Johnson und Corbyn starteten mit heftigem Wortgefecht den Wahlkampf
LONDON. Großbritannien droht harte Auseinandersetzung vor dem Urnengang am 12. Dezember
Der britische Premierminister Boris Johnson und Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei haben am Mittwoch mit einem heftigen Wortgefecht den Auftakt zum Wahlkampf gegeben. Bei der voraussichtlich letzten Fragestunde vor der geplanten Neuwahl am 12. Dezember warf Johnson seinem Widersacher vor, die Wirtschaftskraft des Landes mit seinen Plänen für Steuererhöhungen und Verstaatlichungen aufs Spiel zu setzen. Corbyn bezichtigte Johnson hingegen, mit einem geplanten Handelsabkommen mit den USA den "Ausverkauf" des Landes anzusteuern. Beide versprachen, in den Nationalen Gesundheitsdienst NHS zu investieren.
Das Unterhaus hatte am Dienstag für ein Gesetz zur Neuwahl am 12. Dezember gestimmt. Das Gesetz muss noch vom Oberhaus abgesegnet werden. Doch das gilt in diesem Fall beinahe als Formalie. Das Parlament könnte dann bereits am 6. November aufgelöst werden.
Die Fragestunde dauerte ungewöhnlich lange. Parlamentspräsident John Bercow, der heute sein Amt abgeben wird, musste gar mit den Tränen kämpfen, als er sich bei seiner Familie für deren Unterstützung bedankte.
Schon zuvor hatte der Premierminister seine konservativen Mitstreiter auf einen harten Wahlkampf eingestimmt. "Es wird eine hart umkämpfte Wahl – und wir werden unser Bestes geben", sagte Johnson mit Blick auf die Neuwahlen am 12. Dezember. "Für das Land ist es Zeit zusammenzukommen, den Brexit umzusetzen und voranzuschreiten."
Johnson hofft auf eine klare Mehrheit, um das von ihm mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen durch das Unterhaus zu bekommen. Eigentlich hatte er das Austrittsdatum 31. Oktober um jeden Preis einhalten wollen, musste dann aber eine Verlängerung der Frist beantragen, weil das Abkommen im Parlament durchfiel. "Es war das Parlament, das die Umsetzung des Brexit verhindert hat", sagte Gesundheitsminister Matt Hancock dem Sender BBC.
Nein zu Johnson und Corbyn
Die Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, hält sowohl Johnson als auch Corbyn für völlig ungeeignet als künftige Premierminister. Weder den jetzigen Regierungschef noch den Labourchef würde sie unterstützen, betonte Swinson gestern in einem BBC-Interview. Die Liberalen lehnen einen EU-Austritt Großbritanniens entschieden ab.
Mister Speaker geht
Seine markanten „Ordeeer“-Rufe werden fehlen. Der kleine John Bercow hat sich mitten im Brexit-Streit nicht nur mit seiner markanten Stimme zur großen Kultfigur gemausert. Heute ist sein letzter Tag als Präsident des britischen Unterhauses; er hat nach mehr als zehn Jahren genug.
An Bercow scheiden sich die Geister: Die einen lieben ihn über alles und loben seine Art, das Unterhaus in die richtigen Bahnen zu lenken, wenn es wieder mal so richtig hoch hergeht. Selbst im Ausland hat er viele Fans, die am Fernseher seine Auftritte im Parlament staunend verfolgten. Die anderen halten ihn für einen viel zu europafreundlichen Politiker, der sogar eine mehr als 400 Jahre alte Regel herauskramte, um eine Entscheidung zum Brexit-Abkommen der früheren Premierministerin Theresa May zu begründen. Als Speaker leitete der 56-Jährige die Debatten im Unterhaus und passte unter anderem auf, dass die Parlamentarier nicht gegen Regeln verstießen.
Anhaben konnten ihm seine Kritiker aber nichts. Im Gegenteil: Seine eigene Rolle im Drama um den EU-Austritt gefiel dem Exzentriker sichtlich. Seine „Waffen“ waren stets die Rhetorik, die er von seinem Vater, einem Taxifahrer, gelernt hat, und eine große Portion Gewieftheit. So wurde er auch von seinen Gegnern wahrgenommen. Seinen Vorgängern – Bercow ist der 157. Speaker – erging es mitunter anders: Sie wurden geköpft.
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