Große Leben, die sich auf der Leinwand kreuzen
Von 1. bis 6. Juni steckt das Linzer Filmfestival Crossing Europe in 123 Kinofilmen den Kontinent ab.
Für diesen einen Moment fühlte ich mich sicher", sagt Karl Littner im Dokumentarfilm Surviving Gusen. Der Pole (1924–2014) ist einer von drei Zeitzeugen, die im Eröffnungsfilm des Linzer Filmfestivals Crossing Europe (1. bis 6. Juni) Einblicke in die Hölle des KZ Gusen geben.
Dem Regieduo Gerald Harringer und Johannes Pröll aus Katsdorf gelingt dies auf schmerzhaft bestechende Art: Dieser einzige Moment passierte lange, bevor er das KZ erreichte: Auf der Zugfahrt dorthin, einer weiteren Hölle bei minus 20 Grad, ohne Essen und Wasser, auf dem Boden Urin, Exkremente und Tote.
Da zwang Littner seinen "völlig maroden Körper" in einen 30 mal 60 Zentimeter großen Spalt im Unterboden, neben ihm Leichen. Der systematische Sadismus der Nazis, der Menschen quälte, ertränkte, erschlug oder verhungern und in den Steinbruch stieß, lag hier erst vor ihm. 17 Minuten nahm sich das Regieduo Zeit, um die Zugfahrt durch das Mühlviertel nachzuzeichnen – mit dahingleitenden Luftaufnahmen entlang der Bahnstrecke, die den Blick auf eine wunderschöne Landschaft öffnen und dem Gesagten Raum geben. Ein krasser Gegensatz zwischen ewiger Idylle und vergangenem Gräuel. So steht Surviving Gusen (zu sehen am 1./6. 6.) exemplarisch für das, wofür Crossing Europe steht: Die Vermessung des Kontinents zwischen österreichischen Wurzeln, zahlreichen Nationen und Brüchen, gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft, dargebracht in außerordentlicher Form. 122 weitere Filme erfüllen bei der 18. Auflage diese Aufgabe, die besonders Themen wie ethnische und menschliche Vielfalt, Macht und ihre Kontrolle zwischen Demokratie und Diktatur sowie weibliche Selbstermächtigung in den Vordergrund rücken (mehr rechts).
Das Crossing Europe erzählt von Europa durch seine Menschen – ob von der Geschichte bekannt gemacht oder durch ihre historischen Positionen. Zu Letzterem bietet man beispielsweise Filme über die große Performance-Künstlerin Marina Abramovic ("Homecoming", 2./6. 6.) oder Michail Gorbatschow, Moskaus ehemals mächtigsten Mann, eingefangen im Alter von 89 Jahren ("Gorbachev. Heaven", 1./5. 6.).