Neujahrskonzert 2025: Oh du welttröstende Walzerseligkeit!
WIEN. Was für ein Auftakt zum Strauss-Jahr! Ein Stück kleine, heile, in einer Schneekugel eingeschlossene Walzerwelt bot sich am Mittwoch im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins beim 85. Neujahrskonzert.
Ebenso wagte man den ersten zarten Walzerschritt in Richtung Geschlechterparität im Programm. Riccardo Muti stand zum siebenten und letzten Mal am Pult. "Frieden, Brüderlichkeit und Liebe auf der ganzen Welt", wünschte sich der Maestro auf Italienisch.
Heute kaum vorstellbar, aber lange wollten die Wiener Philharmoniker nichts mit dieser "wienerischsten" Unterhaltungsmusik von Johann Strauss (Sohn) zu tun haben. Aber das ist längst Wasser unter der Donaubrücke. Heuer, in den ersten Stunden des Strauss-Jahres, anlässlich seines 200. Geburtstags begangen, wurden ganze acht seiner Kompositionen gespielt - die traditionelle Zugabe des "Donauwalzers" noch gar nicht eingerechnet.
Musik gegen die Trübseligkeit
Dem Vater hatte der "Schani" viel zu verdanken. Längst vergessen ist, dass der Alte mehr als nur den "Radetzky-Marsch" komponierte (der natürlich als Zugabe gespielt wurde). Die Wiener Philharmoniker eröffneten das Konzert nicht mit einem Werk des Jahresregenten, sondern mit dem triumphierenden "Freiheits-Marsch" von Johann Strauss Senior, der mit seiner Musik "so manche Sorge verscheucht hat", wie es der Sohn einst ausdrückte. Die Melodien der "Sträusse" sind schließlich eine welttröstende. "Musik ist die beste Medizin für die Seele", meinte der Maestro schon im Vorfeld bei einer Pressekonferenz.
Das letzte Mal, als der Neapolitaner am Neujahrspult stand, war wegen der Pandemie kein Publikum im Saal zugelassen. Heute bot sich ein anderes Bild. Der 83-Jährige warf den Gästen vielleicht keine "flammenden Blicke" wie der Johann zu, aber in manch Augenblick wirkte der Stardirigent wie die charmante Reinkarnation des Walzerkönigs. Der Maestro ist ein routinierter, geschmeidiger und verspielter Taktstockmeister, der das Orchester bis dato über 500 Mal dirigiert hat, darunter sechs Mal am 1. Jänner.
"Luftig und duftig" wie ein Profi-Surfer
Auf jeden Fall war in seinem Neujahrskonzert ein ausgeprägter Hauch von Hoffnung zu spüren. Nicht ohne zärtliche Melancholie, aber schwerelos, und mit ganz viel Sehnsucht spielte er den Walzer "Wein, Weib und Gesang". Wie ein Profi-Surfer ritt er auf den Klangwellen des "Lagunen-Walzers". Mit Neuwiener Elan hüpfte die "Demolirer-Polka" dahin. Den Strauss-Brüdern Josef (filmreif der Walzer "Transactionen") und Eduard ("Luftig und duftig" könnte auch das Motto des Morgens lauten) huldigte er ebenso, wie dem Komponisten Joseph Hellmesberger - mit dem graziösen Marsch "Fidele Brüder".
Das Wiener Staatsballett tanzte in einer Choreographie von Cathy Marston über die Strauss'sche Polka "Entweder - oder!" und den schwungvollen "Accelerationen-Walzer", der das Orchester lautmalerisch zu stampfenden Maschinen im Zeitalter der technischen Revolution werden ließ. Der Schani war eben immer auch ein Chronist seiner Zeit. Natürlich durften auch Hits wie die spritzige "Annen-Polka" und die pfefferige "Tritsch-Tratsch-Polka" nicht fehlen.
Eine Strauss-Odyssee und eine Frau
Bei diesem weltweit meistgehörten und -gesehenen Klassikkonzert wird nicht nur die österreichische Identität gestreichelt. Aus dem Spektakel ist längst ein wirtschaftlicher Faktor geworden. Das Konzert wurde via Fernsehübertragung in knapp 100 Länder ausgestrahlt. Auch der ORF-Fernsehfilm stand ganz im Zeichen des Walzerkönigs: Barbara Weissenbeck lehnte sich augenzwinkernd an Stanley Kubricks Sci-Fi-Klassiker "2001: Odyssee im Weltraum" an - mit Thomas Strauss, dem Ururgroßneffen von Johann Strauss (Sohn), der das Leben seines Vorfahren erforscht.
Im zweiten Teil erklang zum ersten Mal und endlich bei einem Neujahrskonzert das Werk einer Frau, der "Ferdinandus-Walzer" von Strauss' Zeitgenossin Constanze Geiger, die eine seelenvolle Weichheit besessen haben muss und perfekt in den "Männer-Club" passt.
Yannick Nézet-Séguin dirigiert 2026
Ein Hauch von Realität wehte dann doch in diese "vergoldete Schneekugel", schließlich war auch die heimische Politprominenz vertreten, so auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der frisch von den Koalitionsverhandlungen, und in Begleitung des schwedischen Premierministers Ulf Kristersson erschien.
Dann, zum Schluss, das "Crescendo" eines jeden Neujahrskonzerts: Das sphärische Streichertremolo zu Beginn des "Donauwalzers", dem ersten Schlager der Musikgeschichte. In seinem Bemühen um künstlerische Vervollkommnung war Johann unermüdlich. "Das Publikum besucht ein Strauß-Concert in der Erwartung heiter gestimmt zu werden", schrieb er. Die Erwartungen wurden vollends erfüllt. Das Publikum bedankte sich beim Orchester mit einem Wirbelsturm leidenschaftlicher Bravi-Rufe.
Und wie jedes Jahr ist nun auch das Geheimnis um den Dirigenten des Folgejahres gelüftet: der kanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin wird am 1. Jänner 2026 am Neujahrspult stehen.
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Danke Herr Redakteur, das bestätigt 100% meine Wahrnehmung. Obwohl ich in der Doku vor dem Neujahrskonzert nach dem Interview von Fr. Weissenbeck noch offen und gespannt war, was da kommt, war extrem enttäuschend, was daraus geworden ist. Solche Experimente sind sehr gefährlich für die Institution Neujahrskonzert. Nach zig Konzerten mit einem beeindruckenden Resümee war dieses Mal das „Rahmenprogramm“ sehr enttäuschend.
Ganz wichtig auch, dass unsere so erfolgreichen Politiker einen freien Platz bekommen haben.
Für mich eines der schlechtesten Neujahrskonzerte der letzten Jahre.
Die Vorstellung mit dem Raumschiff war ohnehin Sinnentleert, wem so etwa einfällt Österreich so schwach zu Präsentieren.
Der Wokismus macht auch hier nicht halt