Bemerkenswerter Rücktritt im Führungszirkel des Kreml
MOSKAU. Der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten Wladimir Putin für Beziehungen zu internationalen Organisationen, Anatoli Tschubais, hat seinen Rücktritt erklärt.
Dies bestätigte ein Sprecher des früheren Spitzenpolitikers, der stets zum liberalen Lager gerechnet wurde, am Mittwoch in Moskau. Nach einem Bericht der Tageszeitung "RBK" soll der 66-Jährige zusammen mit seiner Frau Russland verlassen und in die Türkei ausreisen wollen.
Der Rücktritt soll im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stehen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte: "Tschubais ist auf eigenen Wunsch zurückgetreten." Zur angeblichen, dauerhaften Ausreise von Tschubais sagte Peskow der Agentur Interfax zufolge, dies sei Tschubais "persönliche Sache".
Tschubais legte nach Journalisten-Fragen sofort auf
Von Tschubais' Sprecher gab es zunächst keine Angaben. Als Journalisten von Reuters Tschubais zu den Vorgängen per Telefon persönlich befragte, legte der 66-Jährige auf. Tschubais ist die bisher höchstrangige Persönlichkeit in Russland, die seit dem Einmarsch in der Ukraine zurückgetreten ist.
Tschubais hatte das Amt als Sonderbeauftragter im Dezember 2020 übernommen. Er hatte unter dem früheren Staatschef Boris Jelzin in den 90er-Jahren als Vize-Regierungschef und Leiter der Präsidialverwaltung die Privatisierung der Wirtschaft mit vorangetrieben. Später leitete er jahrelang wichtige Unternehmen.
Parlamentsabgeordnete der Kreml-Partei Geeintes Russland dürfen Russland unterdessen ohne Sondergenehmigung nicht mehr verlassen. Eine solche Erlaubnis müsse von Fraktionschef Wladimir Wassiljew erteilt werden, sagte der stellvertretende Generalsekretär der Partei, Alexander Sidjakin, der Staatsagentur Ria Nowosti am Mittwoch. Diese Entscheidung habe die Fraktion allerdings bereits vor Monaten getroffen, meinte er. Betroffen seien ausschließlich Duma-Abgeordnete von Geeintes Russland und nicht alle knapp zwei Millionen Parteimitglieder.
Tschubais gilt als Architekt der postkommunistischen Reformen in Russland in den 1990er Jahren. Er war Stabschef des früheren Präsidenten Boris Jelzin, von dem Putin Ende 1999 das Amt übernahm. Kritiker werfen Tschubais vor, die Anhäufung großer Vermögen durch einzelne Unternehmer geduldet zu haben, während Millionen Russen unter großer Armut litten. Tschubais führte einst auch eine liberale Oppositionspartei an und leitete das staatliche Technologieunternehmen Rusnano. Auch zuletzt hatte sich Tschubais für einen Umbau der Wirtschaft eingesetzt und galt als einer der am meisten profilierten Liberalen im Umfeld der Regierung.