Nach dieser Produktion muss der Amateurstatus neu definiert werden
Ein Ort macht Musical: Galt MacDermots "Hair" erlebte am Freitag in Timelkam eine auf allen Ebenen fantastische Premiere.
Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, sind beinahe 48 Stunden vergangen, seit ich dieses Erlebnis hatte. Manches ist klarer, aber im Kopf ist immer noch vieles wirr entrückt. Habe ich gekifft? Bin ich stoned? Auf einem Trip? Aber – ich war doch in Timelkam, im Pfarrsaal, und ich habe die Premiere von Galt MacDermots "Hair" gesehen...
Woran ich mich erinnere: An eine eruptionsartige Entladung zu Beginn, so als hätte eine Horde eingerauchter, tanzwütiger, liebestoller, friedliebender und begabter junger Menschen nach monatelangen Proben endlich loslegen dürfen. Noch ist das Premierenpublikum im Saal irritiert. Ein bunt gekleidetes Ensemble fegt so nahe an der Professionalität (Dank der Choreografie von Gabi Pölking) über die Bühne und Claudia Ziegl thront darüber als Ronny und schmettert ein stimmgewaltiges "Aquarius".
Die St.-Josefs-Bühne zeigt, dass sie unheilig kann: Kifft (E-Zigaretten), zeigt nackte Hinterteile, revoltiert gegen alles und jeden, der älter ist als sie selbst und der nicht an die freie Liebe glaubt. Die Schauspieler sind mit ihren Rollen verschmolzen. Die Protagonisten (Sebastian Fitzinger spielt nicht, sondern ist "Berger" und Alexander Daxner als "Claude") sind die Spitze eines großartigen Ensembles. Natürlich wirkt dieses Erfolgsmusical ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Vietnam ist lange vorbei, Krieg leider nicht. Syrien ist das neue Vietnam (doch wer protestiert heute dagegen?). Egal. Wen wundert es, dass diese Produktion der Timelkamer "Amateure" ausverkauft ist und eine Neuaufnahme im nächsten Jahr angedacht wird? Es läuft wie geschmiert und ein Rädchen greift ins andere: Die Tanzszenen, die Soli, der Chor, der Bühnenbau auf zwei Ebenen, die technischen Raffinessen, die Live-Musik.
Hinter diesem Gesamtkunstwerk, das die allgemeinen Grenzen einer Amateurbühne nach oben sprengt, stehen 61 Schauspieler und Musiker. Weitere 30 werken hinter der Bühne. Bei einem läuft alles zusammen: Alois Hangler. Seit einem Jahr ist er mit Hair im Kopf herumgelaufen, diese Umsetzung offenbart die fantastische Kreativität dieses bescheidenen Mannes. Fazit: Timelkams "Hair" hat die Ingredienzien einer ungefährlichen, stimmungsmachenden Droge – mit bekannter Nebenwirkung. Man will sie immer wieder sehen.