Zwischen VdB und Ibiza-Video: Viel gerühmtes, viel verwirrtes Österreich
Kino: Die aus Bad Ischl stammende Elke Groen liefert mit ihrem Dokumentarfilm „Der schönste Platz auf Erden“ ein präzises, intimes Porträt der bewegenden Jahre 2016 bis 2019 – ab Freitag (11. 9.) im Kino
Dorthin zu gehen, worauf andere nie kämen, ist unumstrittene Aufgabe der Dokumentarfilmkunst.
Die aus Bad Ischl stammende Elke Groen tat das genau damals, als in Österreich ein neuer Bundespräsident zu wählen war. Sie fuhr nach Pinkafeld im Burgenland. Warum nur?
Weil diese Kleinstadt die Heimat von Alexander Van der Bellens damaligen Konkurrenten ist, dem nunmehrigen FPÖ-Parteichef Norbert Hofer.
Groen wollte in einer angespannten Zeit, in der sich die emotionale Belastung der Massen durch Flüchtlingskrise, Werteverschiebung, der Veränderungen durch die türkis-blaue Regierung und einem parallel in den USA wütenden Donald Trump stetig steigerte, ruhige Einblicke
in einzelne Leben gewinnen.
Exakt beobachtete Grotesken des Österreichischen
Im Film verbinden sich alltägliche Beobachtungen des Ländlich-Beschaulichen mit über Jahre in Etappen geführten Interviews mit Bewohnern Pinkafelds – mit Lokalpolitikern, Geflohenen, Stammtischbesuchern, jungen Landwirten, Kaffeehausgehern, einem Discoinhaber, der von sich selbst als „der Zigeuner“ spricht. Dazwischen sind Natur, Häuserpanoramen oder ein Reh im Garten zu sehen. Wahlplakate, die für Heinz-Christian Strache warben, was ob des Ibizia-Videos von tiefster Ironie geprägt ist.
Genauso wie wenn im Beisl des Wirts, der sich „Zigeuner“ nennt, „We are going to Ibiza“ der „Venga Boys“ aus den Boxen dröhnt.
Das Land im politischen Stresstest
Es sind von exakter Beobachtung getragene Grotesken des Österreichischen, die den Kern von Groens Zeitdokument noch stärker erscheinen lassen – das Gegensätzliche, das die Jahre 2016 bis 2019 prägte, das sicher Geglaubte politischer Identitäten, die in Einzelteile zerfielen und sich in dieser seltsamen Zeit unerhört ungewohnt zusammensetzten. So hört man rote Politiker laut fordern, dass „den Unseren“ Arbeitsplatzsicherheit garantiert werden müsse – gesprochen wie ein waschechter FPÖler. Man hört eine von mehr als konservativen Werten geprägte Frau einen progressiven Feminismus fordern, als wäre sie direkte Erbin von Johanna Dohnal oder Gloria Steinem. Es wird auf Flüchtlinge geschimpft, ein Lob auf fleißige Ungarinnen gesprochen.
Vieles scheint hier nicht mehr zu stimmen. Aber es passt schon, weil es typisch für Österreich ist, wenn dieses Land politische Stresstests erfährt.
Es ist ein Glücksfall, das Groen so klug war, das Aufschaukeln und Aufeinanderprallen während dieser drei schicksalhaften Jahre vor Corona festzuhalten. Dann alleine mit Medienberichten wären sie so nicht rekonstruierbar gewesen. Weil sich Groen Zeit und nicht schnelle Geschichten nahm, langfristig Vertrauen aufbaute. So schuf sie ein wirklich intimes Porträt einer verwirrten Nation.
Es ist idealer Stoff für alle, die unterhalb der Oberflächlichen suchen, sowie für Schulvorführungen. Überhaupt sollte es im ORF zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden.
„Der schönste Platz auf Erden“: AUT 2020, 95 Min., Regie: Elke Groen
fünf von sechs Sternen
ab 11. 9. im Kino
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