Steyr im Städtecheck: Eine Stadt, die immer wieder aufgestanden ist
Wenn man vom Norden über die Ennser Straße nach Steyr kommt, dann kann einen an manchen Tagen die große Trostlosigkeit befallen. Es ist eine Einfahrtsschneise, wie es sie mittlerweile in nahezu jeder größeren Stadt Österreichs gibt.
Da reiht sich Zweckwohnbau an Betriebsgelände an Tankstelle an Einkaufszentrum an Zweckwohnbau, und alles mündet in einen großen Verkehrsknoten. Aber wenn man den hinter sich gelassen hat, dann eröffnet sich Stück für Stück das, wofür die Stadt berühmt ist: ihre traumhafte Lage an den zwei Flüssen Enns und Steyr, die historischen Baujuwele, die malerischen Gassen und die vielen Arkadenhöfe in der Altstadt, die an einem lauen Sommerabend so mediterran wirken, dass man Italien getrost vergessen kann.
Das ist die Hülle – eine Hülle, die auch dazu dient, Steyr noch stärker für den Tourismus zu erschließen. Geworben wird mit der Marke „Romantik- und Christkindlstadt“.
Aber romantisch war es in Steyr beileibe nicht immer, und es gab Zeiten, in denen die Not so groß war, dass selbst Kinder den Glauben ans Christkind verlieren konnten. Steyr war und ist Arbeiterstadt – und wer ihren Charakter ergründen will, den führt der Begriff Romantik auf die falsche Spur. Steyr ist Niedergang und Neustart, fallen, aber auch wieder aufstehen.
Auf Charaktersuche
Man muss an einem Samstagnachmittag zur Volksstraße spazieren, um eine Ahnung vom – sagen wir es neudeutsch – Spirit der Stadt zu bekommen. An der Volksstraße schreckt eine Bausünde der älteren und jüngeren Vergangenheit: Da wurde das altehrwürdige Volkskino zuerst von einem Ostblockcharme verströmenden Stadtsaal und viele Jahre später zusätzlich von einem Cityplex-Kinoklotz eingekesselt, dass es zum Heulen hässlich ist. Aber das ist nur die eine Seite der Volksstraße.
Auf der anderen liegt der Vorwärts-Platz. Hierher zieht es seit Jahrzehnten alle 14 Tage Jung und Alt, viele tragen rot-weiße Schals. Der SK Vorwärts ist der Lieblingsfußball-Klub der Steyrer, die Leidenschaft von Generationen. Der Verein war ganz oben, wurde aber im Lauf der 90er-Jahre von einer ahnungs- und verantwortungslosen Funktionärsclique ruiniert und fast in den Untergang getrieben.
Vorwärts musste in der letzten Spielklasse neu beginnen. 2. Klasse Ost: Das hieß Adlwang und Maria Neustift als Gegner und nicht mehr LASK, Rapid oder wenigstens Donau Linz. Die Anhänger? Sie blieben dem Klub treu, unbeirrbar und fanatisch – und trugen ihren Klubdurch 2. Klasse, 1. Klasse, Bezirksliga, durch die Landesligen bis hinauf in die Regionalliga.
Zum kollektiven Gedächtnis des Anhangs zählt der 18. August 1978, als auf dem Vorwärts-Platz Austria Wien im österreichischen Fußball-Cup zu Gast war: Die Austria, das war zu jener Zeit das mit Abstand beste Team Österreichs und eines der besten Europas. Vorwärts spielte in der Landesliga. 7000 Zuschauer waren gekommen, drängten sich auf der Holztribüne und auf dem damals noch bestehenden Grashügel hinter dem „Haustor“ – vergessen hat diesen Tag keiner. Denn Vorwärts spielte die Austria an die Wand. Nach einer halben Stunde stand es 3:0 für Vorwärts. Der Rest war Abwehrschlacht, Vorwärts siegte 3:1. Im Tor stand damals Josef Reisinger. Er wurde ein Jahr später, Vorwärts war in die 2. Division aufgestiegen, in einem Radiointerview gefragt, was die Stärke des Klubs ausmache. Seine Antwort: „Steyr ist Vorwärts, und Vorwärts ist Steyr.“
Die Agonie überwunden
Gefallen, aufgestanden, wieder aufgestiegen. Diese Gleichung aus dem Fußball kann man für viele Entwicklungen in Steyr aufstellen. Im Großen gilt sie für den Wiederaufbau der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg und für die Überwindung der Verstaatlichtenkrise in den 80er Jahren, in denen Steyr in gefährlicher Agonie dämmerte.
Die Gleichung gibt es auch auch eine Nummer kleiner: Eine private Initiative verhinderte in den 70er Jahren durch Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft, dass die so gut wie beschlossene Zuschüttung des historischen Wehrgraben-Kanals Wirklichkeit werden konnte – heute noch muss man Danke sagen, weil dadurch eine städtebauliche Katastrophe vermieden wurde.
Und so hat man das Gefühl, dass in Steyr am Ende das Richtige und Notwendige doch die Oberhand über den Dilettantismus behält. Sich nicht so schnell unterkriegen lassen – vielleicht ist das im Code der Steyrer angelegt. Es wäre kein Wunder in einer Stadt, in der der verlässlichste Gast das Hochwasser ist.
Weltbekanntes Christkindl
Im Advent überrannt, den Rest des Jahres beschaulich. Steyr wirbt offensiv mit dem Nimbus der Christkindlstadt. Im Advent stehen lange Buskolonnen Schlange, sind die Kirche mit dem Jesuskind im Baum, die mechanische Krippe und das Postamt Anziehungspunkt für Touristen. Aus der ganzen Welt schreiben Kinder ihre Wünsche ans Christkind in Christkindl (9). Für Briefmarkensammler sind die Sondermarken interessant. Ein Besuch in Christkindl darf an einem Steyr-Wochenende nicht fehlen.
Eine Fahrt mit dem Dampfzug
Die Steyrtalbahn wird im Volksmund „Schnackerlbahn“ genannt. Ein Verein hält hier ein Stück Eisenbahngeschichte lebendig. Die älteste Schmalspurbahn Österreichs tuckert, schnauft und dampft an ausgewählten Tagen von Grünburg nach Steyr und wieder retour. Ein Vergnügen für Jung und Alt.
Die Stadt ist abhängig von der Metallindustrie
Geht’s der Metall- und Fahrzeugindustrie gut, geht’s auch den Steyrern gut. Steyr ist Industriestadt. In Zeiten der Hochkonjunktur ist das Durchschnittseinkommen der Männer das höchste in Österreich. Für die Stadt war es ein Glücksfall, dass sich nach dem Niedergang der verstaatlichten Steyr-Werke Lkw-, Motoren- und Wälzlagerhersteller wie MAN, BMW oder SKF hier niedergelassen haben – angelockt von besonders qualifizierten Facharbeitern.
Die primäre Ausrichtung auf die Metallindustrie bringt auch Nachteile: Wer heute in dieser Branche beginnt, fängt in den meisten Fällen als Leasingkraft an. Weil die großen Firmen überdurchschnittlich hohe Löhne bezahlen, haben kleinere Unternehmer wie etwa Bäcker, Tischler oder Schlosser große Schwierigkeiten, Facharbeiter zu bekommen, beziehungsweise diese zu behalten. Steyr führt zudem in Oberösterreich die Arbeitslosenstatistiken im Jahresschnitt an. Aktuell sind 1417 Personen als arbeitssuchend gemeldet. Es fehlt ein zweites echtes Standbein Der IT-Bereich könnte einmal zu so einem Standbein werden. Steyrer Firmen wie FWI, BMD oder Systema florieren und genießen einen guten Ruf.
Seit ewig eine rote Hochburg: Sie hielt auch im Jahr 2009
2009 war für die oberösterreichischen Sozialdemokraten ein Katastrophenjahr. Bei der Landtagswahl stürzte die SPÖ von 38,3 auf 24,9 Prozent ab. Auch bei den Gemeinderatswahlen in den Städten Linz und Wels büßte man die absolute Mehrheit ein. Lediglich die Hochburg Steyr hielt – obwohl auch sie bedenklich wackelte. Mit 48,5 Prozent der Stimmen verlor die Steyrer SPÖ zwar im Vergleich zu 2003 rund zehn Prozentpunkte, verteidigte aber hauchdünn die absolute Mehrheit.
Bürgermeister Gerald Hackl gewann die Bürgermeister-Direktwahl mit rund 60 Prozent der Stimmen, im Stadtsenat stellt die SPÖ fünf der acht Mitglieder. Hackls Stil: die Gegner kräftig umarmen statt drüberzufahren.
Lebendige Geschichte, leuchtende Augen und lässige Mode
Steyr ist wie ein großes Freilichtmuseum. Die tausendjährige Geschichte der alten Eisenstadt ist hier in Stein gemeißelt. Von der Gotik bis zur Neuzeit. Vom Bummerlhaus über die Stadtpfarrkirche bis zum Rathaus – der Stadtplatz sucht seinesgleichen in Österreich.
Hotel: Steyr hat keine Herberge auf Fünf-Stern-Niveau. Speziell in der Weihnachtszeit werden die Hotelbetten knapp. Mit Christkindlwirt, Styria, Mader, Minichmayr und Parkhotel stehen fünf Vierstern-Häuser zur Auswahl.
Essen: In der Kulinarik treffen die Alteingesessenen auf die jungen Wilden: Zu den Traditionshäusern in Steyr zählt unter anderem das „Knapp am Eck“ im Wehrgraben sowie die Gasthäuser, Mader, Minichmayr und Rahofer. Gutbürgerliche Küche gepaart mit guter Musik bietet das Seidlbräu an. Auf hohem Niveau kocht Jungunternehmer Lukas Kapeller am Pfarrberg. Im Stadtteil Steyrdorf werden die Gäste im „Franz Ferdinand“ nach Südtirol und an die Adriaküste entführt. Gut speisen lässt es sich auch in der Orangerie mitten im Grün des Schlossparks und wer einmal etwas Ausgefallenes mit Haube sucht, ist beim Gorfer richtig (reservieren!).
Trinken: Steyr ist zwar nicht Wien – gemütlich und gut Kaffee trinken lässt es sich hier nichtsdestotrotz: zum Beispiel im Café Drahtzug. Das Schmuckstück liegt mitten im Augebiet an der Steyr. Diese Umgebung lädt zu einem Verdauungsspaziergang förmlich ein. Den Geruch nach gerösteten Bohnen und selbst gemachten Mehlspeisen finden Besucher auch in den Kaffeehäusern Rahofer, Postmann (beide Stadtplatz) und Café di Fiume (bei Michaelerkirche)
Einkaufen: Der Stadtplatz wird als Shoppingmeile oft totgesagt. Es gibt aber einige äußerst lebendige Unternehmen. So kaufen im „Casa Moda“ nicht nur Einheimische ein, die Kundschaft reist sogar aus Wien an, um die besten Stücke anzuprobieren. Ganz in der Nähe bietet Petra Schwinhammer Designer-Mode an. Pfiffiges findet sich auch bei TA!SHU im Stadtteil Ennsdorf. Mit dem geplanten Mega-Einkaufszentrum am ehemaligen Kasernengelände haben die Innenstadtkaufleute wenig Freude, es soll aber noch fehlende Marken wie etwa Peek&Cloppenburg anlocken.
Kultur: Steyr ist nicht nur Arbeiter-, sondern auch Kulturstadt. Ob Kabarett im Kulturverein „Akku“, Musikfestival im Sommer, leuchtende Kinderaugen im Steyrer Kripperl oder Rock- und Elektronik-Beats im Jugendkulturhaus Röda.
Freizeit: Die Stadt ist eine Naherholungsoase mit dem Nationalpark Kalkalpen vor der Haustüre. Eine von vielen Möglichkeiten, die Stadt und ihre Umgebung zu erkunden, ist eine Segway-Fahrt.
Nicht vergessen: Steyr hat zwei Museen: das Heimathaus im Innerberger Stadel und das Museum Arbeitswelt im Wehrgraben.
Das sind Steyrs...
Pluspunkte
Steyr ist nicht nur Industrie-, sondern auch Schul- und Forschungsstadt: von zwei Gymnasien über HTL und Fachhochschule bis zur außeruniversitären Forschungsschmiede „Profactor“.
Steyr ist auch Hochwasserstadt. Zuletzt hat es die Anwohner von Enns und Steyr 2002 schlimm erwischt. 12 Millionen Euro sind in Schutzmaßnahmen investiert worden – mit Erfolg, wie es scheint. Die Flüsse Enns und Steyr treten nicht mehr so rasch über die Ufer.
Die Stadtkasse ist zwar leer, doch noch gilt Steyr als soziale Musterstadt. Moderne Altenheime, ein spezieller Gesundheits- und Sozialservice (GSS) oder ein Jugendprojekt namens „Flow“ sind nur einige Beispiele für soziales Miteinander.
Nach dem Niedergang der Steyr Werke galt die Stadt als die Krisenregion Österreichs. Heute ist sie einer der Wirtschaftsmotoren mit Leitbetrieben wie BMW, SKF, MAN, Eckelt Glas, ZF, Steyr-Mannlicher und vielen weiteren innovativen Firmen.
5In dieser Stadt lässt sich Leben und Arbeiten gut unter einen Hut bringen. Vor der Haustüre beginnen die Naherholungszonen: vom Münichholzerwald über den Damberg bis zum Hintergebirge.
Herausforderungen
Steyr geht das Geld aus, und die Bewohner kommen nach und nach abhanden. Die Stadtbevölkerung schrumpft. Attraktive Baugründe sind Mangelware, potentielle Steyrer bauen in den Umlandgemeinden.
Wie ein Damoklesschwert schwebt eine offene Bankschuld über der Stadt und dem Fußballverein Vorwärts Steyr. Es geht um 600.000 Euro. Bereits der dritte Bürgermeister schleppt dieses Thema mit, das endlich gelöst werden muss.
Die neue B309 hat zwar in Richtung Zentralraum etwas Entlastung gebracht. Dennoch sind die bestehenden Anbindungen der Stadt an das hochrangige Straßen- und Schienennetz ein Trauerspiel und einer solchen Stadt nicht würdig.
Steyrdorf oder der Grünmarkt sind positive Beispiele für gelungene Stadtentwicklung. Im Stadtteil Ennsdorf ist das noch nicht gelungen. Viele Schaufenster sind blind vor Dreck oder leer. Für den Stadtplatz fehlt ein stimmiges Nutzungs- und Verkehrskonzept.
So schön und reich sich der Stadtkern zeigt – die Stadt muss auch mit Bausünden leben. Die Stadteinfahrten sind teils trostlos, genauso wie der Stadtsaal samt angrenzendem Kinokomplex.
Hab´bis jetzt noch keinen Steyrer getroffen der nicht über diesen Spruch lacht!
Zu den Segway´s muss man sagen dass auch wir in Steyr was zu lachen brauchen,...man gönnt sich ja sonst nix.
Doch sind das Kleinigkeiten. Es lässt sich sehr gut Leben in Steyr,wenn man nicht gerade das "Großstadtfeeling" will! Ich möchte eigentlich nirgendwo anders wohnen. Und mit dem Klimawandel zieht auch schön langsam das mediterrane Wetter bei uns ein,was das Baden in der Steyr noch attraktiver macht als es eh schon ist.
Aber Kreisverkehr, wie in sonst jeder Stadt, gibt es bei der Einfahrt - am Tabor - noch nicht!
Da weigern sich die Verantwortlichen beharrlich! Da bleiben sie bei jeder Menge Ampeln und vorprognostiziertem Stau!
Steyr ist anders!
...
sollen als Werbung für Steyr herhalten - bitte liebe Steyrer schafft sie ab!