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Unsere Nachbarn: Tschechien

Von Von Roman Sandgruber, 18. Februar 2012, 00:04 Uhr

Oberösterreich und Tschechien verbindet eine wechselhafte Partnerschaft. Seit etwa 600 Jahren ist die Grenze zwischen Südböhmen und Oberösterreich relativ unverändert. Dennoch war sie immer in Bewegung.

Im Raum zwischen Donau und Moldau haben viele Völker ihre Heimstatt: In der Antike die keltischen Bojer, die ja wohl Böhmen wie Bayern ihren Namen gaben, verschiedene germanische Stämme und Angehörige slawischer Volksgruppen. Die Kolonisation und Rodungstätigkeit im südböhmisch-oberösterreichischen Raum schien im länderübergreifenden Besitzkomplex der Wittigonen einen regionalen Widerpart gegen die sich bildenden Machtzentren Böhmens, Österreichs und Passaus möglich zu machen.

Die Möglichkeit für ein eigenes Land der Wittigonen, das sich von den Zentren an der Moldau bis in den Haslacher und Schlägler Raum und zur Burg Falkenstein nahe der Donau erstreckt hätte, zerbrach noch im 13. Jahrhundert. Im 13. und 14. Jahrhundert wurden die heutigen Grenzen von Böhmen und Österreich gefestigt und wurden im Raum Oberösterreich nicht mehr verändert.

Auch als Böhmen und Österreich seit 1526 unter gemeinsamer habsburgischer Herrschaft standen, blieb die Bedeutung der Grenze weiter bestehen. Es wurde zwischen Oberösterreich und Böhmen Zoll eingehoben und der Warenverkehr genau kontrolliert. Erst 1775 wurde mit der Beseitigung der Zolllinie zwischen Oberösterreich und Böhmen wie auch zu den meisten anderen habsburgischen Ländern ein erster großer Schritt zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet innerhalb der Habsburgermonarchie getan. 1774 war es vor dem Oberplaner Marktrichter noch zu einer Auseinandersetzung um eine Strafe von zehn Gulden und 30 Kreuzern gekommen, wegen des Schmuggels einer Kuh von Ratschin bei Oberplan nach Schindlau bei Ulrichsberg.

Pass benötigt

1788, als die Zollgrenze zwischen Böhmen und Österreich bereits über ein Jahrzehnt lang beseitigt war, wurde eine sehr präzise Aufnahme und Vermessung der Grenze zwischen Böhmen und Österreich in Auftrag gegeben. Auch wenn die Grenze keine Zollgrenze mehr bildete, war sie eine Verwaltungsgrenze, die im zivil- und sozialrechtlichen Bereich von Relevanz blieb. Wer von Böhmen nach Österreich reisen wollte, brauchte noch bis zum Jahr 1857 auch für Inlandsreisen einen Pass für das Gesellenwandern. Nur Adelige, Geistliche und Staatsbeamte konnten sich frei bewegen.

Sprache und Region

Das Zusammentreffen der Sprachen im südböhmisch-oberösterreichischen Raum scheint so lange wenig Probleme bereitet zu haben, solange nicht der Arm des Verwaltungsstaates die Bürger in ein vielfältiges Geflecht von Abhängigkeiten einbezog. Zu einem wichtigen Zeugnis über den Charakter der über Sprachunterschiede hinwegreichenden Beziehungen wurde die Zweisprachigkeit vieler Adeliger und Bürger, im tschechischen Bereich mit der Kenntnis der deutschen Sprache, aber auch mit der Kenntnis des Tschechischen auf der österreichischen Seite, etwa bei Bürgern von Haslach oder Freistadt, und bei zahlreichen oberösterreichischen Adeligen, bei den Jörgern, Hofmann von Grünpüchl, Starhembergern, Tschernembl oder Zelking. Christoph von Zelking, der Stifter des Kefermarkter Altars, verfügte in seinem Testament, dass seine Söhne neben Latein und Italienisch auch Tschechisch beherrschen sollten.

Sprachgrenze

1855 wurde eine Landkarte der Habsburgermonarchie gezeichnet, die nicht die Landesgrenzen, sondern die Sprachgrenzen in den Vordergrund rückte. Ab 1869 wurden in den österreichischen Volkszählungen Erhebungen der Umgangssprache durchgeführt, die zur Grundlage von Sprachen- und Nationalitätenkarten wurden. Die Sprachgrenze trat mit der politischen Grenze in Konkurrenz.

Die Expansion des Verwaltungsstaates über Schule, Gerichtswesen, öffentliche Sicherheit und Militär hatte die Bedeutung der Sprache verändert, auch wenn sich über den realen Problemen häufig ein um vieles höherer Berg von Ideologie auftürmte.

Während die Tschechen sich vom Deutschtum politisch überstimmt fühlten und dafür im Gefüge der Habsburgermonarchie manches Argument anführen konnten, hatte das deutschnationale Geschrei von der Tschechisierung Oberösterreichs, vor allem des oberösterreichischen Bauernstandes, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer lauter wurde, wenig realen Hintergrund. Nahrung erhielten derartige Ängste von den Utopien tschechischer Expansionisten, die von einer Donaugrenze Böhmens träumten.

So begannen auf beiden Seiten nationalistische Strömungen die Diskussion zu beherrschen. Davon war besonders die Debatte um die Grenzziehung nach 1918 geprägt. Nach den Vorstellungen der deutschsprachigen Abgeordneten der böhmischen Länder und des Österreichischen Staatsrates und dem österreichischen Bundesgesetz von 1918 zufolge sollte die Böhmerwaldregion mit den deutsch bewohnten Teilen als „Kreis Deutsch-Südböhmen“ an Oberösterreich angegliedert werden: 330.000 Hektar mit 182.000 Einwohnern. 1910 wohnten dort 3,3 Prozent Tschechen.

Deutschsprachige Gebiete

Die südböhmische Bevölkerung unternahm zu dieser Zeit zur Verwirklichung des Anschlusses an Österreich wenig an konkreten Schritten, was in Oberösterreich in den Medien und im Landtag entsprechend vermerkt und diskutiert wurde, wenn das Linzer Volksblatt die Frage stellte, ob die Böhmerwäldler wirklich zu Oberösterreich wollten und im Landtag auf die reservierte Haltung deutschböhmischer agrarischer und industrieller Interessenvertretungen verwiesen wurde. Die bessere wirtschaftliche Situation in der Tschechoslowakei dämpfte die Option für Österreich. Der Friedensvertrag von St. Germain nahm die historischen Grenzen Böhmens als Ausgangspunkt und beließ die deutschsprachigen Gebiete bei der Tschechoslowakei.

Für die 1938 nach dem Münchner Abkommen an Oberösterreich angeschlossenen Kreise Krum(m)au und Kaplitz ebenso wie für die an Niederösterreich gefallenen Teile Böhmens und Südmährens bedeutete die neue Zugehörigkeit kaum eine ökonomische Aufwertung und Belebung.

Russische Truppen

Keine der nationalsozialistischen Industrieneugründungen lag nördlich der Donau oder gar in den neuerworbenen südböhmischen Kreisen. Mit dem Untergang der nationalsozialistischen Herrschaft und der Aufrichtung des Eisernen Vorhangs wurden alle Bande durchschnitten, die die Region zusammengehalten hatten. Daran änderte auch der Sachverhalt wenig, dass sowohl nördlich wie südlich des Böhmerwaldes russische Truppen standen.

Durch die Aussiedlung, den Bau des Moldau-Stausees und die Erklärung zum militärischen Sperrgebiet entstand entlang der Grenze ein breiter und schlecht bewirtschafteter Streifen. Der eiserne Vorhang wurde dichter. Spätestens mit dem österreichischen Staatsvertrag und dem Abzug der sowjetischen Besatzungsmacht aus dem nördlichen Oberösterreich waren noch bestehende Vorstellungen von einer bis zur Donau reichenden südböhmisch-oberösterreichischen Region, wenn es sie jemals gegeben hat, Makulatur.

Gastarbeiter

Die ersten tschechischen Arbeiter waren anlässlich des Baus der Pferdebahn 1825 nach Linz und Oberösterreich gekommen: Bahnarbeiter, Professionisten, bei der Errichtung der Linzer Türme, auch als Arbeiter in der Tabakfabrik, im Kohlenbergbau und in der Steyrer Waffenfabrik. 1858 wurden sie in ganz Oberösterreich mit etwa 2000 beziffert. Tschechen spielen bei den Anfängen der Arbeiterbewegung in Oberösterreich eine wesentliche Rolle, insbesondere in radikalen und anarchistischen Gruppierungen. 1903 fordern die deutschnationalen Abgeordneten im Landtag, tschechischsprachige Gottesdienste in den oberösterreichischen Kirchen zu verbieten. Bischof Doppelbauer meinte dazu: „Der Bischof kann es nicht tun und der Bischof wird es nicht tun.“

Namen: Sedlacek und Novak

Familiennamen, vor allem in Wien, aber auch in Oberösterreich, haben tschechische Wurzeln: Novak und Novotny (Neumann, Neubauer, Neugebauer), Svoboda (Aigner, Frei, Freisasse), Dvorák (Hofer, Höfer, Hofbauer), Procházka (Lustwandler), Cern (Schwarz), Vesel (Fröhlich, Lustig), Pokorn (Demuth), Kucera (Krause). Vranitzky, jemand aus Vranice, Schanovsky, jemand aus anov und ein Beneschofsky, jemand aus Beneschau, Kovár heißt Schmied, elezn Eisner, Broukal Brummbär.

Nemec ist der Deutsche, Aurednik ein Beamter, Beran ein Widder, Bicek ein junger Stier, Blecha ein Floh, Bobek eine Beere, Brabenetz eine Ameise. Brezina wäre unser Pühringer oder Pierer. Vogelnamen sind häufig: Brabec, Cap, Cejka, Cíek, Kukacka und Sova (Spatz, Storch, Kiebitz, Zeisig, Kuckuck und Eule), was sich wahrscheinlich von Hauszeichen herleitet, und nicht von spezifischen Eigenschaften dieser Vögel. Verkleinerungsformen gibt es im Tschechischen in zwei Stufen: Peter zu Petrík und Petrícek, ähnlich bei Karl und Franz, Karel, Karlik, Karlicek, Franta, Frantik, Frantisek, Bernaschek …

Chmel ist der Hopfen, Chmelir der Hopfenbauer und Homolka der Quargel. Horak wäre ein Berger, Jeschek ein Igel und Karasek ein Goldfisch, Kohout ein Hahn, Kolarik ein Wagner, Kostelka ein Kirchner und Krejci ein Schneider, Kutil ein Bastler oder Gschaftlhuber, Lischka ein Fuchs, Malik ein kleiner Finger, Morak ein Truthahn und Navratil ein Heimkehrer, Resetarits ein Siebmacher, Sedlacek ein Bauer und Sekanina ein Faschiertes.

Wirtschaftspartner

Wirtschaftlich waren Südböhmen und das Mühlviertel immer eng verflochten. Die Pferdebahn von Linz nach Budweis wurde errichtet, um den Salztransport nach Böhmen zu erleichtern.

Die beiden vorwiegend deutschsprachigen Kreise böhmisch-Krum(m)au und Kaplitz waren im 18. und 19. Jahrhundert sicherlich wirtschaftlich stark zum Donauraum hin orientiert.

Die Industrieorte Linz und Steyr hatten als Arbeitsplatz und als Durchgangsstation nach Wien für die Zuwanderung große Bedeutung. In Linz stammten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa 10 Prozent, in Steyr zur Jahrhundertwende über 15 Prozent der Bevölkerung aus Böhmen.

Die Abkoppelung der beiden Wirtschaftsräume verstärkte sich, je länger der Eiserne Vorhang bestand. Das Mühlviertel und der westliche Teil des angrenzenden Waldviertels orientierten sich, beides Notstandsgebiete, immer stärker am pulsierenden oberösterreichischen Zentralraum. Erst mit der Öffnung der Grenze und der Angleichung der politischen Systeme seit dem Jahr 1989 setzte ein Prozess ein, der die ökonomischen und kulturellen Bindungen wieder stärker werden lässt.

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