Nahost: Experten erklären einige Geiseln anhand von Videos für tot
JERUSALEM. Rund acht Wochen nach dem Hamas-Überfall haben israelische Experten einige der damals verschleppten Geiseln für tot erklärt.
Ihr Team stütze sich bei den Entscheidungen auf Video-Aufnahmen und Aussagen von freigelassenen Geiseln, sagte Kommissionsleiterin Hagar Misrahi vom israelischen Gesundheitsministerium dem israelischen Radiosender Kan.
In der aktuellen Ausnahmesituation sei es möglich, jemanden ohne eine ärztliche Leichenschau für tot zu erklären. Ziel sei es, Angehörigen entgegen zu kommen. Ihnen solle die Möglichkeit zur Trauer gegeben werden, wenn keine Hoffnung mehr bestehe, dass die Angehörigen überlebt haben.
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Seit Ende der Feuerpause am Freitag haben die israelischen Behörden für sechs Zivilisten und einen Armee-Oberst den Tod in Gefangenschaft festgestellt. Um solche Entscheidungen zu treffen, würden Filme von dem Überfall der Hamas am 7. Oktober genau untersucht, erklärte Misrahi. Dabei handle es sich um Aufnahmen, die die radikalen Islamisten selbst ins Netz gestellt haben. Sie stütze sich mit ihrem Team aber auch auf Videos von Palästinensern, die die Angriffe beobachtet und gefilmt hätten. Darüber hinaus gebe es Bilder von Überwachungskameras.
Das gesamte Material werde "immer und immer wieder, Einstellung für Einstellung" durchgegangen, sagt Misrahi. Zusammen mit einem Gerichtspathologen und einem auf körperliche Traumata spezialisierten Mediziner suche sie in den Aufnahmen nach lebensgefährlichen Verletzungen, die die Geiseln erlitten haben könnten, sowie nach augenscheinlich leblosen Körpern.
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Brutale Gewalt der Geiselnehmer, geringe Chancen auf angemessene medizinische Versorgung sowie Berichte Freigelassener über den Tod von Geiseln würden ebenfalls in die Bewertung einfließen. "Jemanden für tot zu erklären, ist nie leicht - und dies sicher nicht, in der Lage in der wir im Moment sind." Bei der Entscheidung, eine Geisel für tot zu erklären, müsse in ihrem Team Einigkeit herrschen, sagte Misrahi. Die Experten stützen sich dabei auf das Gesamtbild.
Von den rund 240 Geiseln, die am 7. Oktober verschleppt wurden, wurden 108 während der vorübergehenden Feuerpause freigelassen. Die Hamas hat erklärt, Dutzende der Geiseln seien bei israelischen Luftangriffen ums Leben gekommen. Die Islamisten-Organisation hat auch damit gedroht, Geiseln hinzurichten. Zudem hat die Hamas angedeutet, dass einige Verschleppte in der Gewalt anderer Palästinenser-Milizen seien. Das israelische Militär hat die Leichen eines Soldaten und zweier Zivilisten geborgen. Eine Soldatin konnte befreit werden.
Misrahi sagte, bisher hätten alle betroffenen Familien die jeweilige Entscheidung des Teams akzeptiert. Aber auch wenn dies nicht der Fall sei, werde dies respektiert - wenn eine Familie beispielsweise erst bei der Übergabe einer Leiche zur Trauer bereit sei. Das Risiko, sich zu irren, dürfte Misrahis Team durch den Fall eines entführten Mädchens bewusst sein. Ihr Vater war bereits inoffiziell über den Tod seiner Tochter während des Hamas-Überfalls informiert worden. Das Kind war aber entführt worden und kam während der Waffenruhe frei.
Beschuss an israelisch-libanesischer Grenze
An der Grenze zwischen dem Libanon und Israel hat es erneut Beschuss gegeben. Aus dem Libanon seien mehrere Raketen Richtung Israel abgefeuert worden, teilte das israelische Militär am Sonntag mit. Mehrere Soldaten seien bei einem Raketenangriff auf ein Armeefahrzeug im Norden des Landes verletzt worden. Medien berichteten unter Berufung auf eine behandelnde Klinik von zwölf Verwundeten. Demnach wurden sie von Granatsplittern getroffen.
Der von der proiranischen Hisbollah-Terrormiliz geführte libanesische Fernsehsender Al-Manar meldete den Beschuss auf das israelische Militärfahrzeug von libanesischem Boden aus. Israels Armee reagierte eigenen Angaben zufolge mit Gegenbeschuss und griff Ziele der Hisbollah im Nachbarland an.
Seit Beginn des Gazakriegs nach dem Hamasmassaker in Israel am 7. Oktober kommt es immer wieder zu Konfrontationen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah in der Grenzregion. Auf beiden Seiten gab es bereits Todesopfer. Es ist die schwerste Eskalation seit dem zweiten Libanon-Krieg im Jahre 2006. Es besteht die Sorge, dass sich der Krieg auf andere Staaten ausweiten könnte.
Die Terrormiliz Hisbollah hat Verbindungen zur islamistischen Hamas im Gazastreifen, gilt aber als einflussreicher und schlagkräftiger.