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Das zweite Wunder vom Dachstein

Von Gerhild Niedoba und Gabriel Egger, 10. November 2017, 00:04 Uhr
Bild 1 von 11
Bildergalerie Fünf Tage in Doline am Dachstein überlebt
Bild: Polizei

GOSAU. Fünf Tage lang überlebte der 45-jährige Henning K. nach einem Sturz in einer Doline am Dachstein, am Donnerstag konnte er geborgen werden. Die OÖN haben mit Bergrettern, Ärzten und einem Bergsteiger, dem es ähnlich erging, gesprochen.

Als Christoph Preimesberger am Mittwoch kurz vor Mitternacht einen aufgeregten Anruf erhielt, dachte er zuerst an einen Film. "Gestern haben sie die Dokumentation über das Wunder vom Dachstein im Fernsehen gezeigt. Vor 32 Jahren hat einer 19 Tage am Gletscher überlebt. Ich hab’ geglaubt, da geht’s um damals", sagt der Chef der Bergrettung Oberösterreich. Doch der Fall war aktuell.

Henning K. aus Duisburg war am vergangenen Samstag vom Vorderen Gosausee aus Richtung Adamekhütte in 2196 Meter Höhe aufgestiegen. Der deutsche Bergsteiger war, wie schon früher auch, alleine unterwegs. Das Wetter war gut – das sollte sich bald ändern.

Kontakt abgerissen

Ungefähr eine halbe Stunde vor dem Ziel, unterhalb des 2316 Meter hohen Schreiberwandecks, passierte das Unglück. Der 45-Jährige stürzte 20 Meter in eine vom Schnee verdeckte Doline (siehe unten). Danach riss der Kontakt zur Außenwelt ab. Fünf Tage lang musste er kauernd in der Öffnung ausharren.

Es war sein Vater, der stutzig wurde, nachdem sich Henning drei Tage lang nicht gemeldet hatte. Daraufhin gab er am Montag in Deutschland eine Abgängigkeitsanzeige auf. Über eine Wiener Mietwagenagentur wurde die Suche nach dem Vermissten schließlich auf Österreich ausgeweitet. Wie sich herausstellte, hatte sich der Deutsche dort einen "Opel Mokka" ausgeliehen und war damit zum Gosausee gefahren. Der bereits eingeschneite Wagen konnte Dank einer im Pkw installierten SIM-Karte auf dem Parkplatz geortet werden. Daraufhin bereiteten Bergrettung und Polizei eine große Suchaktion für Donnerstag vor. Durch eine kaum vorstellbare Fügung konnte diese jedoch vorgezogen werden.

"Es war ein reines Bauchgefühl", schildert Günter Reischl von der Polizei-Bezirksleitstelle Gmunden die wohl entscheidenden Minuten.

Mittwoch gegen 21 Uhr erhielt er mehrere Notrufe, die jedoch nach wenigen Sekunden wieder abbrachen. Da habe er gemerkt, dass da "etwas dran" ist, wie er sagt. Er schickte von seinem privaten Handy eine Nachricht an das deutsche Telefon, mit der Bitte, sich doch hier zu melden. Eine weitere Stunde verging: Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen ging das Not-SMS von Henning K. schließlich durch: Er konnte sogar die genauen Koordinaten seines Aufenthaltsortes schicken. "Vermutlich hat er beim Hinaufgehen regelmäßig Wegaufzeichnungen auf dem Handy gemacht", sagt Alpinpolizist Bernhard Magritzer.

Daraufhin wurde gegen Mitternacht die Rettungsaktion in Gang gesetzt. 25 Bergretter stiegen mit Stirnlampen, Skiern und Schneeschuhen ausgerüstet bei denkbar widrigen Bedingungen zur Absturzstelle auf.

Ein Video zeigt den Rettungseinsatz:

Gefährlicher Rettungseinsatz

"Das war grenzwertig. Wir haben am Dachstein mehr als einen Meter Neuschnee", sagt Preimesberger. Lawinengefahr und Nebel erschwerten die Situation für die 20 Bergretter und Alpinpolizisten.

Nach drei Stunden Aufstieg begannen die Retter in der Nähe des vermuteten Unfallortes zu rufen. Gegen 4 Uhr früh hörte diese der Vermisste und antwortete aus der Doline. Mit einer Lampe leuchtete der Einsatzleiter der Bergrettung Gosau, Christian Egger in die Tiefe.

Dort sah er den kauernden Verunglückten. Egger wurde zu ihm abgeseilt und wartete mit Henning K. – er hatte Verletzungen an Schulter und am Sprunggelenk erlitten – in der Doline, bis alles für den Transport durch den Hubschrauber fertig war. "Es war sehr emotional, er hat gezittert, geweint und gelacht." Erst nach Mittag waren alle Bergretter wieder im Tal angekommen.

Gestern Vormittag wurde Henning K. im Klinikum Wels operiert. In den kommenden Tagen wird er vermutlich die Intensivstation verlassen können.

 

Das Wunder vom Dachstein: Die Rettungsaktion für den 45-jährigen Henning K. erinnert an ein ganz ähnliches Ereignis aus dem Jahr 1985. Damals war der Amerikaner Kenneth Thomas Cichowicz zu einer Dachsteinüberquerung aufgebrochen – und nicht mehr zurückgekommen. Er war am 16. Oktober fünf Meter in eine Spalte gestürzt und mit zertrümmertem Bein, gebrochenen Rippen und einem verletzten Arm liegen geblieben.

Cichowicz wusste, dass ihn niemand vermisste. Erst für den 23. Oktober hatte er seine Rückkehr angekündigt. 19 Tage später sichtete ihn der Flugretter Andreas Staudacher aus dem Hubschrauber und leitete die Rettung ein. Die Geschichte wurde zur Spielfilm-Doku.

 

"Als er uns sah, musste er weinen und lachen"

Christian Egger  Bild: (Firma fotokerschi.at e.U.)

Christian Egger (47), Einsatzleiter der Bergrettung Gosau, seilte sich als Erster zu Henning K. ab. Wie dieser reagierte, erzählt Egger im Interview.

  1. Wie haben Sie den Verletzten vorgefunden?


    Er stand in der Doline - unter dem Loch, das etwa einen Meter Durchmesser hat. Als er uns oben sah, hat er sehr emotional reagiert: Das war eine Mischung aus Weinen und Lachen. Da musste auch ich mit den Tränen kämpfen.
  2. In welcher körperlicher Verfassung war er?


    Überraschend gut. Er war nur sehr durstig, hatte kaum mehr etwas zu trinken. Das wäre nicht mehr lange gut gegangen. Er hatte immer wieder versucht, Tropfen aufzufangen. Es grenzt an ein Wunder, dass er bei dem Absturz nicht stärker verletzt worden ist.
  3. Hat er überhaupt noch mit seiner Rettung gerechnet?


    Eigentlich nicht mehr, er hatte schon irgendwie abgeschlossen.
  4. Wie lange hätte er unter diesen Umständen noch überlebt?


    Nicht mehr lange. Auch, weil er bei der Rettung psychisch nicht mehr so gut drauf war.

 

Günter Huemer im Interview

Günter Huemer   Bild: (www.laumat.at)

Bei einer Pressekonferenz im Spital sprach der Primar von der Intensivmedizin 1 am Klinikum Wels gestern Nachmittag über den Zustand des abgestürzten Bergsteigers Henning K. mit OÖN-Redakteur Erik Famler.

  1. Wie war der Zustand des Bergsteigers bei der Einlieferung?


    Die Rettung und die Erstversorgung verliefen exzellent. Der Patient hatte bei der Einlieferung 35 Grad Körpertemperatur. Bei seiner Auffindung ein Grad weniger. Es bestand die Gefahr einer Unterkühlung.
  2. Warum wurde er nach Wels und nicht nach Bad Ischl oder Vöcklabruck gebracht?

    Weil man im Klinikum einen breiten Rücken hat.
  3. Wie schaffte es Henning K. so lange, stabil zu bleiben?


    Der Patient ist in einem exzellenten physischen Zustand. Trotz der großen Absturzhöhe (15 bis 20 Meter) war das Trauma überschaubar.
  4. Wie kann ein Mensch über einen so langen Zeitraum in der Kälte überleben?

    Entscheidend ist der Flüssigkeitshaushalt. Er hat da unten offenbar etwas zu trinken gehabt. Er hatte auch Flüssigkeit mit sich getragen. Ohne Nahrung kann man eine Woche durchhalten. Es wäre aber spekulativ, darüber detaillierte Aussagen zu treffen.
  5. Wie kämpfte er gegen die Unterkühlung an?


    Sein Glück war, dass er sich in dem geschützten Loch befand. Er dürfte sich auch bewegt und nach einem Ausweg gesucht haben. Seine gute Konstitution war von Vorteil.

 

"Einmal willst du leben, ein andermal gibst du dich auf"

"Einmal willst du leben, ein andermal gibst du dich auf"
Herbert Bruckmüller im Jahr 1995 Bild: OÖN:Oberösterreichische Nachrichten

Herbert Bruckmüller aus Altmünster saß 1995 vier Tage in einer Doline im Toten Gebirge fest. Die OÖN sprachen mit ihm.

Eingesperrt in einem finsteren Gefängnis. Nichts zu trinken, nichts zu essen, kein Schlaf und die Angst, nie wieder ans Tageslicht zu kommen. Herbert Bruckmüller kann nachvollziehen, wie sich der Duisburger Henning K. fünf Tage lang in der Doline am Dachstein gefühlt haben muss. Der 79-Jährige hat diesen Albtraum selbst erlebt.
Samstag, 28. Oktober 1995. Ein wunderbarer Herbsttag in den oberösterreichischen Bergen. Herbert Bruckmüller hat auf der Pühringerhütte genächtigt und will von dort zur Tauplitzalm wandern. Dafür muss er das von Dolinen durchzogene Tote Gebirge überqueren.

300 Versuche scheiterten

Im Bereich der Weißen Wand verliert er plötzlich den Boden unter den Füßen. Bruckmüller stürzt in eine 30 Meter tiefe Doline – und hat dennoch großes Glück. Er bleibt auf einem Felsvorsprung in fünf Metern Tiefe liegen – unverletzt. "Meine Taschenlampe ist gebrochen.Ab diesem Zeitpunkt hatte ich kein Licht mehr", erinnert sich der heute 79-Jährige. Ein Überlebenskampf beginnt. "Ich habe mir immer wieder Türme aus Steinen gebaut, um da irgendwie rauszukommen", sagt er. 300 Versuche scheiterten. "Ich habe mich gezwungen, nicht zu schlafen. Es war kalt und ich wollte nicht erfrieren. Der Schlafentzug macht dich wahnsinnig."

Es sei ein Wechselbad der Gefühle gewesen. "Einmal willst du leben und kämpfst, ein andermal gibst du dich auf. Das wechselt innerhalb von Stunden."

Nach vier Tagen kann er sich befreien. Ohne Schuhe steigt er 15 Stunden lang nach Grundlsee ins Tal ab. Seine Erlebnisse hat Bruckmüller in seinem Buch "Warum kannst du nicht fliegen?" auf 112 Seiten niedergeschrieben.
 

"Einmal willst du leben, ein andermal gibst du dich auf"
Warnschilder im Toten Gebirge

Dolinen, eine unberechenbare Gefahr

Sie können mehrere hundert Meter in die Tiefe reichen, sind schwer zu sehen und aus ihnen gibt es kaum ein Entkommen. Dolinen sind für Bergsteiger oft eine unberechenbare Gefahr.

Als Dolinen bezeichnet man Spalten, Löcher und Trichter in Karstgebirgen.

Ihr Durchmesser schwankt zwischen wenigen Zentimetern und 200 Metern. Sie entstehen durch Erosion. In Oberösterreich sind vor allem das Tote Gebirge und das Höllengebirge bekannt für seine mächtigen Löcher im Karst. In den Sommermonaten ist die Gefahr noch überschaubar. Im Bereich von Latschen und bei Schneelage steigt sie deutlich an.

Es ist beinahe unmöglich, die Wände bei einem Sturz selbst hinaufzuklettern. Sichtverbindung zur Außenwelt ist ebenso wenig gegeben, wie die akustische. Der Empfang des Mobiltelefons ist stark eingeschränkt.

Die Bergrettung Obertraun hat die wichtigsten Dolinen in ihrem Gebiet in einem GPS-Verzeichnis aufgeführt.

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5  Kommentare
5  Kommentare
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mitreden (28.669 Kommentare)
am 10.11.2017 14:07

...und die gute Ausrüstung hat mitgeholfen, die Überlebenschance zu erhöhen!

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Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 10.11.2017 17:17

Gute Ausrüstung, Vertrautheit mit ihr, gute Kondition körperlich u. psychisch)

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mitreden (28.669 Kommentare)
am 10.11.2017 09:07

Dem Geretteten alles Gute und den Rettern ein Dankschön.!!!
Ich möchte das nicht erleben...

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lancer (3.688 Kommentare)
am 10.11.2017 07:32

Bei diesen Schneeverhältnissen alleine in den Kalkalpen unterwegs zu sein ist sehr riskant. Speziell wenn man den Weg nicht mehr sieht und nicht kennt. Dolinen gibt es tausende. Wir haben schon oft wieder umgedreht wenn wir nicht mehr sicher sein konnten wo man hin steigen darf. Das die Kalkalpen durchlöchert sind wie ein Schweizer Käse sollte man eigentlich wissen, wenn man dort unterwegs ist.

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Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 10.11.2017 17:16

Ich glaube, der viele Schnee kam erst?

Deine Warnung sollen sich alle zu Herzen nehmen.

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