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Enrico Calesso ist seit 2020 ständiger Gastdirigent am Musiktheater Linz

Von Karin Schütze, 14. November 2023, 20:09 Uhr
Der Philosoph am Dirigentenpult
Enrico Calesso ist seit 2020 ständiger Gastdirigent am Landestheater. (Nico Manger)

Der Italiener (49) hat die musikalische Leitung der Opern "Cavalleria rusticana" / "Pagliacci" inne – die Doppelpremiere ist am Samstag

Mit einem Biss ins Ohr fordert Turiddu Alfio zum Duell: "Es darf natürlich nicht schmutzig und hässlich klingen, aber es muss so wirken", beschreibt Dirigent Enrico Calesso die Musik der Szene in Pietro Mascagnis Oper "Cavalleria rusticana". Er schmunzelt: "Ich weiß, welche Gewalt ich den Musikern mit ihrer phänomenal schönen warmen Klangkultur antue, wenn ich sie dazu zwinge", verneigt sich der Italiener aus Treviso vor dem Bruckner Orchester Linz, an dessen Pult er 2016, im "Don Giovanni" erstmals stand.

Seit 2020 ist der 49-Jährige ständiger Gastdirigent am Landestheater Linz. Seine vierte musikalische Leitung am Haus lädt am Samstag zu einer Doppelpremiere: Die "Cavalleria rusticana" ist gemeinsam mit Leoncavallos "Pagliacci" zu erleben.

Die Musik, eine flüchtige Kunst

Gestern war die Hauptprobe beider stilistisch dem Verismo zugeordneten Opern, nach der sich Enrico Calesso im Café des Musiktheaters die Zeit für ein Gespräch nahm, in perfektem Deutsch.

Vor 23 Jahren ist er nach Wien gekommen, um dort sein Dirigierstudium zu absolvieren. Eine Woche nachdem er seinen Abschluss in Philosophie an der Uni in Venedig gemacht hatte, wo er parallel Klavier, Orgel, Komposition und Chordirigieren studiert hat. "Als 16- oder 17-Jähriger wollte ich nur verstehen, wie man mit einem Orchester und einer Partitur umgeht", erinnert er sich. Erste kleine Engagements als Korrepetitor, dann als Dirigent entfachten seine Leidenschaft für den Taktstock.

Noch bis 2025 ist Calesso Generalmusikdirektor in Würzburg und ab Jänner zudem Musikdirektor in Triest. Linz wird er erhalten bleiben, "solange man mich hier gerne will", hofft der zweifache Vater auf eine lange Zusammenarbeit mit dem Bruckner Orchester: "Ich bewundere, welches unglaubliche Repertoire sie managen müssen. Und sie sind trotzdem immer blendend vorbereitet." Ob der Philosoph in ihm den Musiker beeinflusst? "Ja. Es ist ein sehr dialektisches Verhältnis. Philosophie und Musik sind das komplette Gegenteil voneinander. Die Aufgabe der Philosophie ist es, eine allgemeingültige Wahrheit zu enthüllen", was in einer vergänglichen Welt unmöglich sei: "Wir werden geboren und sterben, wir haben in unserer Welt nichts, das stabil und ewig ist. Es gibt keine absolute Wahrheit, weil alles in Bewegung ist, im Werden und Vergehen", genau wie in der Musik. "Die Musik widerspricht am meisten irgendeiner Ahnung von Ewigkeit, wie sie die Philosophie sucht. Sie sucht ihre Wahrheit in der Zeit, in der Bewegung. Die Musik nutzt als einzige Kategorie die Zeit."

Was diese Flüchtigkeit für ihn bedeutet? "Am Anfang habe ich als Dirigent eine Interpretation gesucht, die ewiggültig ist. Das war falsch. Dieselbe Sinfonie ist nie dieselbe Sinfonie, auch nicht, wenn sie dasselbe Orchester unter demselben Dirigenten spielt. Der Philosoph in mir möchte klare Regeln und Prinzipien setzen, aber der Musiker muss damit leben, dass alles aus dem Moment entsteht und nur in diesem Moment wahr ist."

Kriege führen aus Rache

Auch am Samstag, wenn diese einzigartigen Momente in zwei Klangwelten führen – jene "mitteleuropäische" in Leoncavallos "Pagliacci" (1892) und jene "mediterrane" der 1890 uraufgeführten "Cavalleria rusticana" –, spielt er auf das unterschiedlich wild lodernde Feuer in beiden Werken an, in denen es um Liebe, Betrug und Eifersucht geht, die beide Male in tödliche Racheakte münden.

Im Duell stehen die Rivalen der "Cavalleria" einander am Ende gegenüber, "einer damals gesellschaftlich akzeptierten und sogar geforderten Rache", sagt Regisseurin Alexandra Liedtke. Zum Mord auf offener Bühne kommt es hingegen in "Pagliacci". Nur zwei Jahre liegen zwischen den Uraufführungen der Werke, "in denen ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden hat", sagt die Dortmunderin und verweist auf eine beklemmend aktuelle Parallele zur Gegenwart: "Die Rache lässt uns heute Kriege führen."

Doppelpremiere am 18.11.

  • "Cavalleria rusticana" ist ein Melodrama in einem Akt von Pietro Mascagni, uraufgeführt 1890 in Rom, nach der Novelle und dem Schauspiel von Giovanni Verga. Das Stück spielt in Sizilien. Turiddu verspricht der ihn liebenden jungen Bäuerin Santuzza die Ehe, verlässt sie jedoch für die von ihm geliebte, aber verheiratete Lola. Santuzza deutet die Liaison daraufhin Lolas Gatten an, der Turiddu zum Duell fordert.
  • "Pagliacci" (Der Bajazzo) ist ein Drama in zwei Akten von Ruggero Leoncavallo und wurde 1892 in Mailand uraufgeführt. Eine Theatergruppe um Canio verkündet einen Komödienabend: Realität und Fiktion vereinen sich tödlich, als der eifersüchtige Canio die Affäre seine Frau entdeckt und sie und deren Liebhaber auf der Bühne ersticht.
  • Termine, Karten: 0732 7611-400, www.landestheater-linz.at
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Autorin
Karin Schütze
Redakteurin Kultur
Karin Schütze
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