Tolle "Vierte", und ein verzichtbarer zweiter Teil
Bei der ersten Matinee der Saison, die im Zeichen Bruckners stand, war am Sonntag mit Neeme Järvi einer der ganz großen Dirigenten unserer Zeit zu Gast.
Mit seinem Eesti Riiklik Sümfooniaorkester ist er auf Tournee durch Österreich, Deutschland und Tschechien und präsentiert dabei seine sehr zügige und von allen pathetischen Anhängseln befreite Lesart von Bruckners IV. Symphonie. Oberstes Gebot war die Durchhörbarkeit vieler rhythmischer und melodischer Details, die sonst gerne untergehen, wie auch der Fokus auf die fein musizierenden Holzbläser. Das Staatliche Symphonieorchester Estlands war höchst präsent und ließ seinen Chefdirigenten aus einer Vielfalt erlesener Klänge wählen, was Bruckners "Romantischer" sehr direkt ansprechende Momente gewährte.
Enttäuschende zweite Hälfte
Leider ließ man das restliche Tourneeprogramm – u.a. Sibelius’ Violinkonzert – unbeachtet und flog extra den hervorragenden Estnischen Männerchor (Eesti Rahvusmeeskoor) ein, der mit grandiosem Klang Bruckners bei weitem nicht so gloriosen symphonischen Chor "Helgoland" intonierte. Ein typisches Herrenchorstück, von nationalem Überschwang und sich prustender Männerbrust geschwängert. Kein Wunder, dass es kaum aufgeführt wird. Davor noch das "Volkfests-Finale" der IV., das nicht zu Unrecht von Bruckner wieder gestrichen worden ist. Grandios die Draufgabe – die Männerchorkantate "Põhjarannik" des estnischen Nationalromantikers Villem Kapp. (wruss)
Fazit: Eine grandiose vom Großmeister Järvi hervorragend und beinahe jugendlich frisch interpretierte IV. Symphonie und ein zweiter Teil, der nicht hätte sein müssen.