Eine Havarie wird flott gemacht
Vor dem Hafen von Giglio liegt ein Schiff: die Costa Concordia.Ein Lokalaugenschein, zehn Monate nach dem Unglück des Kreuzfahrtschiffes.
Wenn es November ist in Giglio, schrumpft die Insel einwohnermäßig auf ein Drittel. Die Rollbalken werden heruntergelassen und rund 1000 Gigliesi gehen in ihre Häuser zurück nach Grosseto. Denn im Winter ist auf Giglio, etwa eine Stunde Fährenfahrt vom Festland entfernt, tote Hose. Heuer ist das anders, heuer legt sich die Insel nicht zum Winterschlaf. Weil vor dem Hafen von Giglio Porto ein Schiff wie umgefallen da liegt. Die Costa Concordia.
Die Fähre „Giuseppe Rum“ bringt täglich Schaulustige, im Sommer bis zu 3500. Mit Kameras, Videogeräten lauern sie gut gelaunt, bis ihre Hälser lang werden, ihre Münder losschwatzen, ihre Arme mit gestrecktem Zeigefinger voraus zeigen. Auf eine mattglänzende längliche Tonne.
Auf der Insel mag die Katastrophentouristen keiner so recht, weil sie nichts kaufen, mit Proviant vom Festland herüberfahren, ihre Fotos machen, sich lachend vor dem havarierten Schiff ablichten lassen und dann wieder abhauen. Katastrophen-Souvenirs suchen sie vergeblich. Keine Kaffeehäferl oder Ansichtskarten mit dem havarierten Schiff. Nur drei Bücher. Auf der Insel haben sich Preise seit dem Unglück praktisch verdoppelt, viele Insulaner nehmen die Fähre, um auf dem Festland einzukaufen.
Rund um die Costa Concordia ist ein Mikrokosmos, eine kleine Satellitenstadt gewachsen. Blaue Containerboxen für die rund 500 Arbeiter, drei Plattformen, ein Hubschrauberlandeplatz. Arbeitslärm liegt über dem Hafen, rund um die Uhr wird gearbeitet, um den Kreuzfahrtriesen laut Plan bis Mitte Juni nächsten Jahres aus seiner misslichen 65-Grad-Seitenlage zu befreien, aufzustellen und abzutransportieren. Dann wird man nach den beiden vermissten Passagieren suchen. Zu sehen ist nicht viel, das meiste passiert unter Wasser.
Eine Hamburger Firma hat die 300-Millionen-Euro teure Bergung auf dem Computer ausgerechnet, zwei Firmen setzen nun die größte maritime Bergungsaktion in der Geschichte um. „Alles, was hier passiert, wird zum ersten Mal gemacht. Jeden Tag ein neues Problem. Wir werden in die Geschichte eingehen. Und es wird ein Happy End geben. I’m sure“, sagt Carlo Femiani, der technische Direktor der Bergungsaktion.
Seit 2. November ist die Costa so fixiert (siehe Grafik), dass sie nicht mehr abrutschen kann. Femianis Arbeiter haben alle eine Kletterausbildung. Ohne Gurt, Helm, Sicherheitsschuhe und Schwimmweste kommt keiner an Bord.
Aus Griffweite betrachtet liegt die Costa Concordia ruhig da, wie ein Dornröschen aus Stahl mitten im Trubel von Hundertschaften quirlig Arbeitender. Liegestühle sind auf dem Sonnendeck aufgeschlichtet, so als warteten sie auf irgendetwas. Auf die Katastrophentouristen jedenfalls nicht. Die reisen gerade wieder ab. Beim Blick zurück ist es anders als wenige Stunden zuvor. Es ist still.
Pfarrer Don Lorenzo, der gute Geist von Giglio: „Ich habe die Tür geöffnet“
Der Pilgerstrom zur Kirche von Pfarrer Don Lorenzo wollte am 13. Jänner kurz vor Mitternacht nicht abreißen. Menschen in Unterwäsche begehrten Einlass, ebenso wie Passagiere im Smoking und Abendkleid. 500 gestrandete fanden sich in der Kirche ein. „Ich habe ihnen die Tür geöffnet“, sagt der 62-Jährige und blättert in einem Mini-Wörterbuch nach, um schelmisch lächelnd in Deutsch fortzufahren: „Das ist ganz normal“.
Die Herbergsuche in dieser kalten, feuchten Nacht hatte sich schnell herumgesprochen in Giglio. Die Insulaner brachten Brot, Kleidung und Bettdecken, die teilweise völlig durchnässten Schiffbrüchigen ließen sich erschöpft auf den Holzbänken nieder, kauerten sich auf den Teppichboden vor dem Altar, zogen sich Pfarrgewänder an. Lorenzo ließ alles zu und wurde so zum Helden für viele. Noch heute bekommt er Geschenke aus aller Herren Länder. Ein Danke-Herz, Mails, Briefe, Süßigkeiten. Deutsche Passagiere brachten neulich eine geliehene Bettdecke – gewaschen – zurück. Eine Frau spendete eine Kirchenbank. Im Gedenken an ihre Mutter, die auf der Costa gestorben ist. Und in der Kirche steht jene Madonna, die Taucher aus der Costa-Kapelle geholt und ihm geschenkt haben.
„Die Katastrophe hat die Leute von Giglio anders gemacht. Sie sind stolz, dass sie helfen konnten. Aber das Schiff kann keiner mehr sehen“, sagt Don Lorenzo.
Ein Ehepaar aus Goldwörth war auf der Costa: „Die Bilder sind noch da“:
Am Freitag, dem 13. Jänner, um 21.45 Uhr hat es in der Kabine eines Ehepaares aus Goldwörth „fürchterlich gerummst. Die Costa Concordia bekam Schlagseite und wir haben uns schnell warme Kleidung, Schwimmweste, Pässe und Geld gesucht und sind an Deck. Dort herrschte völliges Chaos“. Joachim M. und seine Frau Margit schafften es auf ein Rettungsboot und überlebten die Katastrophe.
Doch das mentale Erbe des Erlebten lässt sie bis heute nicht los.
Ihre vollen Namen und ein Foto wollen sie nicht mehr in der Zeitung sehen. Da seien sie gebrannte Kinder. Nach Interviews wurde das Paar immer wieder auf das traumatische Ereignis angesprochen. Womit sie nicht gerechnet hatten, war plötzlich aufkeimender Neid. Gerüchte machten die Runde, dass die Passagiere mit hunderttausenden Euro abgefunden worden wären. „Die dachten, wir werden reich mit diesem Unglück. Das brauche ich nicht mehr“, sagt der 40-Jährige. Tatsächlich waren es 11.000 Euro, die jeder Reisende bekommen hat.
„Mir ist nur eines wichtig. Dass wir überlebt haben. Mit Geld kannst du niemanden ersetzen. Wir kamen glimpflich davon, bei anderen war es sauknapp.“ Den Prozess gegen „den sympathischen“ Kapitän Francesco Schettino verfolgen die beiden mit Interesse. Auf der Webcam von Giglio macht sich Joachim M. immer wieder über den Stand der Arbeiten am havarierten Kreuzfahrtschiff schlau, der lange Arm der Erinnerung an die Katastrophe lässt ihn nicht los: „Die Bilder vom kippenden Schiff sind noch da.“
Von Kreuzfahrten hat das Paar indessen nicht genug: „Es wird sicher wieder einmal eine werden.“
Der Biologe Andrea Belluscio und seine Mission: Retter der Steckmuschel
Für Andrea Belluscio, Meeresbiologe an der Universität von Rom, ist die Havarie der Costa Concordia so etwas wie das Zusammentreffen von Weihnachten, Ostern und Geburtstag. Aus Respekt vor den Opfern würde er das niemals sagen, aber die Augen des stämmigen Biologen beginnen zu glänzen, wenn er von seiner Arbeit erzählt.
Aufpassen muss er, dass die Bergung das schützenswerte Leben unterhalb des Schiffes nicht unnötig strapaziert. Bezahlt wird seine Arbeit von der Versicherung der Costa. Dass er von der Reederei als Umwelt-Alibi herhalten muss, verneint er vehement.
Seit Juni ist er mit Mitarbeitern und Studenten im und unter Wasser, hat Fauna und Flora inklusive der wertvollen und geschützten Korallenbestände genau unter dem Wrack erfasst und kartografiert. „Nach meinen Karten wird gearbeitet“, sagt er höflich, aber bestimmt. Herr Andrea ist dem Meer zugetan, wenn sein Handy läutet, dann erklingt ein Echolot.
Mit der Umweltverträglichkeit der Bergungsaktion war er bis zum 2. November zufrieden. Just am Tag der Fixierung des Schiffes trat Öl aus dem Maschinenraum aus. Der Hafen wurde gesperrt, die Ursache analysiert, das Öl abgepumpt.
Das Gras im Schatten des Wracks ist tot. Gerettet haben Andrea Belluscio und seine Leute dafür 200 Prachtexemplare der Pinna Nobilis. Die Große Steckmuschel wurde händisch liebevoll ausgegraben und in sicherem Gebiet in Reih und Glied wieder in den Sandboden gerammt. Um seinen Arbeitsplatz braucht sich Herr Andrea keine Sorgen zu machen. Die angestrebte völlige Wiederherstellung der Unterwasserwelt vor Giglio wird noch etwa fünf Jahre dauern.
Der Hotelmanager: „Niemand kauft“Seinen Nachnamen will Claudio nicht verraten. Damit habe er schlechte Erfahrungen gemacht, sagt der Manager des Hotel Demos in Giglio Porto. Die Hotellerie der Insel mutierte nach der Costa-Havarie zur Neidgesellschaft. Mehr oder weniger offen wird darüber gesprochen, dass das Demos zu den „Nutznießern“ der Katastrophe zählt, liegt doch die Costa Concordia knapp einen Steinwurf von seinem Hotel entfernt. Dort ist das Hauptquartier der Bergungsfirmen Titan und Micoperi untergebracht. Das Haus mit seinen 56 Betten ist bis zum 25. Mai 2013 ausgebucht. In „normalen“ Jahren wäre das Demos jetzt geschlossen.
„Wir sind zwar voll, aber haben die Zimmer günstiger vergeben. So ein großes Geschäft ist das nicht“, behauptet Claudio, der 1963 im deutschen Essen geboren worden ist. Statt daheim bei seiner Familie in Grosseto den Winter zu verbringen, ist er jetzt 18 Stunden täglich auf den Beinen. Von den Tagesgästen hält er nicht viel: „Die kommen, schauen nur und kaufen nichts.“