Demenzkranke Wienerin (93) kam ins Gefängnis
WIEN. Die 93-Jährige hatte ihre 24-Stunden-Pflegerin mit einem Messer angegriffen. Die demenzkranke Frau wurde danach zwei Wochen in einem Wiener Gefängnis eingesperrt.
Kopfschütteln löst die Verhaftung einer hochbetagten Wienerin aus. Vor knapp vier Wochen kam es zu einem Zwischenfall in der Wohnung der 93-Jährigen. Die demenzkranke Frau hatte ihre rumänische Pflegerin für eine Einbrecherin gehalten, weshalb sie mit einem Küchenmesser auf die vermeintliche Unbekannte losging. Die 24-Stunden-Hilfe schrie um Hilfe und schützte sich mit einem Schneidbrett. Die 93-Jährige ließ das Messer fallen, ihre Pflegerin blieb unverletzt.
Zwei Wochen in einer Zelle
Der Anwalt der 93-Jährigen bestätigte der APA am Sonntagabend einen ORF-Bericht. Demnach wurde die hochbetagte Frau in eine Haftanstalt gebracht. Offenbar wussten die Behörden nicht, was man mit ihr machen sollte. Rechtsanwalt Michael Dohr sagte, die Frau sei zusammen mit zwei weiblichen Häftlingen untergebracht worden. Zwei Wochen verbrachte die Wienerin hinter Gittern, ehe sie in ein Pflegeheim gebracht wurde.
Der Haft- und Rechtsschutzrichter habe in dieser Sache "völlig falsch" entschieden, sagte Michael Dohr zur APA. "Er hätte niemals die vorläufige Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum anordnen dürfen, weil die Frau bereits in ein psychiatrisches Krankenhaus überstellt worden ist und dort bestens versorgt wurde." Auf Grund der richterlichen Anordnung sei dann allerdings die Justizwache gekommen und habe die Frau zur Sonderanstalt Wilhelmshöhe - eine Außenstelle der Justizanstalt Wien-Josefstadt, die auf die Bedürfnisse betagter Häftlinge ausgerichtet ist - gebracht, "weil ein forensisch-therapeutisches Zentrum zwar im Gesetz steht, es aber in der Realität keines gibt", wie Dohr anmerkte.
"Sie war völlig desorientiert"
Auf der Wilhelmshöhe habe man die 93-Jährige, die seit sechs Jahren an schwerer Demenz leidet, zu zwei anderen Frauen in eine Zelle gesperrt. "Die haben nicht einmal Deutsch gesprochen. Die alte Frau war völlig desorientiert, hat sich nicht zurecht gefunden und sich vor den uniformierten Beamten gefürchtet", schilderte Dohr.
Was war am Abend des 27. März genau passiert? Die verwirrte 93-Jährige glaubte, in ihrer Küche sei eine Einbrecherin am Werk. Sie griff zu einem Käsemesser und ging damit auf ihre 24-Stunden-Pflegerin los, die sie nicht erkannte. Die aus Rumänien stammende Fachkraft hatte erst wenige Tage vorher eine Kollegin abgelöst und die Pflege übernommen. Die Pflegerin konnte den gegen sie gerichteten Messer-Angriff mit einem Schneidbrett abwehren. Sie erlitt keine Verletzungen. Danach unterrichtete sie die Tochter der 93-Jährigen telefonisch vom Vorgefallenen. In weiterer Folge wurde die Polizei eingeschaltet, es erging eine Festnahmeanordnung gegen die Angreiferin wegen Verdachts auf versuchte absichtliche schwere Körperverletzung.
Sowohl der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft dürften aber rasch Zweifel an der Schuldfähigkeit der 93-Jährigen gekommen sein. Diese wurde daher zunächst auf die psychiatrische Abteilung der Klinik Landstraße gebracht, wo sie "eine optimale Behandlung hatte", wie die Justizanstalt Wilhelmshöhe anmerkte, wohin die Demenzkranke dann aufgrund des Gerichtsbeschlusses verlegt wurde.
Gutachter: Weder schuldfähig noch gefährlich
Der Rechtsvertreter der 93-Jährigen schaltete schließlich einen psychiatrischen Sachverständigen ein, um die vermutete Zurechnungsunfähigkeit der Frau bestätigt und die 93-Jährige aus dem Gefängnis zu bekommen. Der Gutachter kam am 13. April erwartungsgemäß zu Schluss, dass die Frau weder schuldfähig noch gefährlich ist. "Bei der Betroffenen lag zum Zeitpunkt der Tat eine psychische Ausnahmesituation im Rahmen einer demenzbedingten Desorientierung mit psychosewertiger Verkennung und unkontrolliertem Impulsdurchbruch im Rahmen einer der vom Gesetz erforderlichen gleichwertigen Störung vor, die für die ihr vorgeworfene Tat ursächlich war bzw. die dafür verantwortlich war, dass die Tat als psychosegeleitet zu beurteilen ist", ist dem Gutachten zu entnehmen, das der APA vorliegt. Der Sachverständige gab in seiner Expertise, auf Grund derer die 93-Jährige die Sonderstrafanstalt Wilhelmshöhe wieder verlassen durfte, auch die Einschätzung der Anstalt wieder, was die Inhaftierung der hochbetagten Insassin betrifft. Demnach wurde die Verlegung der Demenzkranken in ein Gefängnis selbst von der Justizanstalt als "völlig inhuman" bezeichnet.
Tochter sucht Heimplatz
Mittlerweile sucht die Tochter der 93-Jährigen für diese nach einem passenden Heimplatz. Das Strafverfahren gegen die Demenzkranke wurde laut Anwalt Dohr von der Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellt. Vom Landesgericht für Strafsachen war am Sonntagabend keine Stellungnahme zu bekommen.