Diese Menschen sollten Sie sich merken
Wir stellen Ihnen Persönlichkeiten vor, die die Welt von morgen gestalten.
Covid-19 hat unseren Fokus komplett verschoben. Klimakrise, Plastikflut, Armut, Flüchtlingsströme – das alles scheint kurzfristig betrachtet plötzlich nicht mehr so wichtig. Dabei sind die Herausforderungen unserer Zeit gewaltig. Und dennoch sind sie lösbar: "Wenn wir die Entwicklung unserer Gesellschaft betrachten, sind wir trotz aller Probleme auf sehr gutem Weg. Über die vergangenen Jahrzehnte haben wir viele Verbesserungen im Lebensstandard der Menschen geschaffen. Aber das Problem ist, dass wir uns immer zwei Schritte vorwärts, einen Schritt rückwärts bewegen und man deswegen oft das Gefühl hat, es ginge ja gar nichts weiter", sagt Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter des Ars Electronica. Er ist einer, der seit 25 Jahren schon die Zukunft dieses Landes mitgestaltet hat.
Viele junge Menschen arbeiten und forschen heute in Oberösterreich auf höchstem Niveau, um ihren Beitrag zu einer besseren Welt von morgen zu leisten. Wir haben für Sie eine Auswahl an spannenden Persönlichkeiten zusammengestellt, die unsere Zukunft mitgestalten.
Einer von ihnen ist der Logistik-Forscher Markus Gerschberger aus Neuhofen im Innkreis. Er ist der erste Schrödinger-Stipendiat der Fachhochschule OÖ (Steyr). Gerschberger beschäftigt sich mit komplexen Unternehmensnetzwerken und erforscht, wie Kundenwünsche optimal und nachhaltig erfüllt werden können. Damit trägt er zu einer nachhaltigeren Gestaltung des Wirtschaftslebens bei.
Markus Gerschberger: Derzeit erforscht der Logistikexperte am Georgia Institute of Technology in den USA die Komplexität von Unternehmensnetzwerken. Seit 2014 ist er Professor für Supply-Chain-Management an der Fachhochschule in Steyr. Gerschberger (38) ist in Ried/I. aufgewachsen und in Neuhofen im Innkreis daheim. Er studierte Produktion und Management an der FH OÖ in Steyr, danach folgte das Doktorat an der Wirtschaftsuni Wien. An der ETH Zürich hatte er eine Gastprofessur. Seit 2019 leitet er das Josef Ressel Forschungszentrum "LIVE" in Steyr.
Seit 2019 leitet er das Josef Ressel Forschungszentrum "LIVE" am FH OÖ Campus Steyr, wo er Analysen zur Versorgungssicherheit entwickelt. In dieser Funktion gehört er dem Covid-Krisenstab der Bundesregierung an. Seine Aufgabe ist die Überwachung der Lebensmittelversorgung im Krisenfall. Er versucht Lösungen zu entwickeln, die Unternehmen einen erfolgreichen wirtschaftlichen Fortbestand ermöglichen, "dies aber im Einklang mit den Anforderungen und Bedürfnissen der Mitarbeiter und dem umliegenden Wirtschaftsraum und vor allem unter der Prämisse, dies möglichst klimaneutral zu tun". Um die Klimakrise bewältigen zu können, braucht es nach Meinung Gerschbergers "gezielte Bewusstseinsbildung" bei den Endkonsumenten und Entscheidungsträgern. Ein T-Shirt oder ein Kilogramm Fleisch um wenige Euro kann nicht wirtschaftlich und nachhaltig produziert werden. Lieber bewusster und weniger, aber dafür nachhaltiger kaufen und konsumieren", sagt Gerschberger.
Die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der Klimakrise zähle nicht zu seinen Kernkompetenzen, sagt Marc Streit mit einem Lachen. Der Forscher ist auf die Visualisierung von Daten spezialisiert. Der 37-Jährige ist nicht nur Professor am Institut für Computergrafik an der Linzer Johannes-Kepler-Universität, sondern auch Gründer und Firmenchef von Datavisyn. "Unsere Softwarelösungen unterstützen Pharmaunternehmen in der frühen Phase der Medikamentenentwicklung, in der es darum geht, große und komplexe Datenmengen nach Angriffspunkten für die Medikamente von morgen zu durchsuchen. Unsere Kernkompetenz dabei ist die visuelle Darstellung der Daten. Ziel ist es, die Entwicklung neuer Medikamente und Behandlungen schneller, verlässlicher, und kostengünstiger zu machen. Davon profitieren letztendlich Patientinnen und Patienten. Dazu wollen wir einen kleinen, aber wichtigen Beitrag leisten", sagt Streit.
Marc Streit: Der Name des gebürtigen Klagenfurters ist bei den Recherchen oft gefallen: Der 37-Jährige sei nicht der offensive Gestalter im Rampenlicht, aber der "clevere Professor im Hintergrund", beschreibt ein Wegbegleiter. Der Forscher, der auch in Harvard unterrichtet hat, ist Professor am Institut für Computergrafik an der JKU. Sein Spezialgebiet ist die Visualisierung biologischer Daten. Er ist Gründer und Chef der Softwarefirma Datavisyn, die Millionen anonymisierter Patientendaten für die Erforschung neuer Medikamente analysiert.
Durch die Corona-Situation habe sich seine Reisetätigkeit auf null reduziert. "Wie viele Menschen in Österreich habe ich festgestellt, dass die meisten Geschäftsreisen nicht unbedingt notwendig sind. Ich hoffe, wir bewahren uns diese und andere Erkenntnisse auch in der Zeit nach der Krise. Wir Menschen vergessen leider sehr schnell." Viele heimische Forscher reagieren rasch auf neue Entwicklungen und analysieren diese. Eine von ihnen ist Elke Schüßler, Vorstand des Instituts für Organisation an der JKU. Sie hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Leonhard Dobusch von der Universität Innsbruck eine Online-Lehrveranstaltung zum Thema "Organisieren in Krisenzeiten: der Fall Covid-19" entworfen und durchgeführt. Die Pandemie stimmt die Uni-Professorin nachdenklich: "Corona macht noch deutlicher, wie weit viele Menschen davon weg sind, weitsichtig und im Interesse des Kollektivguts zu handeln. Es führt auf erschreckende Weise vor, wie Wissenschaftlerinnen angefeindet werden und wie anfällig Menschen für Manipulation geworden sind", sagt Schüßler.
Elke Schüßler: Die Psychologin aus Aschaffenburg ist Vorstand des Instituts für Organisation an der JKU und zeigt, dass Lehre praxisnah sein kann: "Organisieren in Krisenzeiten: der Fall Covid-19" lautet ihre aktuelle Online-Lehrveranstaltung.
Wissenschaft hat Vorbildfunktion
Schüßler beschäftigt sich mit Veränderungsprozessen und insbesondere auch damit, warum manche Dinge – gerade auf kollektiver Ebene – so schwer zu verändern sind. "Ich versuche, Mechanismen zu identifizieren, die den Wandel hin in eine sozial und ökologisch nachhaltige Welt ermöglichen oder erschweren. Sehr häufig kommt dabei die Rolle der Politik ins Spiel: Große Probleme lassen sich eben nicht allein durch einsichtige Individuen lösen." Auch Kreativität und Innovation sind Themen, denen sich Schüßler widmet: "Die brauchen wir, um uns alternative Lebens- und Wirtschaftsweisen vorstellen zu können. Ich bin jemand, der gerne einmal etwas anderes ausprobiert, Alternativen aufzeigt, einen Testballon startet, Raum für Diskussion bietet." Viele Nachwuchswissenschafter hätten mittlerweile eine Sinnkrise, weil sie gerne mehr zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen und nicht nur in A-Journals publizieren möchten. "Universitäten und Wissenschaftlerinnen haben eine Vorbildfunktion für die Gesellschaft. Ich setze mich auf verschiedenen Ebenen – vom Hörsaal bis hin zum Engagement in internationalen Wissenschaftsverbänden – dafür ein, dass sie dieser auch gerecht werden."
Zerstörungsfreie Materialprüfung
Die Veränderung der Welt durch Covid-19 begleitet auch Christoph Heinzl (42), Forschungsleiter an der Fakultät für Technik und Angewandte Naturwissenschaften der Fachhochschule Wels. Seine aktuelle Forschung umfasst die visuelle Analyse und Visualisierung in der zerstörungsfreien Prüfung in der Materialwissenschaft. Flugzeughersteller wie FACC haben bekanntermaßen mit der Luftfahrtkrise schwer zu kämpfen. Hier hilft das Wissen Heinzls und seines Teams, Kosten für fehlerhafte Teile zu reduzieren. Durch eine Digitalisierungsplattform inklusive Simulation können Teilefehler der Flugzeuge besser vorhergesagt werden. "So leisten wir einen wesentlichen Beitrag in Richtung effizienter Produktion und Mobilität", sagt Heinzl.
Die Emissionen des Flugverkehrs seien ein nicht unerheblicher Teil unseres Klimaproblems. Mit seinen Forschungen leiste er somit einen Beitrag, dass die Luftfahrt CO2-neutral werden kann, auch über neue Digitalisierungskonzepte und höhere Effizienz, "die großteils noch erforscht werden müssen".
Der Mensch im Zentrum der Technologie
Unser aller "Morgen", so die einhellige Meinung der Nachwuchsforscher, wird geprägt sein von viel mehr digitalen Prozessen in allen Lebensbereichen, als wir sie jetzt erleben. Damit die Zusammenarbeit von Mensch und Computer einfacher und angenehmer vonstattengehen kann, forscht Mirjam Augstein seit Jahren im Bereich computergestützter Zusammenarbeit. "Unsere Forschung stellt den Menschen in das Zentrum der Technologieentwicklung. Technologie, sei es für einzelne Personen oder für Gruppen von Menschen, die zusammenarbeiten, muss sich an die individuellen Bedürfnisse der Menschen anpassen und nicht umgekehrt", sagt Augstein.
Sie ist zuversichtlich, dass wir die Klimakrise mit der Technologie und dem Wissen, das uns aktuell zur Verfügung steht, bewältigen könnten, wenn wir diese Dinge zielführend einsetzen würden. "Es bräuchte dazu aber wohl auch eine gleichmäßigere und gerechtere Verteilung von Macht, Reichtum und Ressourcen sowie weniger Menschen in relevanten Positionen, die ihren persönlichen Profit über das Wohlergehen der Menschheit als Einheit und unseres Planeten stellen."
Mirjam Augstein: Die Professorin an der Fachhochschule Hagenberg forscht an der besseren Zusammenarbeit von Menschen mit Hilfe von Computern (computerunterstützte Zusammenarbeit). "Die Technologien von morgen sollen noch einfacher einzusetzen, intuitiver, inklusiver und besser individuell angepasst sein", sagt Augstein (37), die Mutter dreier Kinder (7, 5, 1) ist, sehr viel publiziert und zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat.
Bernhard Adler: Eine neue Generation von Wärmepumpen, die Abwärme aus industriellen Prozessen wie etwa bei der Lebensmittelabfüllung (Pasteurisieren, Abkühlen) nützt, hat die Firma ecop aus Neuhofen/Krems erfunden. Bernhard Adler (37) hat es gegründet, 14 Mitarbeiter platzieren gerade Prototypen in der Industrie. Jüngster Investor mit rund 15 Prozent: Fill, Gurten.
René Mayrhofer: Wenn es um IT-Sicherheit geht, führt international kein Weg an der Expertise von JKU-Professor René Mayrhofer vorbei. Seit 2014 ist der gebürtige Grazer, der in Linz studiert und sub auspiciis promoviert hat, Institutsvorstand für Netzwerke und IT-Sicherheit. Zwei Jahre lang war der 41-Jährige bei Google in Mountain View für die Android Platform Security verantwortlich, bevor Rektor Meinhard Lukas ihn zurück nach Linz holte und zu einer der Schlüsselfiguren der Forschungsfabrik LIT (Linz Institute of Technology) machte.
Lisa-Maria Putz: Am Logistikum in Steyr arbeitet die Professorin für Nachhaltigen Transport seit Februar 2019 daran, den Güterverkehr emissionsfrei zu gestalten. Die 32-Jährige hatte an der WU Wien und an der FH OÖ studiert und war 2018 beste FH-OÖ-Nachwuchswissenschafterin.
Forschung an Lebensmitteln & Gesundheit
Ein ähnliches Umdenken setzt auch Julian Weghuber, Professor für Molekulare Zellphysiologie an der FH in Wels, voraus, um die aktuellen Menschheitskrisen zu bewältigen. Er forscht beispielsweise an Lebens- und Futtermitteln und wie diese zur Gesundheit von Mensch und Tier beitragen und gleichzeitig die Ressourcen der Erde schonen. "Ein Umdenken bei den Menschen der Industrienationen und ein konsequentes Umsetzen von teils radikalen Ideen" seien notwendig.
Tatsächlich andere Strategien als heute brauche es, sagt Klaus Altendorfer, Professor für Produktion und Operations Management am FH OÖ Campus Steyr. "Gerade für Österreich hat die Corona-Pandemie und der damit verbundene Lockdown gezeigt, dass die Wirtschaft nicht einfach aus- und wieder eingeschaltet werden kann. Wir brauchen also andere Strategien – europaweit abgestimmt –, um künftig mit derartigen Ereignissen umzugehen." Seine Forschung zielt darauf hin, durch Weiterentwicklung von Produktionsplanung in Unternehmen kundenindividualisierte Produkte schneller (durch bessere Abstimmung zwischen den Anlagen) und ressourceneffizienter (durch Vermeidung unnötiger Überproduktion) für die Konsumenten herzustellen. Auch in der Produktion bedarf es, so Altendorfer, eines neuen Bewusstseins für Regionalität, um in der Zukunft krisenfester zu sein. Steuerliche Anreize müssten diese Regionalität fördern.
Die Medizin revolutionieren
Medina Hamidovic ist eine mehrfach ausgezeichnete Wissenschafterin, die am Institut für Nachrichtentechnik und Hochfrequenzsysteme an der JKU forscht. Ihre Doktorarbeit konzentriert sich auf die Entwicklung neuartiger Geräte, die Medizin und Pharmazie verändern könnten. "Wir möchten in Zukunft mehr personalisierte Medizin sehen, damit wir jeden Patienten mit besonderer Sorgfalt behandeln und Behandlungen für jeden Patienten individuell entwickeln können. Unsere Geräte könnten die Art und Weise, wie wir Krankheiten bei Patienten diagnostizieren, revolutionieren", sagt Hamidovic. Die an der JKU entwickelten Geräte könnten auch dazu verwendet werden, um Gewässer in Entwicklungsländern auf ansteckende Krankheiten zu testen und so jedes Jahr Tausende von Leben zu retten.
Einer, der modernste Technologie für eine bessere Gesundheit in der Praxis umsetzt, ist Fabian Lichtenstein. Der Jungunternehmer (blockhealth GmbH) entwickelte mit einem hochkarätigen Team in Linz eine App namens Vivellio, einen smarten Gesundheitsassistenten. Anwender können damit einfach und übersichtlich Gesundheitsdaten verwalten und mit Analysen besser verstehen: Befunde, Medikamente, Impfungen oder Tagebucheinträge für Schmerzen oder Stimmungslagen.
Fabian Lichtenstein: Das Linzer Gesundheits-Start-up Blockhealth (im Bild der Gründer) hat mit seiner App Vivellio seit Juni schon 5000 aktive Nutzer gewonnen. Die App dient als persönlicher Gesundheitsmanager, mit dem Befunde oder Medikamente sicher verschlüsselt verwaltet werden.
Dieter Grebner: Der Salzburger hat seine Laufbahn beim Formel-1-Team Sauber begonnen. Heute zählt die Formel 1 zu den Kunden seiner Firma Peak Technology ebenso wie Airbus. Der 42-Jährige entwickelt in Holzhausen Satelliten und Raketen.
Blick auf den Schrebergarten ist zu wenig
Wer wie diese Unternehmer und Wissenschafter an der Zukunft arbeitet, muss weit über den Tellerrand hinausschauen. "Die Visionäre braucht es, damit wir die wirklich großen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte überhaupt bewältigen können, allem voran die Klimakrise", sagt Gerfried Stocker vom AEC. "Das erfordert aber auch Solidarität in der Gesellschaft und zwischen den Gesellschaften auf einer globalen Ebene. Mit rein pragmatischer Sicht auf unsere eigenen Schrebergärten ist das nicht zu schaffen. Menschen haben wir genug, wir müssen sie nur motivieren, sich einzubringen – und sie natürlich auch ernst nehmen."