Zweihundert Hände und ein urgewaltig tönendes Ganzes
Es beginnt ganz harmlos, mit ein paar tiefen, repetitiven Tönen. Immer mehr der 100 Pianisten an 33 Klavieren greifen in die Tasten, die zu beiden Seiten und auf der Bühne angeordnet das Publikum umschließen.
Höhere Töne legen sich über dunkles Pochen, mischen sich zu dichten Klangflächen, die an den Wänden hinaufzukriechen scheinen, das Klavier als Klangquelle in den Hintergrund treten lassen.
Wenn Gesamtkünstler Hermann Nitsch eine Sinfonie komponiert, ist schon vorab klar, dass es keine im herkömmlichen Sinn sein wird. Nicht nur, weil sein Werk, auf Anfrage des Linzer Komponisten und Landeskulturpreisträgers Georg Nussbaumer, für 100 Pianisten an 33 Klavieren und einen Synthesizer konzipiert ist. Hundert Klavierschüler des Landesmusikschulwerks brachten sein tönendes Opus Magnum und seine „Zehnte“ am Sonntag im Ursulinensaal in Linz zur vielbejubelten Uraufführung.
Hundert Augenpaare sind auf den Dirigenten und zwei seitliche Monitore gerichtet, die Konzentration steht den jungen Musikern ins Gesicht geschrieben. Weniger am Pult denn erhöht wie auf einem Thron für alle sichtbar, waltet Dirigent Peter Jan Marthé seines Amtes: Mit Taktstock und weißem Handschuh einem wild gestikulierenden Dirigenten-Magier gleich, deutete der gebürtige Wiener und Mitbegründer des European Philharmonic Orchestra die Ziffern eins bis drei – die Einsätze für den jeweiligen der drei Pianisten pro Klavier.
Hochaufmerksam folgen die Musiker seinen Gesten, um das Klangrauschen heranrollenden Meereswellen gleich an- oder abschwellen oder ganz verstummen zu lassen, wenn nach jedem Satz ein langes, monotones Synthesizer-Surren ein weites Klangfeld vor dem Zuhörer ausbreitet.
Ein urgewaltig tönendes Ereignis, dem viele mit geschlossenen Augen lauschen. Dem eruptiven Akkord-Donner, der sich wie ein Gewitter entlädt. Orgelähnlichem, in die Magengrube kriechendem Dröhnen. Hohem Surren wie ein Insektenschwarm.
Gen Ende geschieht etwas Unerwartetes: Eine schlichte Melodie erklingt. Aber nicht lang. Am Ende ist alles eins, ein großes tönendes Ganzes.