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Pieter Bruegel - Meister der Beobachtung

Von Manfred Wolf, 20. Oktober 2018, 00:04 Uhr
Eines seiner berühmtesten Werk ist der „Turmbau zu Babel" von dem es einst drei Werke gab. Zwei sind noch erhalten, eines davon hängt seit Jahrhunderten in Wien, das zweite in Rotterdam (siehe unten). Bild: KHM

Die größte Bruegel-Ausstellung, die es je gab, ist derzeit im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen. Das Œuvre Pieter Bruegels des Älteren gibt Erstaunliches preis.

Die jüngste Schätzung eines Gemäldes von Pieter Bruegel dem Älteren liegt bei knapp 200 Millionen Dollar. Und es handelt sich dabei nicht um eines seiner bekanntesten Werke. Das Kunsthistorische Museum Wien besitzt zwölf Bruegel-Gemälde, darunter "Die Bauernhochzeit" und "Turmbau zu Babel". Derzeit sind 27 der 41 erhaltenen Gemälde des niederländischen Meisters in Wien zu sehen – dazu 60 Zeichnungen und Druckgrafiken. Es ist die größte Bruegel-Ausstellung, die es je gab, und – so das Motto – die wohl einmalige Chance im Leben ("once in a lifetime"), einen Blick auf den Großteil seines Œuvres zu werfen.

So viel zum Rahmen dieser Schau. Doch um diesen soll es hier nicht gehen, vielmehr um die Kunst, die selbiger säumt. Und all das, was dem Auge seit Jahrhunderten verborgen geblieben und nun in sechsjähriger Aufarbeitung sichtbar gemacht worden ist. Dies gibt Rückschlüsse darauf, wie Bruegel gemalt hat, wer seine Auftraggeber waren, was ihn inspiriert hat, wie das Kunsthistorische Museum zur größten Bruegel-Gemäldesammlung der Welt kam und wer Bruegel war.

Über Bruegel selbst wissen die Kunsthistoriker wenig. Vermutlich kam er in Breda (oder Antwerpen) zur Welt, wahrscheinlich 1525 – oder 1530. 1551 trat er der Antwerpener Malergilde bei, hatte Aufenthalte in Frankreich und Italien (Neapel und Rom). Seine Söhne Pieter der Jüngere und Jan wurden ebenfalls berühmt. Bruegel starb am 9. September 1569.

„Der Turmbau zu Babel“ aus dem Museum Boijmans van Beuningen in Rotterdam Bild: KHM

Wesentlicher als seine Vita sind aber seine Werke, die anfangs von seinem Vorbild Hieronymus Bosch geprägt waren. Diabolisch und unheimlich anmutende Bilder und Druckgrafiken, bei denen Fantasiewesen dominieren, jedoch schon in Bruegels, der als zweiter Bosch gefeiert wurde, unverkennbarem Stil.

Diese Prägung dürfte mitverantwortlich sein, dass die Habsburger später die größte Sammlung an Bruegel-Bildern weltweit anhäuften. In jungen Jahren zu ihrem Onkel und Bosch-Fanatiker Philipp II. nach Spanien entsandt, kamen Erzherzog Ernst und der spätere Kaiser Rudolf II. mit der Kunst Boschs in Berührung. Spätestens also, als Ernst Statthalter der Niederlande wurde und dort zum Einstand den sechs Gemälde umfassenden Jahreszeiten-Zyklus erhielt, war es um ihn geschehen. Wahrscheinlich empfahl er Bruegel seinem Bruder, und nach und nach kamen die Bilder nach Wien.

Geröntgt und restauriert

Womit wir wieder in der Gegenwart sind, nämlich im Kunsthistorischen Museum, wo derzeit neben den Bildern aus Wien auch Werke aus einigen der größten Museen der Welt – von Washington über Amsterdam, Rotterdam, Paris, Berlin, Prag und Wien – hängen. Sämtliche Bilder wurden in den vergangenen sechs Jahren auf "Herz und Nieren" überprüft. Sprich: restauriert, geröntgt, mit Infrarotkameras und mit einer hochauflösenden Kamera fotografiert. Der Befund: zum Teil erstaunlich.

„Die Kreuztragung Christi“: Ohne Rahmen ist an den Rändern die Eichenholztafel sichtbar. Bild: KHM

 

Bild: KHM

Bruegel malte auf hochqualitativen Eichenholztafeln aus dem Baltikum. Diese wurden aus mehreren Einzelbrettern mit Dübeln verbunden, bei einer maximalen Stärke von gerade einmal einem Zentimeter. "Anatomisch" wunderbar veranschaulicht wurde dies mit dem Bild "Die Kreuztragung Christi", bei dem der Rahmen entfernt wurde.

Eine Zurschaustellung, die selbst Alice Hoppe-Harnoncourt beeindruckt. Sie war es, die sich im Zuge der Ausstellung um die Provenienz kümmerte, also die Vorbesitzer der Werke recherchierte. "Die Besucher sehen das Bild so, wie es der Künstler selbst vor sich in seiner Werkstatt hatte", sagt sie. Überhaupt habe es ihr dieses "Wimmelbild" besonders angetan. Nicht nur, weil das eigentliche Thema des Bildes erst auf den zweiten Blick sichtbar wird. Nämlich Christus, der sein Kreuz trägt – freilich hat der Meister die Passion Christi in seine flämische Heimat und Zeit verlegt – in eine fiktive Landschaft. Am Fuße eines schroffen Bergs, auf dem eine Windmühle emporragt, sieht der Betrachter Grausamkeiten, Tod und Trauer. "Dieses Bild gehört zu jenen Bildern, bei denen ich am meisten entdeckt habe", sagt Alice Hoppe-Harnoncourt.

Die Interpretation bleibt bei den Bildern freilich dem Besucher überlassen. Denn selbst Kunsthistoriker können bei der Vielfalt – und der Vielzahl (darum auch Wimmelbilder) – seiner Figuren oftmals nur mutmaßen. Raum für freies Denken also, in den Alice Hoppe-Harnoncourt den einen oder anderen Gedanken hängt.

In einer frühen Zeichnung sucht Jedermann ("Elck") nach dessen "Ich", oder nach dem Sinn des Lebens? Fragen, die wie Bruegels Bilder die Zeit überdauert haben. Und auf die es ebenso keine eindeutigen Antworten gibt, wie auf jene, was Bruegel definitiv aussagen wollte.

Diese Suche kommt Alice Hoppe-Harnoncourt auch bei "Kampf zwischen Fasching und Fasten" in den Sinn. Der Narr mit einer Fackel in der Hand leitet einem Paar, das dem Betrachter den Rücken zuwendet, den Weg durch das rege Treiben. Vielleicht sei es ein Fehler, sagt sie, sich auf der Suche leiten zu lassen. "Jedenfalls etwas, worüber sich der Betrachter wunderbar den Kopf zerbrechen kann."

„Die Jäger im Schnee“: Eisstock und Eishockey – die Menschen vergnügen sich im Winter; der Jäger unten, wurde von Bruegel erst spät während des Malens eingefügt, wie die Röntgenaufnahme (unten) zeigt. Er wurde später über den Baumstamm gezeichnet. Bild: KHM

 

Bild: KHM

In einer überdimensionalen Version begegnet der Besucher diesem Treiben, bei dem im Original auch die Zensur im Laufe der Jahrhunderte die eine oder andere Leiche und Grausamkeit hat verschwinden lassen, später wieder. Gegenstände aus dem Bild wurden für die Ausstellung zusammengetragen. Sie unterstreichen zum einen die realistische Darstellung Bruegels, zum anderen zeigen sie auch, welch große Rolle dem Meister als Chronisten zuteil wird. Seine einmalige Beobachtungsgabe hat dem Leben, Menschen, Bräuchen und Aktivitäten von damals eine Beständigkeit gegeben – und zeigt, dass auch damals schon Eishockey gespielt wurde, wie auf dem wohl bekanntesten Jahreszeitenbild "Die Jäger im Schnee" zu sehen ist.

Apropos "Jäger im Schnee": Jener Jäger, der den Betrachter ins Bild leitet, wurde von Bruegel erst später eingefügt, wie eine Röntgenaufnahme des Bildes zeigt. "Diesen Einfall hatte er erst, als er beinahe fertig war, die Figur ist aber für die Gesamtkomposition enorm wichtig", sagt Hoppe-Harnoncourt.

Bevor der Jahreszeitenzyklus in den Besitz der Habsburger fiel, gehörte er dem Kaufmann Nicolaes Jonghelinck, der einer der Auftraggeber Bruegels war und 16 Gemälde besaß. Bruegel dürfte ausschließlich Auftragsarbeiten angefertigt haben, jedoch nie für die Kirche. Obwohl er religiöse Themen immer wieder aufgegriffen hat. Wie auch den "Turmbau zu Babel", in dem wohl bekanntesten Bild Bruegels, in dem sich auch seine Rom-Aufenthalte spiegeln – Mauern und Trümmer ähneln jenen des Kolosseums.

„Der Kampf zwischen Fasching und Fasten“: Ein toter Mensch im Schubkarren – im Original wurde die Figur unkenntlich gemacht, das Röntgenbild (unten) gibt sie wieder preis. Bild: KHM

 

Bild: KHM

Drei Türme waren es, zwei davon gibt es noch. Den düsterer wirkenden Turm aus der Sammlung aus Rotterdam und jenen aus Wien. Letzterer kam im 17. Jahrhundert nach Wien, wo sie dieser Tage nach Jahrhunderten wieder vereint sind.

Verlor Bruegel – seine Landschafts- und Bauernbilder – im 18. Jahrhundert zwar an Beliebtheit, so blieb das Interesse am "Turmbau zu Babel" stets rege. Anfangs in der Stallburg, später im Belvedere und seit Bestehen im Kunsthistorischen Museum wird dieses Bild durchgehend ausgestellt. Sein Wert wurde nie geschätzt, sein ideeller Wert ist ohnehin unbezahlbar.

 

Die Ausstellung „Bruegel“´(noch bis 13. Jänner) wurde vom Kunsthistorischen Museum Wien auch digital wunderbar aufbereitet. www.khm.at

Auf einer anderen Seite gibt es die Möglichkeit, die Wiener Gemälde nicht nur hochauflösend zu betrachten, sondern auch die Röntgen- und Infrarotbilder. www.insidebruegel.net

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