Corona: Tausende Maßnahmen-Gegner in der Wiener Innenstadt
WIEN. Bei der Großdemonstration gegen die Corona-Maßnahmen ist es am Samstag zu Zusammenstößen, Festnahmen und Anzeigen gekommen.
Die Polizei sprach von 40.000 Teilnehmern, die FPÖ von 100.000. Der Lockdown für alle ab Montag und die angekündigte Impfpflicht dürften dazu geführt haben, dass mehr mitmarschierten als ursprünglich erwartet. Die Stimmung war aufgeheizt, es gab Zusammenstöße, Festnahmen und Anzeigen nach dem Verbotsgesetz. "Mehrere Personen wurden festgenommen und angezeigt", hieß es in der Polizeibilanz.
Anzeigen nach dem NS-Verbotsgesetz
Es sei immer wieder zu Störaktionen gekommen, im Bereich des Burgtors habe die Polizei gegen aggressive Aktivisten Pfefferspray einsetzen müssen, berichtete die Landespolizeidirektion Wien am Samstagabend. Mehr als 1.300 Polizisten aus Wien sowie Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark seien im Einsatz gewesen. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte für Sonntagvormittag ein Statement zu den Demos an.
Nehammer verurteilte Holocaust-Verharmlosungen
Nehammer dankte am späten Nachmittag den Polizistinnen und Polizisten. "Sie haben in einem schwierigen Einsatz professionell für Sicherheit gesorgt", so der Innenminister in einer Aussendung. Er bezeichnete es als "völlig inakzeptabel", dass bei der Demonstration Polizisten angegriffen und strafbare Handlungen nach dem Verbotsgesetz gesetzt worden seien. Der ÖVP-Politiker empörte sich auch über die Verwendung von gelben Sternen mit der Aufschrift "Ungeimpft" durch Demonstranten. "Das ist nicht nur völlig geschmacklos, sondern verharmlost die Verbrechen der Nationalsozialisten und beleidigt die Millionen Opfer der NS-Diktatur und deren Angehörige."
Mehrere Märsche fanden zuvor Richtung Heldenplatz statt, von dort zog ein Demozug dann einmal rund um den Ring - angeführt von Hooligans. Im Anschluss sammelten sich die Demonstranten wieder auf dem Heldenplatz und vor dem Burgtor, später sollte am Ballhausplatz eine Abschlusskundgebung stattfinden. Der Großteil der Demonstranten war zuvor friedlich rund um den ersten Bezirk gezogen, vor dem Marsch hatte es am Ring erste Ausschreitungen gegeben.
Demonstrant versuchte Polizisten Waffe zu entreißen
Wie die APA aus Polizeikreisen erfuhr, soll in zumindest einem Fall versucht worden sein, einem Beamten die Schusswaffe aus dem Sicherheitsholster zu entreißen. Bis zum Nachmittag wurden mindestens zehn Menschen festgenommen. Außerdem gab es mindestens zehn Anzeigen nach dem Verbotsgesetz. Tatsächlich trugen mehrere Aktivisten an den "Judenstern" angelehnte gelbe Sterne mit der Aufschrift "ungeimpft", auch wurden Plakate mit dem Wortlaut "So begann es 1938" oder "Schallenberg = Mengele" hochgehalten. Die Nationalsozialisten haben im Holocaust (1941-45) sechs Millionen Juden ermordet. Diese waren ab September 1941 dazu verpflichtet, sich durch das Tragen von gelben Sternen kenntlich zu machen. Österreich war ab 1938 Teil von NS-Deutschland. Josef Mengele nahm als Arzt im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau medizinische Experimente unter Insassen vor, darunter Injektionen von Benzin ins Herz.
Die Demonstration verlief großteils friedlich, die Polizei berichtete aber auch von teils aufgeheizter Stimmung. Mindest drei Personen leisteten Widerstand gegen die Staatsgewalt, am Ring wurden Rauchbomben gezündet sowie Beamte und der freie Journalist Michael Bonvalot mit Flaschen und Dosen beworfen. Bonvalot berichtete auf Twitter von Angriffen mit Pfefferspray und Wurfgeschoßen durch extreme Recht, er war schon im Vorfeld in sozialen Medien mit körperlicher Gewalt bedroht worden. Auch sollen Steckbriefe von unliebsamen Journalisten auf der Demonstration verteilt worden sein.
Prominente Neonazis und Rechtsextreme
Die Kundgebung fand zwei Tage vor dem Lockdown statt, der Großteil der Teilnehmer hielt sich nicht an die geltende Maskenpflicht. Bei Demonstrationen mit mehr als 50 Teilnehmern müssen alle eine FFP2-Maske tragen, sofern nicht alle Personen einen 2G-Nachweis haben. Mittels Lautsprecherdurchsage wies die Exekutive mehrfach auf die Maskenpflicht hin.
Unter die Teilnehmer mischten sich auch der verurteilte Neonazi Gottfried Küssel, Identitären-Chef Martin Sellner, Ex-Politiker wie der frühere FPÖ-Chef Heinz Christian Strache und Anti-Corona-Aktivist Martin Rutter sowie rechte Hooligans. Sehr viele Maßnahmen-Gegner und Covid-Leugner waren aus den Bundesländern und den Nachbarländern angereist, Menschen aus allen Gesellschaftsschichten nahmen teil. Von den Demonstranten wurde teilweise auch viel Alkohol konsumiert. Immer wieder verliefen die Proteste ungeordnet.
Kickl: Abwehr von "totalitärer Gefahr"
Bei einer Kundgebung auf dem Platz der Menschenrechte vor dem Museumsquartier wurde am Nachmittag eine Videobotschaft von FPÖ-Chef Herbert Kickl gezeigt. Er war am Montag positiv auf das Coronavirus getestet und befindet sich in Quarantäne. Beim Protest gehe es "um die Abwehr einer totalitären Gefahr und Bedrohung", sagte Kickl.
Für Aufregung sorgten auch Teilnehmer, die unter Applaus mit einem Banner, der sie als Polizisten auswies, durch das Burgtor auf den Heldenplatz einzogen. Dabei dürfte es sich nach Informationen der APA um deutsche Staatsbürger handeln. Die heimische Polizei kündigte an, zu prüfen, ob es sich um österreichische Beamte handelt und ob die Verwendung des Plakates erlaubt ist. Grundsätzlich dürfen Beamte in ihrer Freizeit natürlich auch an politischen Kundgebungen teilnehmen, betonte die Polizei.
Bei Demonstrationen mit mehr als 50 Teilnehmern müssen alle eine FFP2-Maske tragen, sofern nicht alle Teilnehmer einen 2G-Nachweis haben, was bei den Demonstranten unwahrscheinlich ist. Mittels Lautsprecherdurchsage wies die Exekutive mehrfach auf die Maskenpflicht hin. Demonstranten mit Masken waren allerdings die Ausnahme, Österreich-Fahnen hingegen waren zahlreiche zu sehen.
Im Vorfeld hatten zahlreiche Querdenker und Covid-Leugner insbesondere auf Telegram mobilisiert. Außerdem gab es Gerüchte über mögliche Angriffe auf Spitäler, Medienhäuser, Ministerien und das Parlament. Diese Einrichtungen der kritischen Infrastruktur werden besonders geschützt, betonte die Polizei. Auch bei den Impfstraßen der Bundeshauptstadt wurden die Sicherheitsmitarbeiter aufgestockt und die Polizeipräsenz erhöht.
Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln kam es am Samstag zu Unterbrechungen und Verzögerungen. "Alles Gurgelt" wies in den inneren Bezirken bei Abgabestellen via Aushang darauf hin, dass es aufgrund der Demonstrationen zu Verzögerungen bei der Abholung von PCR-Tests bzw. der Auswertung kommen kann.
In den Bundesländern sind am Samstag keine größeren Kundgebungen zu erwarten. Rund 800 Personen haben bereits am Freitag in Innsbruck gegen den anstehenden Corona-Lockdown und die angekündigte Impfpflicht demonstriert. Die Teilnehmer an der nicht angemeldeten Kundgebung zogen nach Angaben der Polizei gegenüber der APA durch die Innenstadt. Zwischenfälle gab es keine.
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