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"Ich denke den Menschen vollkommen neu"

Von Martin Dunst, 17. Mai 2014, 00:04 Uhr
"Ich denke den Menschen vollkommen neu"
Retzl: »Der Weg aus der Krankheit ist mit harter Arbeit verbunden." Bild: Weihbold

Helmut Retzl möchte Gesellschaft verändern und kranken Menschen einen Ausweg zeigen Der Autor war selbst schwer krank und sagt: "Unheilbar gibt es nicht".

Ich bin goschert", sagt der gebürtige Steyrer Helmut Retzl über sich. Der Titel seines zweiten und jüngsten Buches passt zu diesem Selbstbild: "Unheilbar gibt es nicht." Der Hochschulprofessor, Konfliktmanager und Inhaber eines Beratungsinstituts in Linz, nimmt sich kein Blatt vor den Mund, schreibt und sagt, was er denkt.

Es gibt stapelweise Ratgeber, die mehr Glück versprechen, ein besseres Leben verheißen, den Weg aus der Krise weisen wollen; Was unterscheidet Ihr Werk von diesen Büchern?
Helmut Retzl:
Der Unterschied ist, dass ich sage, wie es geht. Es geht um konkrete Hilfe, um den Weg des Veränderungs-Prozesses. Viele Ratgeber beschreiben, was man tun sollte, ich versuche tatsächlich einen Weg zu gehen, mit meinen Lesern in Kontakt zu treten. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe.

Aus welchem Antrieb heraus, haben Sie innerhalb von sechs Monaten "Unheilbar gibt es nicht" geschrieben?
Mein großes Anliegen ist es, Gesellschaft zu verändern. Das ist mein Lebensziel. Ursprünglich wollte ich ein Buch schreiben, wie soziale Systeme ticken, weil ich mir derzeit viele Gedanken um unsere Gesellschaft mache. Ich habe das Gefühl, dass unsere Gesellschaft in einer sehr schwierigen Phase steckt: Kollektive Werte lösen sich auf, der Individualismus ist im Vormarsch. Doch Veränderung muss beim Einzelnen beginnen. Ich wollte im Alter immer ein Philosoph sein. Erkenntnis aus dem Leben weitergeben und nicht wieder aus anderen Büchern abschreiben und zusammenfassen.

Sie sprechen offen über Ihre Krankheiten. Wie Sie im Alter von 26 die Diagnose Multiple Sklerose erhalten haben, später im Leben in eine schwere Depression gerutscht sind. Fällt es Ihnen schwer, Ihre Krankheit und gemachte Fehler im Leben öffentlich zu thematisieren?
Ich bin generell offensiv, emotional und oute mich auch. Ich glaube, es ist gut und notwendig, Schwächen zu zeigen und zu sagen: mea culpa – ich habe einen Fehler gemacht, anstatt ständig zu verdrängen und Dinge zuzuschütten. Selbsterkenntnis war sehr wichtig für das Verarbeiten meiner beiden lebensbedrohlichen Krankheiten. Jetzt bin ich einem Alter, in dem ich auch über mich lachen kann und wo ich mit einer gewissen Leichtigkeit feststelle, da oder dort war ich vor 20 Jahren einfach deppert.

Wie lautet Ihre Botschaft an all jene Menschen, denen es jetzt im Augenblick hundsmiserabel geht?
Gib ja nicht auf! Denn das sind die Muster im Hirn, die dazu führen, dass du noch mehr runterbrichst. Die schlimmste Aussage in diesem Zusammenhang überhaupt, hat erst kürzlich ein Freund mir gegenüber getätigt: "Ich bin austherapiert. Die Mediziner können mir bei meiner Parkinson-Krankheit nicht mehr weiterhelfen."

Was haben Sie ihrem Freund geantwortet?
Ich muss Wirkung, und ich muss Veränderung erzeugen. Und ich muss meinen Hintern bewegen. Es braucht den Willen, Vertrauen, System und Plan um eine Krise zu überwinden. Ich bin kein Esoteriker und glaube, es reicht, wenn wir nur alle lieb und gut zueinander sind. Ich mache auch keine neue Medizin. Ich denke den Menschen vollkommen neu, versuche ihn in seinem Ganzen zu erfassen. Wenn mir das gelingt, kann ich Dinge, die mich belasten, entschlüsseln und überlegen, wie ich das ändere.

Wie steht es mit Ihrem Verhältnis zur Schulmedizin?
Das ist geteilt. Ich akzeptiere die ausgesprochen positiven Errungenschaften, aber es gibt den Grenzbereich der Vermarktung von Medizin, den ich ablehne. Meiner Meinung nach steht da nämlich der Konsum im Mittelpunkt. Ich lehne zudem das Medizin-Mann-Denken ab: Der Arzt, der autoritär dem Patienten erklärt, wie die Welt funktioniert. Ein echter Mediziner muss einen Dialog auf gleicher Augenhöhe führen. Da gibt es aber noch viele Defizite.

Was tun Sie selbst um nicht in alte, falsche Muster und Verhaltenweisen zurückzufallen?
Ich denke regelmäßig über folgendes nach: Wie lautet der Qualitätsanspruch in meinem Leben, bin ich noch zufrieden, wo stehe ich. Dazu ist es gut, einmal im Jahr eine der Fastenzeiten einzuhalten, sich in sein eigenes inneres Kloster zu begeben. Ich führe zudem eine Art Tagebuch, in dem ich plane und aufschreibe, was ich für ein ausbalanciertes Leben brauche. In jeder Firma ist von Controlling und Finanzplänen die Rede. Ich stelle die Frage: Wo ist der Plan des Lebens? Damit ich nicht abrutsche. Ich plane heute meine Auszeiten und mache mir Gedanken über die nächsten drei Jahre. Mir hilft das, aber ich bin deshalb nicht gänzlich davor gefeit, dass es mich nicht wieder einmal niederhaut.

Die sieben Säulen der Lebensqualität

„Unheilbar gibt es nicht“ ist kein Buch, das sich ausschließlich nur an kranke Menschen richtet.

Ich kann niemanden heilen, das muss jeder selber machen“, schreibt Autor Helmut Retzl in seinem Buch. Von Wunderheilern und leeren Versprechungen hält er nichts. Das ist die Stärke von „Unheilbar krank gibt es nicht – Das Selbsthilfeprogramm für Krisenfälle“.

Hier gaukelt kein Rattenfänger eine Wundermethode vor. Da spricht einer, der selbst dem Tod zwei Mal von der Schaufel gesprungen ist, zwei schwere Krankheiten in Schach hält und trotz der Diagnose „Multiple Sklerose“ (MS) regelmäßig auf den Pöstlingberg und den Schoberstein steigt.

Der Wille kann, so wie der Glaube, Berge versetzen, und das ist nach der Retzl-Methode die Grundvoraussetzung, um Schritt für Schritt schwere Krankheiten und Lebenskrisen zu überwinden. „Was wirkt, ist wirklich“, sagt der Autor und hütet sich davor, über Menschen zu urteilen, die sich in ihrer Verzweiflung möglicherweise der Astrologie oder der Esoterik zuwenden. Das Buch ist auch für Leser interessant, die sich gegenwärtig wohlfühlen, mit ihrem Leben zufrieden sind. Ein zentrales Element ist für den Autor die Lebensqualität, die auf sieben Säulen ruht. Die Freiheit, das Denken oder der Dialog sind unter anderem das Fundament für Lebensqualität. „Worum geht es wirklich“? Diese Frage stellt der Autor seinen Lesern.
Das Buch von Retzl ist an vielen Stellen knallhart und doch sympathisch, weil das Scheitern, das zum Menschen gehört, immer wieder ein Teil des Wegs ist. Retzl macht auch aus seinen eigenen Fehlern keinen Hehl. Ein Buch, das Mut macht und zu Veränderung animieren will.    (dmf)

„Unheilbar gibt es nicht“, Helmut Retzl, Goldegg Verlag, März 2014, 300 Seiten, 19,95 Euro

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Ameise (45.683 Kommentare)
am 18.05.2014 16:33

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