stadion findet am 18. Dezember das Finale der Fußball-WM statt. 86.250 Zuschauer haben Platz. Bild: APA/AFP/Karim Jaafar

Versteckte Fouls: Am Samstag sind es noch 50 Tage bis zur Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft. Beim Lokalaugenschein gefällt sich Katar als perfekter Gastgeber. Kritiker lässt man ins Abseits laufen.

Da griff Uli Hoeneß am Sonntag doch glatt zu seinem Handy, um seinem Ärger im Live-Fernsehen Luft zu machen: Als "König der Scheinheiligen" titulierte das 70-jährige FC-Bayern-Urgestein den Gast einer Talkshow, als dieser die Menschenrechtssituation der rund 150.000 Arbeiter der acht WM-Baustellen in Katar anprangerte. Ob dieser denn im Winter kalt duschen würde, fragte Bayerns Ehrenpräsident angesichts der Gaslieferungen Katars an Deutschland. Mit seiner Attacke schützte der Weltmeister von 1974 einen Sponsorpartner: Seit 2011 reisen die Münchener Profis zum Winter-Trainingslager nach Doha, der Vertrag mit Qatar Airways beschert willkommene Einnahmen.

Eine von der englischen Tageszeitung "Guardian" erhobene Statistik würde den Vorstoß von Uli Hoeneß indes allerdings als Zynismus deklarieren:

  • Allein 6500 Wanderarbeiter aus Indien, Pakistan oder Nepal sollen im Zusammenhang mit dem Aufbau der Stadien zwischen 2010 und 2020 ums Leben gekommen sein.
  • Die Arbeitsbedingungen würden nicht den Anforderungen entsprechen, ausreichende Flüssigkeitsaufnahme bei bis zu 50 Grad Außentemperatur sei unzureichend gewährleistet.
  • Manche Gastarbeiter würden teilweise jahrelang nicht heimkommen können und dennoch monatelang auf Gehälter warten.
  • Todesursachen würde man nicht nachgehen, Autopsien würden nicht stattfinden und Angehörige vom Tod oftmals erst über Arbeitskollegen erfahren.
  • Das Kafala-System, demzufolge Arbeiter auf einen Paten im Land angewiesen sind und den Reisepass abzugeben hätten, sei entgegen der Ankündigungen immer noch in Mode und lasse sklavenähnliche Zustände vermuten.
  • Zweifelhafte Vermittlungsagenturen würden 2000 Euro und mehr von den Arbeitern verlangen, die mit 300 Euro monatlich zunächst nur die Außenstände zu begleichen hätten.

"Wir zeigen Fortschritte"

Der WM-Gastgeber steht argumentativ mit dem Rücken zur Wand und bedient sich in seiner Rechtfertigung sozialer Medien oder erfahrener PR-Experten aus dem Ausland, die internationale Journalisten "begleiten" und mit Informationen versorgen. Wer das Narrativ überhat, der steuert auch die Stimmungslage. Das Organisationskomitee der Weltmeisterschaft ist sich jedenfalls keiner Probleme bewusst: "Wir setzen Initiativen und zeigen Fortschritt", meinte Mahmoud Qutub, für die soziale Situation der Arbeiter zuständig, geradezu pikiert von all der Kritik. Er spricht nur von 37 Toten: Die meisten starben durch Herzversagen, lediglich drei davon verunglückten wirklich im Zuge der Arbeit auf Baustellen. Man verfüge über genaue Statistiken und über Arbeitsberichte, was von den Kritikern zu akzeptieren sei. Und von den nach Zwischenfällen des Landes verwiesenen Arbeitern habe er nie gehört. Es gebe eine Hotline, bei der sich ein Arbeiter jederzeit melden könne. Ein Bild von der Medienstrategie Katars machen darf sich gerade eine deutschsprachige Delegation im Zuge einer unabhängigen Journalisten-Reise, bei der die WM-Gastgeber unter anderem ihre Fan-Botschafter vorstellten. Das sind junge Menschen aus aller Herren Länder, die ehrenamtlich die Werbetrommel für die Weltmeisterschaft in der Wüste rühren.

"Die Kritik ist unfair"

Dauerlächelnd saßen sie Journalisten gegenüber und priesen die Vorzüge des Emirats an. Den passenden Rahmen bildete das Lusail-Stadion, wo sich die Influencer pausenlos selbst filmten, um ihren bis zu 100.000 Followern ein positives Bild von den Zuständen in Katar zu vermitteln. "Hier ist alles bestens, wir können Partys feiern und freuen uns auf die WM", meinte etwa die Mexikanerin Yezenia Navarro. Einzig auf das Tragen freizügiger Bikinis müsse man am öffentlichen Strand verzichten. Die Tätigkeit sei ehrenamtlich, ihr Instagram-Profil weist sie als Selfmade-Model aus. Dank ihrer Tätigkeit hat sie ungehindert Zugang zu Events und Shows, zu den Spielen sowieso.

Elisabete Reis aus Portugal pflichtete bei – sie engagiert sich im selben Geschäftsmodell und arbeitet auch einem Reisebüro zu. Auch Gastgeber Katar hat einen Fan-Botschafter, Ali Alishaq zeigte sich von der internationalen Kritik enttäuscht: "Die ist unfair." Und der Engländer Steve Mackie assistierte: "Wenn man in ein fremdes Land reist, sollte man diesem Respekt entgegenbringen und sich auf die jeweiligen Bräuche einstellen." Seit 13 Jahren lebt er hier – Katar ist für ihn "der schönste Platz auf Erden".

Ein Kanzler mit schmalen Lippen

Als Deutschlands Kanzler Olaf Scholz am Sonntag in Katar zwischenlandete, um dort einen Flüssiggas-Deal zu fixieren, fiel die Kritik am WM-Gastgeber schmallippig aus: Man registriere Fortschritte in Katar, den Vorstellungen würden sie noch nicht ganz entsprechen. Aber natürlich werde man zur WM nach Katar reisen: Vielleicht nicht der 64-Jährige selbst, aber auf jeden Fall ein Regierungsvertreter.

* Florian Madl ist Sportchef der Tiroler Tageszeitung

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