Hubert Neuper: "Man soll ruhig einen Vogel haben"
BAD MITTERNDORF. Hubert Neuper über Selbstdarstellung, Visionen und eine wichtige Lebenserfahrung namens "Burn-out"
Vom 10. bis 12. Jänner wird der Skiflug-Weltcup am steirischen Kulm wieder tausende Fans anlocken. Neben den Aktiven wird dabei auch wieder Hubert Neuper ins Zentrum des Interesses rücken. Der 53-Jährige ist Kopf, Herz und Seele dieser Großveranstaltung. Er hat dem Kulm viel zu verdanken. Auch die schwerste Krise seines Lebens.
Ist es okay, wenn ich dich* als "Mister Kulm" anspreche?
Hubert Neuper: Ich habe da gemischte Gefühle, weil der Kulm bedauerlicherweise nicht als ÖSV-Veranstaltung wahrgenommen wird. Der ÖSV schafft jedoch für tausende Menschen live ein gutes Gefühl. Das ist in der heutigen Zeit, in der so oft von Problemen und Betrügereien zu hören ist, mehr wert, als man glaubt. Der Skiverband trägt die ganze Verantwortung, ich bin ja nur der Projektleiter.
Für die meisten Menschen bis du trotzdem der "Mister Kulm".
Die Personifizierung ist entstanden, als mich Peter Schröcksnadel 1993 gefragt hat, ob ich das Skifliegen am Kulm machen kann. Zuerst hab’ ich es mir nicht ganz zugetraut, dann war ich inspiriert, wollte 100.000 Leute zum Kulm bringen und habe vergessen, ein Marketing-Budget einzuplanen. Es war dann naheliegend, dass ich mich selbst zum Werbeträger gemacht habe.
Im Mittelpunkt zu stehen ist eine Übung, die du ja ganz gerne machst.
Nein, ich war eigentlich nach meinem Karriereende 1984 acht Jahre lang total weg vom Fenster. Fast alle Menschen, die ich vorher gekannt habe, haben sich in Luft aufgelöst. Ich wollte eigentlich nie wieder in die Öffentlichkeit zurück.
Und dann kam der Kulm.
Genau. Blöd bin ich ja nicht, ich hab’ einen guten Hausverstand. Marketingbudget gab es also keines. Darum bin ich auf jedes Festl gegangen und hab mir gesagt: Wenn ich eine Kamera sehe, geh‘ ich hin, lass’ mich filmen, sage zwei, drei Sätze zum Kulm. Da habe ich mich richtig selbst dargestellt. Nach dem langen Entzug der Popularität hat mir das auch wirklich getaugt.
Mit Abstand betrachtet, war das die richtige Strategie?
Ich denke schon, diese Begeisterung war ja nicht gespielt. Ich brenne für diese Veranstaltung. Da geht es um einen besonderen Spirit. Man wollte dann später alles stärker reglementieren und berechnen, das hat mich an den Rand der Lebensfreude gebracht.
Und jetzt stehst du wieder in der Auslage, wenn im Jänner am Kulm die Springer-Weltklasse in die Luft gehen wird...
Ja, aber ich definiere mich nicht mehr über das. Ich mach‘s, weil es richtig ist. Früher hab’ ich es gemacht, weil ich es gebraucht habe. Aber das beste – und billigste – Inserat des Skifliegens am Kulm heißt halt immer noch Hubert Neuper.
In den 1990er-Jahren hast du in New York beim World Trade Center ein Skispringen veranstaltet, am Times Square lief eine Werbung für Bad Mitterndorf. War das nicht total abgehoben?
Bedauerlicherweise sind wir inzwischen sehr pragmatisch geworden. Leider. Aber ich entwickle mich schon wieder zurück, Gott sei Dank. Weil ich weiß, die Intuition, die ist so wichtig. New York war eigentlich von Verstandesseite her nicht realisierbar, aber es ist passiert. Diese Aktion hat uns weltweit Berichterstattungen in den Zeitungen gebracht. Wenn du vernünftig bist, denkst du zehn Minuten nach und kommst drauf: Das geht nicht. Aber wir haben nicht nachgedacht. Und dann ist es gegangen. Warum? Weil es einfach richtig war.
Wie schwer ist es, in einer Welt der Vernünftigen visionär zu denken?
Ich hoffe, dass man es sich nicht abgewöhnt, so wie ich zu denken. Durch meine Erfahrung 2003, wo alle Kriterien des Glücks erfüllt waren und ich trotzdem meine Lebensfreude total verloren habe, bin ich auf eines drauf gekommen: Man soll ruhig einen Vogel haben. Ich finde, das ist gut. Man muss inspiriert und begeistert sein.
Ist es gerecht, dass es bei Sport-Veranstaltungen die Standardfrage gibt: Wie viele Leute müssen kommen, damit es sich rechnet? Bei Burgtheater-Produktionen ist das nie ein Thema...
Meine persönliche Meinung: Ich glaube, Österreich müsste sich solche Events leisten. Die Menschen in diesem Land würden es verstehen, wenn wir als Veranstalter steuerbefreit sein würden. Wir brauchen keine Subventionen. Es geht um Flaggschiffveranstaltungen, die sind Visitenkarten für das Land. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich das zur Diskussion stellen.
Hätte Hubert Neuper gerne etwas zu sagen?
Solche Menschen wie ich sind in der Politik genau nach drei Monaten tot. Ich war bei der Sporthilfe, dort hat es zweieinhalb Jahre gedauert. Ich habe in meiner Naivität geglaubt, es geht da nur um den Sport. Tatsächlich spielten andere Komponenten eine Rolle. Ich glaube, die Politik braucht keine Menschen wie mich.
Geht der Gesellschaft nicht etwas verloren, wenn sich Visionäre von der Politik abmelden und nur die Realos bleiben?
Ich glaube schon. Aber ständig gegen den Strom zu schwimmen, das macht müde und dann geht man irgendwann unter.
Träumst du ab und zu vom Skispringen?
Ja. Oft. Den Traum vom Fliegen habe ich so oft erlebt , das will man immer wieder abrufen. Das Lied von der Möwe Jonathan, "Lonley Looking Sky", wenn ich das heute höre, dann ist in der nächsten Sekunde in ganz klarer Form ein perfekter Trainingssprung da, der mir auf einer Schanze in Thunder Bay 1981 gelungen ist. Du glaubst gar nicht, wie das eingebrannt ist.
Wenn man auf Google "Hubert Neuper" eingibt, wird automatisch ein zweiter Suchbegriff angeboten. Weißt du, was für einer?
Nein, keine Ahnung, Skispringer vielleicht?
Nein. Burn-out kommt da. Ist das okay für dich?
Ja. Zu dem stehe ich auch. Das war eine harte Lebenserfahrung, aber eine perfekte. Das Burn-out hat mich in die positive Realität des Lebens zurückgebracht.
Kannst du Menschen, die in Gefahr sind, auszubrennen, mit einem Rezept aushelfen?
Wir halten es nicht aus, nur pragmatisch zu sein. Du darfst deine Seele nicht zudecken. Ich glaube, es gibt eine Polarität im Leben. Es gibt gute Zeiten und schlechte Zeiten. Unser Verstand ist so konditioniert, dass er die schlechten Zeiten verdrängt oder in Selbstmitleid potenziert. Aber die schlechten Zeiten gehören dazu. Eine Krise kann die wichtigste Erfahrung in deinem Leben sein. Wenn du sie meisterst, dann ist das wahnsinnig wertvoll. Der Erfolg allein macht niemanden glücklich, der ist ja nur eine Momentaufnahme.
* im Gipfelgespräch sind wir ausnahmsweise mit unseren Gesprächspartnern per du.
Zur Person
Hubert Neuper (geboren am 29. 9. 1960) hat in seiner aktiven Karriere den ersten Skisprung-Gesamtweltcup gewonnen (1979/80). Er holte zweimal die Vierschanzentournee, gewann Olympia-Silber (Lake Placid 1980) und WM-Silber (Oslo 1982).
Nach der Karriere wurde er Linienpilot und hob später als Veranstalter (Kulm, World Sports Award) ab. Neuper ist mit Claudia, die die Skischule Neuper leitet, verheiratet, Tochter Nina (29) hat Kunstgeschichte studiert und lebt in München, Laura (27) ist Unternehmensberaterin in London.
Der Traum vom Fliegen
Das Gipfelgespräch mit Hubert Neuper musste natürlich am Kulm unweit von Bad Mitterndorf stattfinden. Die imposante Skiflug-Schanze wird gerade fit gemacht, wir turnen den Anlauf hinauf, der nach dem Weltcup im Jänner umgebaut wird. Bei der Skiflug-WM 2016 in der Steiermark soll am Kulm bis jenseits der 225 Meter geflogen werden. Neuper träumt davon, nach dem Umbau als erster die neue Skiflugschanze einzuweihen. Der Tiefblick beim Gipfelgespräch lässt ihn allerdings realistisch werden. „Ich würde schon gerne noch einmal da runter fliegen, aber ganz ehrlich: das wird wohl nichts, i hab zu viel Schiss.“ Das ist wirklich nachvollziehbar... Die erste Sprungschanze am Kulm hat 1950 übrigens Neupers Vater eingeweiht. Hubert Neuper senior flog immerhin 96 Meter weit. 1982 gewann der Junior den Skiflug-Weltcup auf dem Kulm.
Die nächste sportliche Herausforderung für Neuper ist die ORF-Show „Dancing-Stars“.
ich hab da zu viel Schiss.
DAS-kann ich sehr gut verstehen...