"Irrational Man": Ein Moralist genießt seine Mordlust
Joaquin Phoenix überzeugt in Woody Allens "Irrational Man" als Philosoph der Extreme.
In Frauenzeitschriften wurde dieser Umstand des Menschseins schon so oft analysiert, dass man davon gar nichts mehr hören, geschweige denn sehen will.
Ja, wir wissen es: Der moderne Mensch versucht Verstand, Vernunft und Intellekt mit Begierden und Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Aber durch die Zwänge des Alltags bleibt die "Work-Life-Balance" immer bloß ein Versprechen, keine Tatsache.
Wie abgedroschen es wäre, im Kino eine Geschichte über eine Frau zu erzählen, die beim Finden der Mitte strauchelt, war Woody Allen klar. In "Irrational Man" interessiert sie den Regiemeister absolut nicht. Was er bietet, ist von seiner typisch, leidenschaftlichen Ironie getragen, untermalt von locker daherströmendem Swing, und erzählt von einem Mann, dessen Leben kein witziger Drahtseilakt ist. Sondern zwei aufeinander folgende Abstürze in Extreme.
Abe Lucas, verkörpert von Joaquin Phoenix, startet als Philosophieprofessor an einer neuen Uni. Und in dieser Umgebung, in der sauberer Intellekt und (für die Kamera) wunderschön erleuchtete Herbsttage alles sind, ist er von einem schmutzigen Geheimnis gezeichnet. Der Moraltheoretiker ist dem Grübelzwang erlegen, verzweifelt an den hohen, nie zu erlangenden Lebensideale "seiner"" Denker. Seine Erkenntnistheorie: Zu Papier gebrachte Kopfarbeit ist "verbale Masturbation".
Wer Phoenix ("Walk The Line") kennt, wird ahnen, wie einnehmend er die Figur eines Depressiven lebt. Sein ständig am Flachmann voll Scotch nippender Abe sieht aus, wie durchgekaut und ausgespuckt, als würde er im Wanken gleich einschlafen.
Doch dank seiner Studentin Jill kann er auch anders – befreit bis zum Gehtnichtmehr. Die süße, optimistische, von Emma Stone gespielte Frau, bringt ihn aber nicht mit Sex zur Räson. Nein, sie legt unabsichtlich das Böse im Romantiker frei, kriminelle Energie, die gleich in Mordlust gipfelt ... Die er dank seines wachen Geistes auch als Glanztat argumentieren kann. Das ist nur eine vieler starken, überraschenden Wendungen.
Das einzige Problem ist, dass – typisch Allen – Sex und allerlei Zwischenmenschliches auch noch wichtig werden. Hier wollte er seiner neuen Muse, Stone, Gutes tun, und vielleicht mit der Betrachtung von alten Männern und jüngeren Frauen auch sich selbst. Aber die immer verliebt grinsende Jill wird damit bloß eines: zur Karikatur.
Irrational Man: USA 2015, 95 Min., Regie: W. Allen
OÖN Bewertung: