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Wie operative Fallanalysten die komplexesten Kriminalfälle lösen

Von nachrichten.at/apa, 28. August 2023, 08:39 Uhr
tatort Spurensicherung
(Symbolfoto) Bild: (Weihbold)

WIEN. Der Profiler, der anhand von Spuren in komplexen Kriminalfällen ein möglichst genaues Psychogramm eines Serientäters zeichnet und so quasi den Fall im Alleingang löst, ist zwar nicht Schnee von gestern. Er ist aber nur ein Teil in einem umfassenden Verfahren: der Operativen Fallanalyse (OFA).

Das erläuterten Egon Spiegl und Wolfgang List vom Büro Kriminalpsychologie im Bundeskriminalamt (BK) in Wien.

Spiegl und List sind Operative Fallanalysten, zwei von sechs in Österreich. Die OFA ist ein standardisiertes Verfahren, mit dem die Spezialisten Ermittler bei der Lösung komplexer Kriminalcausen in bestimmten Deliktsbereichen unterstützen. Dafür gibt es sogar eine eigene Ausbildung, nämlich beim deutschen Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden. "Standardisiert, einheitlich und wissenschaftsbasiert" sind die Ansprüche der OFA, so Spiegl. "Früher gab es eine Beratung, oft durch Einzelpersonen, auf den Dienststellen, das war mündlich und wurde nicht verschriftlicht. Und damit war es auch nicht nachvollziehbar", erläuterte der Beamte den Unterschied zu früher. "Jetzt ist es dokumentiert."

Sechs operative Fallanalysten für ganz Österreich

Neben List und Spiegl gibt es in Österreich mittlerweile vier weitere ausgebildete Operative Fallanalystinnen und -analysten, je einer davon in Vorarlberg und Salzburg, die beim BKA ausgebildet wurden. In Deutschland selbst werden Beamte zur Ausbildung nur zugelassen, wenn sie eine Aufnahmsprüfung bestehen. Für den Job benötigen Interessentinnen und Interessenten nämlich bestimmte Voraussetzungen, damit die Ausbildung auch Sinn macht. "Zunächst einmal sollten sie aus dem Ermittlungsbereich kommen, am besten aus Sparten, in denen die OFA auch angewendet wird", sagte List. Das sind Tötungsdelikte und Sexualstraftaten in erster Linie. "Die OFA hat sich auch bei Serienbrandstiftern bewährt", betonte List. Und auch Tierquälereien sind für Operative Fallanalysierende relevant.

Eine psychologische Ausbildung ist hingegen nicht Voraussetzung. Was die Fallanalystinnen und -analysten wissen müssen, lernen sie in Wiesbaden. Spiegl selbst hat Psychologie studiert, was als nützliche Zusatzausbildung angesehen wird. Der BK-Mitarbeiter räumte in dem Zusammenhang auch gleich mit einem Irrglauben auf: "Die OFA ist kein Profiling. Profiling ist ein Teil der Fallanalyse, aber nur ein Teil." In der Jobbeschreibung des BKA ist unter anderem dazu zu lesen, dass "eine Profilerstellung ohne die zuvor durchgeführte Fallanalyse mit ihrem zentralen analytischen Prozess der Tatrekonstruktion unseriös wäre und sich die Analyse immer auf den gesamten Fall und eben nicht nur auf die vermuteten Persönlichkeitsmerkmale des unbekannten Täters bezieht".

Wie spielt sich der Prozess einer Fallanalyse ab?

Doch wie spielt sich der Prozess einer Fallanalyse ab? Es beginnt damit, dass die Spezialisten angefordert werden, optimalerweise von den Sachbeabeitenden eines Falles selbst. Dann stellen die Fallanalysten ein Team aus drei bis fünf Mitgliedern zusammen. "Nicht mehr, sonst wäre es dem Fortkommen des Prozesses kontraproduktiv", erläuterten List und Spiegl. Wichtig ist auch, dass das Team möglichst heterogen ist: Alter, Erfahrung, Geschlecht, Zugänge sind hier Kriterien. Und es werden immer wieder externe Experten zugezogen.

Die Fallanalyse selbst erfolgt in sechs Schritten: "Am Anfang geht es um das Sammeln von Informationen. Das heißt, den Ermittlungsakt lesen", schilderte Spiegl. Dabei geht es auch darum, objektiv belegbare Informationen zu suchen, also beispielsweise Spuren am Tatort wie Fingerabdrücke oder DNA oder medizinische Gutachten. Zeugenaussagen werden nur dann als belegbar angesehen, wenn sie von einer zweiten Person bestätigt sind. Dann wird geordnet, die Informationen objektiviert und Irrelevantes herausgefiltert und vom Rest getrennt.

Fall Lucile als Beispiel

Ziemlich am Anfang des Prozesses findet auch bereits der Besuch eines etwaigen Tat- oder Fundortes statt. Dabei kann es gar nicht so selten, etwa bei Tötungsdelikten, um die Frage gehen, ob der Fund- gleichzeitig der Tatort ist. List schilderte einen Fall, in dem für genau dieses Problem eine Pollenexpertin der Universität für Bodenkultur herangezogen wurde. Sie musste untersuchen, ob die Pollen am Opfer eines Gewaltverbrechens mit dem Pollenbild am Fundort übereinstimmten.

Generell wird an Tat- oder Fundorten untersucht, ob ein Verbrechen so stattgefunden haben kann, wie es im Ermittlungsakt steht. Kann ein Täter allein das Verbrechen begangen haben? Welche Konstitution muss er oder sie dabei gehabt haben - zum Beispiel, ob eine 50 Kilo schwere Frau eine Leiche allein bewegt haben kann oder ob sie dafür wohl Hilfe gehabt haben muss? Und kann ein Verbrechen zu einer bestimmten Tageszeit an einem bestimmten Ort überhaupt verübt worden sein? Das sind einige der Fragen, die sich die OFA-Experten immer wieder stellen müssen.

Spiegl brachte dafür ein Beispiel zum mittlerweile sehr bekannten Fall Lucile in Kufstein: Die französische Studentin Lucile war im Jänner 2014 in der Tiroler Stadt am Innufer erschlagen aufgefunden worden. Die Ermittler konnten sich zunächst nicht vorstellen, dass sie dort unbemerkt getötet werden konnte. "Wir haben uns das angesehen: Ein Kollege ist am unmittelbaren Tatort gestanden, der andere am Treppelweg - und das natürlich genau zur ermittelten Tatzeit. Der Kollege am Treppelweg konnte den anderen weder sehen und hören. Das waren vielleicht fünf Meter Distanz zwischen den beiden", schilderte der Fallanalyst.

Mehrere Phasen

Oft besteht die Aufgabe der OFA, in der ersten Phase der Ermittlung ordnend einzugreifen, die früher oft als "Chaosphase" und heute eher als "Orientierungsphase" bezeichnet wird. Dabei gehen die Analysierenden den Sachbearbeitern zur Hand und bringen im Idealfall Struktur in die Flut an Informationen und Hinweisen.

Die dritte Phase der OFA ist die der Beschreibung und Feststellung. Dabei versucht das Team einen Befund des Falles zu erstellen, genau wie Medizinerinnen und Mediziner Befunde zum Krankheitsbild von Patientinnen und Patienten erstellen. Das soll keine Diagnose zur Tat sein, sondern eine objektive und faktenbasierte Beschreibung. Auf Informationslücken wird hingewiesen, dies mündet auch bereits in Hypothesen.

In der vierten Phase geht es um das Interpretieren, bei dem methodisches Wissen, Hintergrund- und Erfahrungswissen zur Anwendung kommt. Dabei steht auch die Täterpersönlichkeit im Fokus, etwa was sein Modus Operandi ist und war und - im Unterschied dazu - wie er oder sie seine/ihre Tat personalisiert hat. "Was hat ein Täter getan, was er oder sie nicht unbedingt zur Begehung des Verbrechens tun musste?", formulierte List die Frage. "Warum sticht ein Täter ein- oder zweimal zu, ein anderer 30 Mal?" Der Modus Operandi betrifft hingegen das grundsätzliche Vorgehen, das situativ - also zum Beispiel durch die örtlichen und zeitlichen Tatumstände - abgeändert wird.

Tägliche Aufgaben

In der Phase fünf formuliert das OFA-Team Ergebnisse mit schlüssigen und nachvollziehbaren Begründungen, die in Phase sechs dem Auftraggeber präsentiert werden. Diese Präsentationen bei den Sachbearbeitenden können durchaus lang und umfangreich sein. "Bei der einen oder anderen gab es an die 100 Teilnehmer", erzählte Spiegl. Im Optimalfall haben die Experten Empfehlungen gefunden, in welche Richtungen sich die Ermittlungen weiterbewegen sollten, zum Beispiel, ob ein DNA-Reihentest hilfreich sein könnte. Zumindest sollte es bei den Ermittlern am Ende aber ein deutlich tieferes Fallverständnis geben. Wichtig war List und Spiegl zu betonen, dass es sich bei diesem Vorgehen der OFA um ein standardisiertes Verfahren handelt.

Wer glaubt, dass die Operativen Fallanalysten im Büro sitzen und warten, bis sich ein für sie relevanter Fall auftut, liegt falsch. Im täglichen Geschäft sehen sich die Experten Automails an, die sie täglich über alle im Abschnitt 10 des Strafgesetzbuches (Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung) verübten Delikte sowie über Gewaltverbrechen bekommen, und überprüfen diese, ob sie für die Datenbank ViCLAS (Violent Crime Linkage Analysis System) relevant sind. Für ViCLAS werden Verhaltensweisen aufgezeichnet und verglichen, damit man so eventuell auf die Spur eines Täters kommt. Dafür werden bei Verdacht eines Serienverbrechens und bei Sexualdelikten wichtige Tatort-Einzelheiten aufgelistet und später per Computer vernetzt. Es geht aber nicht nur um das Täterverhalten, sondern etwa auch um geografische Analysen.

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