Der Dammbruch in der Ukraine und seine Folgen
KIEW. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine zeichnen sich langsam die Folgen der riesigen Flutwelle ab. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.
WER IST FÜR DEN DAMMBRUCH VERANTWORTLICH?
Die Ukraine und Russland geben sich gegenseitig die Schuld für den Bruch des 30 Meter hohen und 3,2 Kilometer langen Damms. Westliche Regierungen sehen die Verantwortung in Moskau. Auslöser könnten gezielte Explosionen oder aber auch Angriffe auf die Straße auf dem 1956 gebauten Damm in den vergangenen Monaten gewesen sein, die dessen Struktur beschädigt haben könnten. Der Stausee soll zudem in den Tagen vor dem Bruch randvoll gefüllt gewesen sein. Das russische Kernenergieunternehmen Rosenergoatom hatte bereits Anfang Mai gewarnt, dass Hochwasser zu einem Bruch des Staudamms führen könnte.
WEM NUTZT DER DAMMBRUCH?
"Wenn man bedenkt, dass sich Russland in der strategischen Defensive und die Ukraine in der strategischen Offensive befindet, ist das kurzfristig auf jeden Fall ein Vorteil für Russland", sagt Ben Barry, Senior Fellow am International Institute for Strategic Studies. Es werde für die ukrainischen Truppen schwerer, den Dnipro zu überqueren. Die Flut werde den Einsatz schwerer Waffen wie Panzer für mindestens einen Monat verhindern, meint auch Maciej Matysiak, Sicherheitsexperte bei der Stratpoints Foundation.
WAS SIND DIE FOLGEN FÜR MENSCHEN UND TIER?
Nach ukrainischen Angaben wurden 42.000 Menschen auf beiden Seiten des Flusses Dnipro von Überschwemmungen bedroht. Berichte über Todesopfer gab es zunächst nicht. Aber ein Sprecher der US-Regierung sagte, die Überflutungen dürften vielen Menschen das Leben gekostet haben. Neben den Schäden an Häusern und dem Ernteverlust in den überschwemmten Gebieten kamen zahllose Tiere ums Leben. Nach dem Sinken der Flut droht eine monatelange Verschlammung der überschwemmten Gebiete.
WELCHE AUSWIRKUNGEN GIBT ES AUF DIE TRINKWASSERVERSORGUNG?
Der Stausee war einer der größten Wasserreservoirs der Ukraine. Hunderttausende Menschen sind nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch den Bruch des Kachowka-Staudammes und die Überschwemmungen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten.
WAS SIND DIE FOLGEN FÜR DIE LANDWIRTSCHAFT?
Das ukrainische Landwirtschaftsministerium spricht davon, dass ohne den Stausee künftig 500.000 Hektar Land ohne Bewässerung seien. Sie drohten sich in Wüsten zu verwandeln. Zudem erwarten Experten, dass das Hochwasser Chemikalien und Schmierstoffe aus der Industrie in den Boden spülen und damit Ökosysteme und die Artenvielfalt dauerhaft schädigen wird. Das trifft die Landwirtschaft in der Ukraine, die als Kornkammer Europas gilt, hart. Zumal Minen und Angriffe die landwirtschaftliche Produktion auch in anderen Landesteilen behindern. Der Weizenpreis stieg nach dem Dammbruch am Dienstag um mehr als drei Prozent.
WIE GROSS IST DIE GEFAHR FÜR DAS ATOMKRAFTWERK?
Die Internationale Atomenergiebehörde hat die anfänglichen Sorgen gedämpft, dass das abgeschaltete Atomkraftwerk Saporischschja betroffen sein könnte. Es gebe aus Kühlbecken und Kanälen genug Kühlwasser für die kommenden Monate. Das russische Kernenergieunternehmen Rosenergoatom hatte Anfang Mai gewarnt, eine Überschwemmung könnte die Stromkabel für die Pumpstation der Kühlsysteme des Atomkraftwerks überfluten.
GIBT ES SCHNELLERE WAFFENLIEFERRUNGEN?
Etliche westliche Regierungen betonten in ihren Reaktionen auf den Dammbruch, dass sie auch die militärische Hilfe für die Ukraine fortsetzen werden, die eine Offensive zur Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete plant. Wenn der Einsatz von Panzern im Süden der Ukraine nun erschwert wird, könnte dies die Debatte etwa um die Lieferung von Kampfflugzeugen anheizen. Der ukrainische Präsident Selenskyj erklärte, dass er nun ein Angebot für die Lieferung westlicher F-16 Kampfjets bekommen habe. Details nannte er nicht.