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Ein ganzes Tal im Zeichen eines kleinen Messers

Von Reinhold Gruber, 29. Juni 2013, 00:04 Uhr
Ein ganzes Tal im Zeichen eines kleinen Messers
Drei des guten Dutzends Einheimischer, die im Kulturverein das Museumsdorf beleben: Günther Steindlegger, Alfred Luidold und Rudolf Zweckmayr (von rechts nach links). Bild: R. Gruber

Eine Wanderung durch das Tal der Feitelmacher in Trattenbach fühlt sich an wie gelebter Geschichtsunterricht.

Der „Riesen-Feitel“ steht am Talanfang. Ein erster Gruß, der trotz der beeindruckenden Größe nicht sofort ins Auge sticht. Erst bei der Rückkehr, wenn man mit dem Taschenfeitel und seiner langen Tradition vertrauter ist, fällt er einem auf. Wahrscheinlich braucht es den etwa 1,5 Kilometer langen Spaziergang durch das Museumsdorf, um richtig in Feitel-Form zu kommen.

Der Trattenbacher Taschenfeitel – Feitel leitet sich von falten ab – ist ein Original. Vor 500 Jahren wollte es die Geschichte, dass sich der Franzose Bartholomäus Löschenkohl auf die Reise machte und vom Elsass ins enge, aber landschaftlich reizvolle Trattenbach übersiedelte.

Der Messerer mit der Feitel-Idee, also dem Klappmesser mit Stahlklinge und gedrechseltem Holzgriff, hat mit seinen Söhnen die Produktion der „seltsamen Messerl“ begründet und sukzessive ausgebaut. Ursprünglich auch „Franzosen“ genannt, ist die Form bis heute geblieben. Breite Klinge, gerilltes gefärbeltes „Heft“, wie der Holzgriff in der Fachsprache genannt wird.

Löschenkohl nutzte für die Erzeugung die Wasserkraft. Bereits am Ende des 16. Jahrhunderts war das Trattenbachtal von 14 Zauckerlschmieden besiedelt. In der Blütezeit waren entlang des Trattenbaches 17 Werkstätten mit der Messerproduktion beschäftigt, alle verbunden durch das Wasser, das von einem Haus zum anderen geleitet wurde und die Maschinen wie Schmiedehammer, Schleifstein oder Drechselmaschine antrieb. Diese geniale Nutzung des Baches mit seinem starken Gefälle beeindruckt noch heute. Denn die Spuren entdeckt man buchstäblich bei jedem Schritt von der Manufaktur Löschenkohl bis zur Drechslerei am Erlach.

Johann Löschenkohl ist heute der Letzte seiner Zunft. Die Automatisierung hat den Feitelmachern ab Anfang des 20. Jahrhunderts zugesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es schon nur noch fünf Betriebe, heute ist Löschenkohl ein Alleinkämpfer. Rund 50.000 Taschenfeitel produziert er immer noch pro Jahr.

Umso wichtiger ist es, dass die Geschichte lebendig bleibt, sagt Alfred Luidold, seit Mai Obmann des Kulturvereins Museumsdorf Trattenbach. Er ist einer der 13 Einheimischen, die sich engagiert und mit viel Leidenschaft um die Erhaltung der historischen Gebäude sowie der alten Handwerkstechnik bemühen.

Dafür ist es notwendig, den Besuchern – 4000 sind es pro Saison, die von Anfang Mai bis Ende Oktober dauert – die Arbeit zu veranschaulichen, aber auch klarzumachen, welchen Stellenwert das zur Gemeinde Ternberg gehörende Trattenbach einst hatte. „Noch vor 110 Jahren hatte Trattenbach 1000 Einwohner, heute sind es noch gut 350“, sagt Luidold. Sein Vereinskollege Günther Steindlegger, der regelmäßig durch das Museumsdorf führt, veranschaulicht die wirtschaftliche Kraft der Trattenbacher anhand von Zahlen. Im Jahr 1751 betrug die wöchentliche Produktion einer Werkstatt 700 bis 5000 Taschenmesser. 14 Werkstätten waren damals aktiv. So wurden pro Jahr etwa drei Millionen Feitel hergestellt.

Und diese kleinen Taschenmesser gingen buchstäblich in die ganze Welt. Bis nach China und Indien wurden die Feitel geliefert, weiß Luidold. „Trattenbach war das wirtschaftliche Zentrum von Ternberg und besaß eine hohe Eigenständigkeit.“

Die Messerproduktion ging in Wahrheit alle im Tal an. Mitte des 18. Jahrhunderts beschäftigten die Messerermeister insgesamt 30 Gesellen, 27 Junge (so wurden damals die Lehrlinge genannt), zwei Schleifmeister, drei Schlager und 72 weibliche Hilfskräfte. Die zahlreichen mitarbeitenden Familienmitglieder sind da nicht mitgerechnet. Dass daneben noch Gewerbetreibende wie die Drechsler und die Kohlbauern von den Messerern lebten, ist für die „Museumswächter“ ein deutliches Zeichen für die Bedeutung der Feitelproduktion in der gesamten Region.

Leicht war die Arbeit freilich nicht. Wenn Günther Steindlegger ein riesiges Wasserrad in Betrieb setzt, das den Schmiedehammer antreibt, dann wird es laut. Sehr laut. Geschickt hält er mit einer Zange den heute aus Bandstahl geschnittenen Klingen-Rohling fest, während der Hammer mit ohrenbetäubendem Lärm immer und immer wieder niedergeht. So wird die Klinge gebreitet.

Gleich nebenan steht der Schleifstein. Wuchtig. Eine Jacke hängt an der Wand, der Schmutz klebt im Stoff. Die Schutzbrille wirkt wie aus einem schlechten Film, sollte die Augen des Schleifers aber schützen, weil der rotierende Stein keine Rücksicht auf Sauberkeit nehmen konnte. Die Arbeit war hart, die Lebenserwartung gering. Ein Schleifer wurde kaum älter als 40 Jahre, sagt Steindlegger.

In der Drechslerei am Erlach, dort wo sich das enge Tal weitet, das Zentrum von Trattenbach den Blick auf den Hausberg, den Schoberstein (1285 Meter), frei gibt, ist Luidold ganz in seinem Element. Drechseln ist das Hobby des pensionierten Technikers. Während er vorführt, wie die Griffe für den Feitel aus dem Holz gestanzt werden, grinst der 69-Jährige. Nicht, weil er sich so leicht damit tut, mit 50 Schlägen in der Minute 50 Rohlinge für den Feitelgriff zu stanzen – „die Drechsler früher schafften 80 Schläge pro Minute“ –, sondern weil ihm einfällt, dass die größten Feinde bei dieser Arbeit der Alkohol und schöne Frauen sind. Warum? „Man darf nicht zittern und nicht wegschauen.“ Unkonzentriert zu sein, konnte den Drechslern schwerste Verletzungen bescheren.

Es sind diese kleinen Anekdoten, die den Gang durch das Museumsdorf noch reizvoller machen, als er ohnedies schon ist. Man erfährt, dass es gar nicht so einfach ist, eine gute Schneid zu machen, wenngleich dies das Wichtigste ist. Man kann sich nach einem Aufstieg über eine steile Stiege ein Bild davon machen, auf welch engem Raum zwei Familien oberhalb der Schleifer-Werkstatt gelebt und gearbeitet haben. Man staunt über die eigene Kirche in dem Dorf und darüber, dass es hier bereits in den 1930er Jahren ein Schwimmbad gegeben hat. An dieses kann sich Steindlegger noch genau erinnern. Und irgendwann während der gemütlichen Wanderung kann man auch verstehen, dass die Trattenbacher bis heute eine gewisse Eigenständigkeit in sich tragen. Sie leben auf geschichtlichem Boden, der zwar längst verfallen wäre, hätte es 1998 nicht die Landesausstellung gegeben, durch die das Tal der Feitelmacher saniert wurde. Aber sie leben hier noch mit einer Tradition, die etwas Besonderes ist.

Die Erhaltung der alten Gebäude, die dem Verein gehören, ist wichtig. Doch so wie das Dorf, so „überaltert“ auch der Verein, wie es Luidold und Steindlegger ausdrücken. „Es ist schwierig, junges Personal zu bekommen“, sagt Obmann Luidold. Das ist kein Vorwurf. „Man muss eine Liebe dazu haben, sich dafür interessieren, und eine Einkommensquelle ist es nicht.“

Man braucht sicher eine Begeisterung für die Sache. Wer einmal durch das Tal der Feitelmacher gewandert ist, kann die Begeisterung verstehen. Hier lebt Geschichte.

34 Arbeitsgänge waren im 16. Jahrhundert für einen Trattenbacher Feitel mindestens notwendig. Heute sind es 18. Die Klinge wird übrigens aus feinem Scharsachstahl herausgestanzt. Das war Stahl bester Güte.

4000 Besucher zählt das Museumsdorf Trattenbach in der Gemeinde Ternberg jedes Jahr. Die Saison beginnt am 1. Mai und dauert bis Ende Oktober. Geöffnet ist das lebendige Museum mit seinen acht Stationen zum Bewandern jeweils Mi, Do, Sa, So von 9 bis 16 Uhr sowie freitags von 9 bis 13 Uhr oder gegen Voranmeldung im Info-Center unter Tel. 07256/73 76. Vorführungen in den Schaubetrieben nur bei angemeldeten Gruppen. Der Führungspreis beträgt drei Euro pro Person. Die Eintrittspreise bewegen sich zwischen 2,50 und 6 Euro.

Informationen über das Museumsdorf: www.museumsdorf-trattenbach.at

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