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Kolumbien zwischen Vielfalt und Veränderung

Von Ambra Schuster, 16. September 2018, 00:04 Uhr
Kolumbien zwischen Vielfalt  und Veränderung
Grün so weit das Auge reicht: Dank des Klimas in der Zona Cafetera kann das ganze Jahr über Kaffee produziert werden. Bild: Ambra Schuster

Das "K" in Kolumbien stand lange Zeit für Krieg, Kriminalität, Korruption und Kokain. Heute steht es für Kaffee, Kunst, Karibik, Kolonialbauten und die Kehrtwende des Landes. Von den schneebedeckten Anden-Gipfeln bis zur Karibikküste, vom modernen Medellín bis zum kolonialen Cartagena, Kolumbien hält für jeden etwas bereit.

Schmale, steile Straßen winden sich den Berg hinauf. Einfache Häuschen drängen sich wie die Waben eines Bienenstocks an den Hang. Sie werden von der Nachmittagssonne Medellíns in ein warmes Gold getaucht. Ein Taxi bleibt angesichts der Steigung hängen, die Reifen drehen durch. Drei junge Männer schieben an, helfen. Inmitten der windig gebauten Hütten erhebt sich wie eine Fata Morgana die längste Rolltreppe der Welt. Sie wirkt skurril, beinahe deplatziert. Zu modern für eine Gegend, in der gerade einmal jedes Haus über einen Wasser- und Stromanschluss verfügt. Die Rolltreppe führt an kleinen Kunstgalerien, Geschäften und bunten Cafés vorbei.

Oben angekommen, liegt einem Medellín zu Füßen. Langgezogen zieht sich die "Stadt des ewigen Frühlings" auf rund 1500 Metern Höhe durch das Aburrá-Tal. In den wohlhabenden Vierteln streben Wohnhäuser dem Himmel entgegen. Paragleiter und Geschäftsleute nutzen die Aufwinde der Stadt, während sich die verschachtelten Häuser der Armenviertel an die Hänge des Tals klammern. Dem Panorama Medellíns den Rücken zugekehrt, steht man selbst in einem dieser ehemaligen Armenviertel. Street-Art und Graffiti prägen das Straßenbild der Comuna 13. Sie erzählen die blutige Geschichte des Bezirks.

Die Comuna 13 ist heute Vorzeigeviertel und Paradebeispiel der geglückten Stadtplanung Medellíns. Noch in den 90er Jahren war die 2,5-Millionen-Einwohnermetropole eine der gefährlichsten Städte der Welt. Unter dem Drogenkartell Pablo Escobars regierten Gewalt und Terror die zweitgrößte Stadt Kolumbiens. Nach dem Tod des Drogenbarons rangen linke Guerillabewegungen, rechte Paramilitärs, Drogenbanden und Regierung nicht weniger brutal um die Vorherrschaft in der Stadt. So war auch die Gegend rund um die Comuna 13 bis zur letzten Militäroperation 2002 de facto Kriegsgebiet.

Kolumbien zwischen Vielfalt  und Veränderung
In den steilen Straßen der Comuna 13 sind die orange-überdachten Rolltreppen ein willkommenes Fortbewegungsmittel. Bild: Ambra Schuster

Transport transformiert

Seitdem ist dank ehrgeiziger Infrastrukturprojekte viel passiert. Problemviertel wurden durch moderne Architektur und den gezielten Bau von Bildungseinrichtungen aufgewertet. Straßen wurden für (Polizei-)Autos passierbar gemacht und dadurch wurden ganze Viertel entkriminalisiert. Das Metro- und Seilbahnnetz bindet die auf den Hängen gelegenen Slums an das Zentrum an. Transport transformiert. Auch die Menschen. Auf die einzige Metro des Landes sind die Einheimischen, die Paisa, besonders stolz. "Sind Sie schon mit der Metro gefahren?" Die "Cultura Metro" bezeichnet hier eine eigene Lebenseinstellung. Zu Stoßzeiten stellen sich die Leute gut und gerne eine halbe Stunde an, um mit einer der beiden Metrolinien oder einer der Gondeln zu fahren. 2012 erklärte das Wall Street Journal Medellín zur innovativsten Stadt der Welt. Heute zieht die Stadt in den Anden als moderner Wirtschaftsstandort mit belebten Plätzen, einer Kunst- und Kulturszene und einem pulsierenden Nachtleben internationale Gäste an. Medellín ist im Aufschwung und Symbolbild für die aktuellen Veränderungen in Kolumbien.

Kolumbien zwischen Vielfalt und Veränderung
Street-Art und Graffiti sind omnipräsent in Medellín und erzählen die Geschichte Kolumbiens. Bild: Ambra Schuster

Auf der kurvenreichen "Autopista" geht es mit dem Bus von Medellín in Richtung Süden. Am Fenster ziehen sattgrüne Berge und Täler vorbei. Unendliche Weiten, tiefe Schluchten, Wasserfälle, unberührte Natur. In der Ferne blitzen die schneebedeckten Vulkan-Gipfel und Gletscher des Los-Nevados-Nationalparks. Der Ausblick lenkt von den waghalsigen Überholmanövern des Busfahrers ab, der sich vor jedem Hinausrangieren bekreuzigt.

K wie kurvenreich und Kaffee

Die "Autopista" sind gut befestigte, aber meist schmale, einspurige Passstraßen. Das Busnetz für Nah- und Fernverkehr ist gut ausgebaut, Schienenverkehr gibt es keinen. Stoßstange an Stoßstange wälzt sich hier alles, was von A nach B möchte, die Anden hinauf und hinunter. So können für eine Distanz von 200 Kilometern auf den kurvenreichen Straßen ohne Weiteres fünf, sechs oder auch sieben Stunden Fahrzeit anfallen. Je nach Hunger des Fahrers, Verkehrsaufkommen und Wochentag. Vor allem sonntags kommt es schon einmal vor, dass Passstraßen in beiden Richtungen gesperrt sind. Die Messe in der Kapelle hinter der nächsten Kurve hat Vorrang. Das K in Kolumbien steht auch für katholisch.

Wer keinen guten Magen und weniger Geduld mitbringt, kann weitere Entfernungen einfacher mit dem ebenfalls sehr leistbaren Flugzeug zurücklegen. So oder so, früher oder später kommt in Kolumbien jeder ans Ziel.

Bei der Ankunft auf der Kaffeefarm Hacienda Venecia sind die Reisestrapazen schnell vergessen. Hektarweite Kaffeeplantagen, dazwischen vereinzelt Bananenbäume, Eukalyptus, Palmen und Kakaopflanzen. Auf dem gepflegten, großzügig angelegten Anwesen wimmelt es vor Schmetterlingen. Im pittoresken Haupthaus werden Besucher mit einer Tasse Kaffee empfangen. Freilaufende Hühner begrüßen Neuankömmlinge.

Die Kaffeefinca liegt in einer Senke mitten in der Zona Cafetera, dem Kaffeeanbaugebiet Kolumbiens. Dank des subtropischen Bergklimas kann hier das ganze Jahr über Kaffee angebaut und mit gleichbleibender Qualität exportiert werden. Die Ernte erfolgt in dem teils sehr steilen Gelände händisch. Vormittags können Interessierte bei Kaffeetouren über das Gelände und in Barista-Workshops ihren Wissensdurst stillen. Vom Kaffeegenuss vor Ort sollte allerdings nicht zu viel erwartet werden. Die besten Arabica-Bohnen sind für den Export bestimmt. Am Nachmittag laden Hängematten am Pool des Gästehauses dazu ein, die Seele baumeln zu lassen. Abends können die heißen Quellen naheliegender Thermalbäder besucht werden.

Unter Wachspalmen

Das ebenfalls in der Zona Cafetera gelegene Salento lockt Rucksackreisende vor allem wegen seiner Nähe zum Valle del Cocora an. Das kleine Kolonialdorf mit den für die Gegend typischen weißen Häusern mit bunten Tür- und Fensterrahmen ist Ausgangspunkt für Ausflüge zu den berühmten Quindío-Wachspalmen.

Kolumbien zwischen Vielfalt und Veränderung
Die Wachspalme wird bis zu 60 Meter hoch und ist die höchste Palmenart der Welt. Bild: Ambra Schuster

Eine einstündige Fahrt in einem Oldtimer-Jeep führt in das Cocora-Tal. Das Grün Kolumbiens verblasst auch hier nicht. Zwischen den nebelverhangenen Hügeln des Tals blitzen einzelne Sonnenstrahlen durch und beleuchten wie Scheinwerfer die Attraktionen des Tals: Urzeitlich anmaßend ragen die Wachspalmen wie überdimensionale Zahnstocher in den Himmel. Bei Wind neigen sich die Baumkronen, als würden sie sich verbeugen – beinahe lächerlich überproportional und doch so majestätisch. Die Zuseher fühlen sich winzig. Der kolumbianische Nationalbaum wird bis zu 60 Meter hoch und ist damit die höchste Palmenart der Welt.

K wie Kontrast

Das Cocora-Tal und die Zona Cafetera sind nur zwei der vielen Beispiele für die einzigartige kulturelle und landschaftliche Vielfalt Kolumbiens. Wem die milden Temperaturen im kolumbianischen Hochland nicht warm genug sind, der kann bei tropischen 30 Grad und 90-prozentiger Luftfeuchtigkeit den Tayrona-Nationalpark an der Karibikküste erkunden. Hier kreuzen sich die Wege indigener Völker und der Besucher. Abschließend belohnt ein Bad an einem der schönsten Karibik-Strände Kolumbiens den schweißtreibenden Marsch durch den Dschungel.

Kolumbien zwischen Vielfalt und Veränderung
Im Tayrona-Nationalpark wälzt sich der Dschungel bis zum karibischen Meer. Bild: Ambra Schuster

Weniger Natur und mehr Nacht- und Stadtleben bietet ein paar Stunden weiter westlich Cartagena. Die Großstadt an der Karibikküste bezaubert mit einer perfekt restaurierten kolonialen Altstadt und ist luxuriöser als der Rest des Landes. Wer genug vom touristischen Treiben hat, reist in die an einem Canyon gelegene Kleinstadt San Gil und tobt sich dort bei Extremsportarten wie Paragliding und Rafting aus. Entspannter angehen lassen kann man es in den umliegenden kolonialen Bergdörfern Barichara und Guane. Gepflasterte Straßen, niedrige, weiß verputzte Häuser, Holzbalkone die vor Blumen überquellen. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Die verschlafenen Dörfer eignen sich wunderbar, um abzuschalten und dem Ökotourismus zu frönen. Wer dennoch eine gemütliche Wanderung in der Gegend unternimmt, wird mit einem sagenhaften Ausblick über den sattgrünen Canyon belohnt. Die auf 2600 Metern gelegene Hauptstadt Bogotá ist von hier aus „nur mehr“ einen 6-stündigen kolumbianischen Katzensprung entfernt und lockt mit zahlreichen Museen und einer Fahrradkultur, die ihresgleichen sucht.

Kolumbien zwischen Vielfalt  und Veränderung
Die Straßenzüge von Cartagenas Altstadt erinnern an koloniale Zeiten. Bild: Ambra Schuster

Nichts ist so wertvoll wie Frieden

Nicht nur in Medellín, auch in weiten Teilen des restlichen Landes hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren wesentlich verbessert. Nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges, die in die Geschichte Kolumbiens schlicht als „La Violencia“ – „Die Gewalt“ eingegangen sind, werden Friedensverträge verhandelt, Guerillas entwaffnet und resozialisiert, der Drogenkrieg in den Untergrund gedrängt. Besucher bekommen davon nichts mit. Für ihr Wohlbefinden ziehen Regierung, Militär, Polizei, private Sicherheitskräfte und nicht zuletzt die Zivilbevölkerung an einem Strang. Die neu gewonnene Sicherheit kurbelt den Tourismus an. Seit der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit der Guerillabewegung FARC 2017 haben rund sechs Millionen Menschen Kolumbien besucht. Vom gefestigten Frieden und der zunehmenden Stabilität profitieren alle. "Nada vale tanto como la paz" – "Nichts ist so wertvoll wie der Frieden" ist auf einem Graffiti in der Comuna 13 zu lesen. Nur von der besten Seite wollen die Kolumbianer sich und ihr Land zeigen. Wie kann ein Volk, das in seiner jüngsten Geschichte so viel Leid gesehen hat, so gastfreundlich und lebensfroh sein? – "Wir Kolumbianer haben ein schlechtes Gedächtnis. Wir vergessen, was passiert ist, und zehren an den wenigen schönen Erinnerungen."

Zugegebenermaßen braucht es eine gewisse Abenteuerlust, um Kolumbien zu bereisen. Wer sich traut, wird sich an dem Grün Kolumbiens aber nicht sattsehen können.

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