Wolfgang Schäuble ist tot: Er prägte die deutsche Politik über Jahrzehnte
BERLIN. Kaum ein anderer konservativer Politiker prägte die deutsche Nachkriegsgeschichte so sehr wie Wolfgang Schäuble. Der letzte Schritt nach ganz oben ins Kanzleramt oder ins Schloss Bellevue, dem Sitz des deutschen Bundespräsidenten, blieb ihm aber verwehrt.
Schäuble, dessen Vater Karl schon für die CDU im Badischen Landtag saß, hat trotzdem viel erreicht. Er war Chef des Kanzleramtes, zweimal Innenminister, Finanzminister, er führte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und stand schließlich dem Deutschen Bundestag als Präsident vor. Niemand gehörte diesem Parlament länger an als er. Von 1972 bis zu seinem Tod am Dienstagabend war er dort Mitglied. Geboren wurde Schäuble am 18. September 1942 in Freiburg. Ab 1965 war er Mitglied der CDU, ab 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages.
Seit Attentat im Rollstuhl
Unter Kanzler Helmut Kohl war er zunächst Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben, von 1989 bis 1991 zum ersten Mal Innenminister. Schäuble handelte nach dem Mauerfall in der DDR den Einigungsvertrag mit aus.
Seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes auf ihn im Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl, seine politische Karriere ging aber weiter. Von 1991 bis 2000 führte er die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nach dem Machtverlust der Union 1998 wurde Schäuble im Zuge der Neuaufstellung der CDU Parteichef. Angela Merkel wurde Generalsekretärin.
In den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach Aussagen zu einer 100.000-Mark-Barspende trat Schäuble im Februar 2000 als CDU-Chef zurück. Dabei hatte ihn Kanzler Kohl als seinen Nachfolger auserkoren und dies auch öffentlich kundgetan. Seine Rolle in der Parteispendenaffäre ließ aber auch ihn stolpern. Merkel wurde Parteichefin.
2005 machte sie als Kanzlerin Schäuble zum zweiten Mal zum Innenminister, vier Jahre darauf zum Finanzminister. Das Amt hatte Schäuble zwei Wahlperioden inne, er schaffte die "schwarze Null", also einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden. In die Zeit als Finanzminister fiel die EU-Schuldenkrise. Die Auseinandersetzungen mit den hochverschuldeten Ländern der Eurozone, vor allem mit den Griechen, sind legendär. Wäre es nach Schäuble gegangen, wäre Griechenland nicht mehr Teil der Währungsunion.
Nach der Bundestagswahl 2017 wurde Schäuble als Nachfolger von Norbert Lammert zum Bundestagspräsidenten gewählt, das zweithöchste Amt im Staat. Das höchste, das des Bundespräsidenten, blieb Schäuble verwehrt. Hier dürfte die mangelnde Unterstützung Merkels für Schäuble als Bundespräsidenten den Ausschlag gegeben haben.
Nach der von der Union verlorenen Bundestagswahl 2021 zog sich Schäuble aus den Führungsgremien der Partei zurück. Im Deutschen Bundestag wurde die SPD-Politikerin Bärbel Bas Präsidentin, Schäuble war nun einfacher Abgeordneter.
In seiner Partei zählte Schäuble eher zu den konservativen Politikern, hinter den Kulissen hatte sein Wort stets Gewicht. Auf der anderen Seite hatte er früher als andere die CDU zur Offenheit für Bündnisse mit den Grünen aufgerufen. Bisher gab es nur auf Länderebene Bündnisse der CDU mit den Grünen.