Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Lasst alle Hoffnung fahren!

Von Christian Schacherreiter, 29. September 2018, 00:04 Uhr
Lasst alle Hoffnung fahren!
Bild: colourbox

Das 22. Philosophicum Lech stand unter dem Titel "Die Hölle. Kulturen des Unerträglichen".

Säkularisierung hin oder her, Hölle und Teufel sind nicht verschwunden aus unserer aufgeklärten Welt. Wenn auch die Androhung jenseitiger Höllenstrafen nicht mehr jene Schrecken des Feuers und der Finsternis auslöst, vor denen die Christen früherer Jahrhunderte gezittert haben, so hängen wir doch mit erstaunlicher Hartnäckigkeit an jener Hölle, an deren Existenz wir angeblich nicht glauben.

Johann Wolfgang von Goethe war alles andere als ein volksfrommer Christ. Trotzdem stellte er in den Mittelpunkt seines "Faust" ausgerechnet den Teufel, jene Mephisto-Figur, um die sich Schauspieler heute noch reißen. Goethe erkannte, dass die christliche, vor allem die katholische Bilderwelt eine reich bestückte Fundgrube ist, in der Künstler und Dichter rare Kostbarkeiten finden.

Aber nicht nur die Literatur, auch unsere Alltagssprache kommt, wie es scheint, nicht ohne die Hölle aus. Wann immer wir das "Unerträgliche" benennen, greifen wir gerne zur Höllenmetapher. Beim Philosophicum Lech (18. bis 23. September), das, passend zum Thema, in der Ortskirche des Touristenparadieses stattfand, wurde zwar auch über religiöse Höllendarstellungen in Islam und Christentum gesprochen, mehr aber noch über die Höllen des Kriegs und der Folter, des Familienlebens und der Armut, der digitalen Desinformation und der Drogensucht.

Von der Hölle – so Konrad Paul Liessmann in seinem Eröffnungsvortrag – sprechen wir meistens dann, wenn etwas ausweg- und hoffnungslos erscheint. "Lasst jede Hoffnung, die ihr mich durchschreitet", steht über dem Tor zum Inferno in Dantes "Göttlicher Komödie". Am Beispiel dieses monumentalen Epos machte der Literaturwissenschafter Manfred Koch anschaulich, welchen Aufwand an kreativer Fantasie Menschen betreiben, um alle Möglichkeiten höllischer Pein detailreich auszumalen. Meist sind sie Ausdruck extremer Rachefantasien. Mögen die Bösen, die in dieser Welt nicht zur Rechenschaft gezogen werden, in der jenseitigen ihre mehr oder weniger "gerechte" Strafe bekommen!

Ohnmächtig der Gewalt anderer ausgeliefert zu sein, ist laut Jörg Baberowski tatsächlich eine höllische Erfahrung. Der Berliner Historiker ist spezialisiert auf die Geschichte der Gewalt, vor allem hat er sich mit dem Stalinismus beschäftigt. Unabhängig von den totalitären Herrschaftsstrukturen, die Stalin errichtete, hatte der kommunistische Diktator auch sein sadistisches Vergnügen an Folter und Tötung. Dennoch warnt Baberowski davor, das Phänomen Gewalt zu pathologisieren. Anthropologisch betrachtet sei Gewaltausübung eine übliche menschliche Handlungsressource. Jeder kenne aggressive Impulse. Die entscheidende Frage sei, ob es gelinge, zivilisatorische Situationen zu schaffen, die gewalthemmend wirken.

Rausch und Hölle

Wie nahe die Erfahrung von Himmel und Hölle beieinanderliegen können, erläuterte der Psychiater Reinhard Haller am Beispiel von Rausch und Sucht. Drogenkonsumenten schildern ihre Rauschzustände nicht selten als paradiesische Erfahrung. Die Hölle kann jedoch schon während des Rausches in Form eines Horrortrips dieses trügerische Paradies zerstören. Die Schreckensvisionen, von denen Drogenkonsumenten dann erfasst werden, stehen den Fantasien eines Hieronymus Bosch um nichts nach. Zur höllischen Erfahrung kann auch der Drogenentzug werden. Er ähnelt allerdings, wenn er gelingt, dem reinigenden Fegefeuer. Es gibt einen Ausweg.

Angstzustände könnte man bekommen, wenn man hört, was der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen über mögliche Heimsuchungen aus dem Internet berichtet. Die Verwirrung, die Fake News anrichten können, sind bekannt, aber auch die Chance, von einer dummen Äußerung eingeholt zu werden, die man vor 20 Jahren oder mehr im Netz hinterlassen hat, hängt wie ein Damoklesschwert über dem User. Dennoch will Pörksen nicht als Apokalyptiker des digitalen Zeitalters auftreten. Er baut auf Bildung, auf mündige, medienkritische Bürger.

Gewollter Hungertod

Als der Politikwissenschafter Philipp Lepenies seinen Vortrag über Armutsforschung im 18. und 19. Jahrhundert gehalten hatte, sagte Konrad Paul Liessmann, man wisse ja, dass Armut die Hölle sein kann, aber er gewinne jetzt den Eindruck, dass das Hauptbetätigungsfeld des Teufels die Armutsforschung sei. Ausgerechnet ein Christ, der heute eher vergessene Methodistenpfarrer Townsend, wurde zum geisteswissenschaftlichen Wegbereiter des Sozialdarwinismus. Den Hungertod der Armen legitimierte Townsend als Naturgesetz, das im Einklang mit der göttlichen Schöpfungsordnung stünde.

Am Ende mag die Frage stehen, ob angesichts der vielen irdischen Höllen die theologische Hölle nicht völlig an Bedeutung verloren hat. Davon kann im Salafismus keine Rede sein. Muslimische Fundamentalisten nehmen nach wie vor jede Koransure über die "Dschehenna" wörtlich. Die aufgeklärte christliche Theologie hat die Hölle zwar nicht völlig gestrichen, aber humanistisch umgestaltet: Hölle sei völlige Gottesferne, sagte Josef Imbach, verstehbar als existenzielle Verzweiflung des bedürftigen Menschen, der – im Sinne von Dantes Inferno – jede Hoffnung fahren ließ.

 

Tipp: Leseliste zum Thema unter brunnerbuch.at/philosophicum

mehr aus Kultur

Bruckners Dritte als Originalklang mit Hindernissen

Wenn die Bruckneruni-Absage zum Glücksfall wird

Ursula Strauss über Frauenquote beim Film: "Wäre nicht unsinnig"

Blick ins Kastl: Als Seppis Welt noch in Ordnung war

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

1  Kommentar
1  Kommentar
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Freischuetz (3.238 Kommentare)
am 01.10.2018 18:04

Kompliment, eine wunderbare, stilsichere, niveuvolle Zusammenfassung eines Leches Philosphophicums!

"Ich bin der Geist, der stets verneint,
und das mit Recht, denn alles was entsteht ist wert, dass es zugrunde geht ....
... Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt,
mein eigentliches Element"
(JWG; Faust I; Mephistopheles)

lädt ...
melden
antworten
Aktuelle Meldungen