Leibwächter wegen versuchten Mordes angeklagt
KORNEUBURG/GERASDORF. Er wollte nach Anschlag auf Tschetschenen den fliehenden Täter erschießen.
Nach der Bluttat in Gerasdorf vom 4. Juli 2020 liegt eine erste Anklage vor. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg hat den Leibwächter des erschossenen tschetschenischen Videobloggers Mamichan U. alias Martin B. wegen versuchten Mordes angeklagt. Dem 37-jährigen Ahmed A. wird vorgeworfen, er habe den vom Tatort flüchtenden Täter erschießen wollen, nachdem dieser Martin B. getötet hatte.
Als er den Abzug seiner Pistole des Typs Tokarev M57 betätigte, fiel allerdings kein Schuss. Wie sich später bei einer ballistischen Untersuchung der Pistole zeigte, war die erste Patrone durchfeuchtet und defekt. Ahmed A. zog daraufhin den Schlitten der Waffe nach hinten, um diese erneut durchzuladen, doch dabei verkeilte sich die erste Patrone im Lauf und machte die Waffe unbrauchbar. Der mutmaßliche Mörder von Martin B., Sar-Ali A. (47), konnte zunächst vom Tatort fliehen, wurde jedoch wenige Stunden später in Linz festgenommen. Für Ahmed A. klickten dagegen noch am Tatort die Handschellen.
Polizeischutz abgelehnt
Aus der Anklageschrift gegen den Familienvater, der seit 2003 in Österreich lebt, geht hervor, dass Martin B. "seit vielen Jahren als Informant für das Landesamt für Verfassungsschutz in Wien (LVT) tätig war". B. war seit 2007 als anerkannter Flüchtling in Österreich und tat sich als Kritiker des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow hervor. Obwohl er befürchten musste, dass er damit sein Leben in Gefahr brachte, lehnte der 43-Jährige Polizeischutz ab, ließ sich allerdings von seinem Freund Ahmed A. täglich begleiten. Der Anklage gegen Ahmed A. zufolge hatte dieser eine Kontaktperson beim Wiener LVT von dem Treffen in Gerasdorf informiert, das am Abend des 4. Juli auf einem abgelegenen Firmengelände stattfand. Martin B. hatte sich mit Sar-Ali A. verabredet, um von diesem eine Glock-Pistole zu erwerben. Ahmed A. versuchte ihm das Treffen auszureden, da Sar-Ali A. als Kadyrow-Anhänger galt, hatte damit aber keinen Erfolg. Während des Treffens versteckte sich der 37-Jährige dann in einiger Entfernung hinter einem Fahrzeug.
Aufgrund dieser Distanz war Ahmed A. außerstande einzugreifen, als Sar-Ali A. eine Waffe zog und auf B. feuerte. Als der 37-Jährige das Auto von Martin B. erreichte, lag dieser bereits tot auf der Beifahrerseite, und der mutmaßliche Schütze saß in seinem Pkw und startete gerade den Motor. Aufgrund seiner defekten Pistole konnte Ahmed A. den Flüchtenden nicht stoppen.
Der 37-Jährige hat sich bisher damit verantwortet, er habe nur auf die Reifen schießen wollen und dem Mann, der seinen Freund erschossen hatte, nicht nach dem Leben getrachtet. In der Anklage wird diese Darstellung als "absolut unglaubwürdig" bezeichnet.
Wann der mutmaßliche Todesschütze Sar-Ali A. angeklagt wird, ist noch nicht absehbar. Die Ermittlungen wegen Mordes gegen den 47-Jährigen sind noch nicht abgeschlossen.
Es gibt Verwerflicheres als einen fliehenden Mörder erschießen zu wollen.