Aktenzeichen XY: Vor 50 Jahren begann die Verbrecherjagd im TV
"Aktenzeichen XY... ungelöst": Wie der Dieb und Spion Eduard Zimmermann am 20. Oktober 1967 das Reality-TV-Format erfand. Sein Wegbegleiter Peter Nidetzky erinnert sich.
Signation, Kamera läuft: Ein Mann mit grauem Anzug, dicker Brille und mit Pomade gezähmten Haaren tritt vor die Kamera. Es ist Eduard Zimmermann, und es ist der 20. Oktober 1967. Vor 50 Jahren begann im Fernsehen die Jagd auf Ganoven, Betrüger und Mörder. 32 Jahre davon war Peter Nidetzky (77) Leiter des Außenstudios von "Aktenzeichen XY... ungelöst".
OÖNachrichten: Herr Nidetzky, Ihre Stimme ist untrennbar mit der Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" verbunden. Wie kamen Sie am 10. Dezember 1971 ins Team der TV-Kommissare?
Peter Nidetzky: Am Anfang hat das Teddy Podgorski gemacht. Der wurde aber ein paar Wochen später Sportchef im ORF. Er hat gesagt: "Mach du das, die Sendung gibt’s maximal ein Jahr." Ich war damals Chefreporter beim ORF. Dann sind es 32 Jahre geworden. Ich habe das ehrenamtlich gemacht und man wächst so hinein, und letztlich waren es 320 Sendungen. Es war bestimmt keine sympathische Sendung, aber es war halt mein Beitrag zu Law and Order.
Wie haben Sie Eduard Zimmermann in Erinnerung?
Ich bin einer der ganz wenigen Menschen, die mit ihm wirklich befreundet waren. Man musste eine Weile suchen, dann konnte man seinen Humor finden. Er kam aus dem Riesengebirge und war der Prototyp des Menschen, der zum Lachen in den Keller geht. Er war akribisch, genau, pünktlich. Ich habe ihn zum Lachen gebracht, aber das hat Jahrzehnte gedauert.
Was war Ihr größter Fall?
Ein 18-jähriger Schweizer fährt mit einem alten Auto, einem Zelt und seiner Gitarre auf Maturareise. Allein. Das Auto, ein alter DKW, wird einen Monat später in Monte Carlo gefunden. Keine Spur des jungen Mannes. Wir haben den Fall aufgegriffen, weil es Indizien gab. Der Mann schrieb Ansichtskarten, und so konnte man seine Reiseroute nachvollziehen. Wir haben daraus einen Film gemacht.
Dann der entscheidende Hinweis.
Ja. In Hamburg sitzt ein altes Ehepaar am Kamin und sieht den Film. Da sagt die Frau: Du, das ist doch der Junge aus der Schweiz, das war auf dem Campingplatz, da war doch ein Zweiter dabei. Sie kramen in alten Urlaubsfotos und finden ein Foto von dem jungen Mann und seinem Mörder. Am nächsten Tag wird der Täter verhaftet, die Gebeine des Opfers finden sich auf einem alten Militärfriedhof in Frankreich. Ohne diese Sendung hätte man diesen Fall niemals lösen können. Der Kommissar Zufall ist das Geheimnis von "Aktenzeichen XY... ungelöst".
Wie gefährlich war es für einen Moderator, als Feindbild der Verbrecher selbst Opfer zu werden?
Es gab ein paar sehr unangenehme Geschichten, alles Blödheiten, aber nachträglich ist alles eher heiter. Einmal gab es einen Brief, da stand ausgeschnitten aus einer Zeitung: Sie werden am 23. September getötet. Es kam jeden Tag einer. Der Tag kam immer näher, ganz wurscht ist es einem dann auch nicht. Die Polizei war informiert. An dem Tag bin ich mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Ich fahre weg und es beginnt irrsinnig zu scheppern. Jemand hatte Konservendosen an meinem Auto befestigt. Wie bei einer Hochzeit. Im Büro fand ich wieder einen Brief. Kommen Sie um 22 Uhr zur Trafik am Südbahnhof.
Gespenstisch.
Ich habe zum ersten und letzten Mal in meinem Leben eine schussfeste Weste getragen. Bei der Trafik war der Rollbalken herunten. Darin steckte ein Zettel: "Ich treffe Sie jetzt im Drasche-Park." Die Polizei hat ihn erwischt. Es war ein arbeitsloser Kochlehrling, ich war ihm halt unsympathisch und er wollte mich in Angst und Schrecken versetzen. Er bekam sechs Wochen unbedingt und hat mir aus der Haft rührende Briefe geschrieben. Wir sind dann auf ein Eis gegangen.
Kritiker der Sendung warnen vor der Nachahmungsgefahr und bemängeln, sie sei sensationsgeil und instrumentalisiere Opfer.
Das ging ja bis ins Parlament: Es waren die Grünen, die gesagt haben: Diese Sendung ist ein Wahnsinn, sie verhindert die Resozialisierung von Verbrechern, wenn man sie mit Fotos zeigt und mit Namen. Das Gegenargument war damals: Wie soll man einen Verbrecher resozialisieren, wenn man ihn noch nicht erwischt hat?
Warum ist der ORF Ende 2002 aus der Sendung ausgestiegen?
Durch die vielen neuen Sender gingen die Zuschauerzahlen stetig zurück. Je weniger Leute das sehen, desto weniger wissen zu einem Fall etwas und desto weniger Leute rufen an. Das ist für diese Sendung ein Todesstoß. Am Anfang hatten wir eine Lösungsquote von 42 Prozent – bei Fällen, die von der Polizei ad acta gelegt worden waren. Da gab es 180 Anrufe im Studio, zum Schluss vielleicht 20. Meistens Spaßvögel. Die Sendung hat ihren Zweck nicht mehr erfüllt. In Deutschland wird sie von den Innenministerien mitfinanziert, daher ist sie geblieben.
Heute hat man im Vergleich zu den Anfängen der Sendung mit DNA-Analysen und Datenbankabgleichen ganz andere Möglichkeiten. Warum funktioniert die TV-Fahndung immer noch?
Richtig, aber ohne Zeugen geht meistens trotzdem nichts. Zeugen zu rekrutieren als Hilfestellung ist sicher kein Fehler.
Zahlen und Fakten
4586 Fälle wurden in 50 Jahren "Aktenzeichen XY... ungelöst" behandelt. 1853 Fälle wurden geklärt (Aufklärungsquote 40,4 %). 2319 Täter wurden festgenommen.
523 Sendungen wurden seit 20. Oktober 1967 ausgestrahlt. Anfangs erreichte die Sendung bis zu 18 Millionen Zuseher – allerdings bei nur drei Sendern – und einen Marktanteil von 78 Prozent. Die Sendung vom 7. September 2017 sahen 4,82 Millionen Menschen (16,6 Prozent).
Drei Moderatoren hatte die TV-Verbrecherjagd bisher: Eduard Zimmermann moderierte 300 Sendungen, übergab am 24. Oktober 1997 an Butz Peters. Seit Jänner 2002 ist Sportmoderator Rudi Cerne Präsentator der monatlichen Sendung. Aus der Schweiz wurden Konrad Toenz und Werner Vetterli, aus Österreich Peter Nidetzky mit Fällen zugeschaltet.
Der Mann, der untrennbar mit der Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" verbunden ist: Eduard Zimmermann, genannt "Ganoven-Ede".
Eduard Zimmermann: Der legendäre Moderator wurde am 4. Februar 1929 geboren und starb, schwer dement, am 19. September 2009. Sein Pseudonym "Ganoven-Ede" hat eine doppelte Bedeutung. Einerseits bezieht er sich auf die Verbrecherjagd im TV, andererseits auf die eigene kriminelle Vergangenheit. Zimmermann war verheiratet, seine Adoptivtochter Sabine war Co-Moderatorin der Sendung.
Zimmermann verdiente sich in der Nachkriegszeit als Dieb und Schwarzmarkthändler seinen Lebensunterhalt. Dafür saß er im Gefängnis. 1950 wurde er wegen Spionage zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. 1954 kam er vorzeitig frei. Er verheimlichte seine Vergangenheit nie: "Ich bin der Beweis dafür, dass man von der schiefen Bahn wieder runterkommt, wenn man will."
Kritik: Die Sendung wurde zum Feindbild der 68er-Generation ("Instrument des Polizeistaates", "Treibjagd mit moralischem Alibi"...). Konkret-Autorin Ulrike Meinhof: "Dem Fernseh-Sheriff muss das Handwerk gelegt werden." Später, als Terroristin, ließ sie Zimmermann auf eine Todesliste der RAF setzen.
Zum Jubiläum im Fernsehen: Das ZDF feiert das Jubiläum mit Sendungen am 4. und 25. Oktober sowie am 15. November.
Hab ich damals schon als Kind sehr gerne geschaut.
Damals saß immer die ganze Familie vorm TV.