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Süßer die Glocken nie klingen

24. Dezember 2016, 00:04 Uhr
Süßer die Glocken nie klingen
Bild: APA

Ein Weihnachtsaufsatz des oberösterreichischen Schriftstellers Alois Brandstetter.

Joseph von Eichendorff, Theodor Storm und Theodor Fontane sind die wohl berühmtesten Verfasser von deutschen Weihnachtsgedichten. Sucht man die Klassiker von Prosa-Weihnachtsgeschichten, so denkt wohl jeder an Charles Dickens ("A Christmas Carol") und Peter Rosegger ("Als ich Christtagsfreude holen ging"). Jeder, der sich heute an diesem Thema versucht, ist in Gefahr und Versuchung, ihr Epigone zu werden. Als Verfasser und Herausgeber von Winter- und Weihnachtsgeschichten weiß auch ich ein Weihnachtslied davon zu singen.

Karl Heinrich Waggerl hat mir einmal – im Jahr 1972 – eine Karte für den "Salzburger Advent" im Festspielhaus geschenkt. Ich saß neben Gretl Lanz. Im Anschluss an die Veranstaltung sagte Waggerl zu mir: "Nächstes Jahr, Brandstetter, lesen Sie." Gleich morgen wolle er mit Tobi Reiser reden. Daraus ist natürlich nichts geworden. Ich hätte es "gefühlsmäßig" sicher auch nicht "gebracht". Dazu fehlte mir mehr als Waggerls enormer, volltönender Bass. Meine Weihnachtsgeschichten in "Vom Schnee der vergangenen Jahre" hätten vielleicht die nötige "Genauigkeit", aber nicht die erforderliche "Seele" und Wärme gehabt, um es mit zwei Termini Robert Musils zu sagen. "Theologisch" gesehen hätte ich es mit einigen Kollegen schon aufnehmen können.

Es ist ja merkwürdig, dass einige der klassischen "Weihnachtsdichter" nicht eben fromm oder gläubig oder Christen waren, einige haben sich selbst als Agnostiker, ja als Atheisten bezeichnet. Auch Waggerl. Neuerdings spricht man ja auch gern von "evangelischen" oder "katholischen Atheisten". Früher hörte man auch häufig "Taufscheinchristen". Die Dichter haben ja oft auch nur den Winter, die Natur und den Schnee zur Weihnachtszeit besungen. Haben die schönsten Weihnachtsgeschichten "Ungläubige" und Zweifler geschrieben, so wie es heißt, dass die besten Frauenromane nicht Frauen, sondern Männer verfasst haben, Fontane und Flaubert? Gläubige und fromme Menschen meinen es oft zu gut, aber das gut Gemeinte ist bekanntlich nicht immer gut im ästhetisch-literarischen Sinn.

Der wahre Glücksfall unter den Weihnachtspoeten ist für mich Joseph Freiherr von Eichendorff ("Markt und Straßen stehn verlassen..."). An seiner Kunst ist nichts "auszusetzen", aber auch seine Religiosität, über die sich Adalbert Stifter und Eichendorffs Schwester Louise in Briefen Gedanken gemacht und "ausgetauscht" haben, ist tief überzeugend. Kein Heterodoxieverdacht angebracht. Er hat nicht nur ans Christkind, sondern auch an Christus, den Heiland und Messias, geglaubt.

Sollte man nicht grundsätzlich vermeiden, jemanden als religiös zu bezeichnen, und vor allem jemandem Religiosität abzusprechen? "Deren Glauben niemand so kennt wie Du", heißt es in einem liturgischen Fürbittgebet. Die Schwelle zum Stall von Bethlehem ist hoch, die Tür niedrig. Wer hier hinein will, muss sich wie ein Hirte im "Tor der Demut" in der Geburtskirche in Bethlehem tief bücken und beugen. Hochmut muss draußen bleiben!

Grundsätzlich gilt wohl, dass Ironie und Sarkasmus nicht gut zum Weihnachtsthema passen, obwohl die kritische Literatur gegen den "Weihnachtsrummel", also eigentlich die Vermarktung und den "Missbrauch" des Festes, natürlich unübersehbar geworden ist. Über den Lärm der "stillsten Zeit im Jahr" zu jammern, ist ein Klischee geworden. Viel Lärm ums Lärmen. Es ist freilich schwer, über die vielen Weihnachtsmärkte und die Glühweinstände "satyram non scribere", also keine Satire zu schreiben. Es ist ein richtiggehender Weihnachtsmarkt-Tourismus entstanden, autobusweise kommen die Italiener zum Weihnachtsmarkt nach Klagenfurt, wo sich Hiesige nach Nürnberg aufmachen. Es ist manches "nicht mehr feierlich".

Die Nachbarn Mohr und Waggerl

Auch Waggerls humorige Beiträge zum "Salzburger Advent" haben nicht allen gefallen, mir zum Beispiel. Nun sind Joseph Mohr, der Dichter des wohl berühmtesten Weihnachtsliedes "Stille Nacht", der 1848 gestorben ist und die letzten zehn Jahre seines Lebens in Wagrain als Seelsorger gewirkt hat, und Karl Heinrich Waggerl, 1973 verstorben, auf dem Wagrainer Friedhof sozusagen Nachbarn.

Joseph Mohrs und Franz Xaver Grubers Weihnachtslied gilt immer noch als das populärste Weihnachtslied weltweit. Dafür sorgt auch eine "Stille-Nacht-Gesellschaft" in Salzburg mit Publikationen, einer eigenen Zeitschrift und Veranstaltungen an einschlägigen Schauplätzen, vor allem in der sogenannten Stille-Nacht-Kapelle Sankt Nikola in Oberndorf an der Salzach, wo das Lied zum ersten Mal am 24. Dezember 1818 in der Mette erklungen ist, auf der Gitarre begleitet. In meiner Heimatpfarre Pichl bei Wels hat der Organist ganz leise die Melodie während der Wandlung gespielt, wo sonst andächtige Stille geherrscht hat.

Man muss zu Weihnachten kein Ranking und keinen Christmas- Song-Contest veranstalten, aber die Konkurrenz an Weihnachtsliedern ist groß geworden. Und sie werden in den Konsumtempeln zu früh und zu oft gespielt. Immer öfter hört man, "I am dreaming of a white Christmas" oder auch "Feliz navidad" seien die meistgesungenen oder -gespielten Weihnachtslieder, international.

Eine nicht unbedeutende Rolle spielt in unseren Breiten, wenn man beim Charts-Gedanken bleiben möchte, auch das Weihnachtslied "Es wird scho glei dumpa", dessen Text von einem Krenglbacher, dem Pfarrer und Domherrn Anton Reidinger, stammt. Die Melodie klingt an ein Tiroler Marienlied an. Mein Vetter, der Heimatforscher Alfred Herrmüller, hat aber auch für die Melodie mindestens eine zweite Zusatzstimme die Autorenschaft Reidingers nachgewiesen.

"Ich führt dich oft spazieren/ In Wintereinsamkeit,/ Kein Laut ließ sich da spüren,/ Du schöne, stille Zeit!" Das ist eine lyrische, weihnachtlich klingende Strophe eines weniger bekannten Gedichtes Eichendorffs. Sie legt aber den Finger auf eine Wunde, die Menschen gerade zu Weihnachten besonders schmerzt, der Tod eines lieben Angehörigen im abgelaufenen Jahr. Das angesprochene Du ist Eichendorffs Tochter Anna, die ihm im Kindesalter gestorben ist. Ich habe in meiner Wiener Studienzeit als Seminararbeit einen Vergleich zwischen den Kindertotenliedern bei Eichendorff und Rückert geschrieben, vielleicht auch, weil ich durch einen Todesfall in der eigenen Familie, den Tod meiner Schwester Maria, familiär "eingestimmt" und "vorbereitet" gewesen war. Oft war von ihr die Rede, oft haben wir für sie gebetet, gerade auch am Heiligen Abend.

Gustav Mahler hat sechs von Rückerts über vierhundert Kindertotenliedern vertont, nach eigenem Erleben – sechs seiner elf Geschwister sind im Kindesalter gestorben, schließlich seine eigene Tochter Marie-Anna im Ferienhaus am Wörthersee, worauf er nie mehr hierher zurückgekehrt ist. An all dies habe ich denken müssen, als ich mich auf Einladung der Caritas für ein Seelsorge- und Sozialprogramm mit der Bezeichnung "Verwaiste Eltern" als einer der Proponenten zu fungieren bereiterklärte.

Eichendorffs "Kirchenlied"

Eichendorff hat sich von seinem Gottvertrauen durch nichts irritieren und abbringen lassen. So kann ich ihm danken, wenn er mir für meinen Weihnachtsaufsatz mit seinem Gedicht "Kirchenlied" doch einen versöhnlichen, einen wunderbaren Ausklang schenkt:

"O Maria, meine Liebe! / Denk ich recht im Herzen dein: / Schwindet alles Schwer und Trübe,/ Und wie heller Morgenschein, / Dringts durch Lust und irdschen Schmerz / Leuchtend mir durchs ganze Herz." Die letzte Strophe aber lautet: "Deinen Jesus in den Armen, / Überm Strom der Zeit gestellt,/ Als das himmlische Erbarmen/ Hütest du getreu die Welt, / Dass im Sturm, der trübe weht / Dir kein Kind verlorengeht."

 

Alois Brandstetter
Alois Brandstetter Bild: VOLKER WEIHBOLD

Alois Brandstetter: Der Autor, emeritierter Germanistik-Professor der Universität Klagenfurt, wurde 1938 in Pichl bei Wels geboren. Seinen Durchbruch als Schriftsteller schaffte der Mostdipf-Preisträger 1974 mit dem satirischen Roman "Zu Lasten der Briefträger". Weitere Werke (Auswahl): Der Leumund des Löwen (1976), Kleine Menschenkunde (1987), Hier kocht der Wirt (1995), Zärtlichkeit des Eisenkeils (2000), Zur Entlastung der Briefträger (2011)

 

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