Katastrophe auf dem Dachstein
OBERTRAUN. Beim größten Lawinenunglück der vergangenen Jahrzehnte auf dem Dachstein starben gestern fünf Schneeschuhwanderer.
Die Wintersportler aus dem Bezirk Brünn (Tschechien) wurden gegen 9.20 Uhr unterhalb der Randkluft des Hohen Dachsteins auf 2800 Metern Seehöhe von einem 200 Meter breiten und 400 Meter langen Schneebrett erfasst und verschüttet. Keiner von ihnen hat überlebt.
Am Samstag hatten sie in der Seethalerhütte am Rand des Dachsteingletschers eingecheckt: Andrea G. (37) und ihr Verlobter Marek V. (46) waren "Hausgäste". Diesmal kamen sie in Begleitung von drei Bekannten: Iveta S. (30), Dagmar L. (27) und Lukas Z. (28). "Eigentlich wollten sie schon am Samstag aufbrechen, wegen des stürmischen Windes haben sie sich das aber ausreden lassen", berichtet Hüttenwirt Wilfried Schrempf.
Samstagabend hatten sie bis gegen 22 Uhr Karten gespielt, dann gingen sie zu Bett. Am Sonntag um 7 Uhr hatten sie gefrühstückt, "gegen 8 Uhr sind sie bei herrlichem Wetter los", sagt Schrempf. Er habe sie auf das Risiko hingewiesen: "Wir haben Lawinenwarnstufe 3, in der Nacht kam es zu starken Schneeverwehungen im Bereich der Randkluft." Wegen des Gletscherrückgangs der vergangenen Jahre sei der Bereich steiler geworden. "Die Hangneigung beträgt 45 Grad, da kann sich Neuschnee leicht lösen." Doch diesmal ließen sich die fünf nicht abhalten: "Sie waren gut ausgerüstet, Lawinenpiepserl hatten sie aber nicht mit."
Gegen 9.20 Uhr entfernte Schrempf mit der Fräse gerade den Neuschnee vor dem Eingangsbereich. "Da hat mich der Wirt von der Simonyhütte angerufen, dass eine große Lawine in der Randkluft abgegangen ist." Sofort machte sich Schrempf mit dem Skidoo auf den Weg. "Wie ich die Schneemassen gesehen habe, war mir klar, dass etwas Schlimmes passiert sein musste", sagt er. Unverzüglich alarmierte er die Einsatzkräfte. Die Bergrettungen aus Hallstatt, Obertraun und Ramsau, die Alpinpolizei, drei Hundeführer des Bergrettungsdienstes, drei Notarzthubschrauber und je zwei von Bundesheer und Innenministerium waren im Einsatz, insgesamt hundert Mann.
Gruppe hat Schneebrett selbst ausgelöst
Lawinenhunde konnten die ersten drei Verschütteten nach eineinhalb Stunden orten, "mit einer Sondierkette gelang es auch, die beiden anderen zu finden", sagt Christoph Preimesberger, Leiter der Bergrettung O.Ö. Die Opfer waren 80 Zentimeter tief verschüttet. Gegen 11.10 Uhr wurde der Einsatz beendet, die Toten wurden nach Hallstatt gebracht. Über die tschechische Botschaft wurden die Angehörigen verständigt. "Die Stimmung unter den Gästen ist sehr bedrückt", sagt Schrempf. Viele seien Landsleute der Opfer.
Die fünf Schneeschuhwanderer haben die Lawine selbst ausgelöst. Das berichtete Christoph Preimesberger, Landesleiter der oberösterreichischen Bergrettung und Leiter der Bergrettung Hallstatt, der APA. Das ergebe sich aus Zeugenaussagen, der Position der Gruppe und der Abrisskante.
Zwei weitere Tote durch Lawinen
Auch in Niederösterreich und Kärnten gab es am Wochenende tödliche Lawinenunglücke. Zu Mittag hatte sich gestern im Großglocknergebiet ein Schneebrett gelöst. Ein 33-jähriger Polizist, der an einem Skikurs des Landespolizeidienstes Kärnten teilnahm, wurde teilweise verschüttet. Er erlitt so schwere Verletzungen, dass er noch an der Unfallstelle starb.
Bereits am Samstag war ein 27-jähriger Skitourengeher alleine auf dem 1766 Meter hohen Großen Göller im Bezirk Lilienfeld unterwegs. Dabei dürfte er laut Polizei ein Schneebrett losgetreten haben, das den Niederösterreicher aus dem Bezirk Baden etwa 400 Meter mitriss und verschüttete. Als er nicht heimkehrte, verständigten Angehörige Sonntagfrüh den Notruf. Die Bergrettung barg den Mann, der tödliche Verletzungen erlitten hatte, aus der Lawine.
1954 starben 13 Menschen auf dem Dachstein
OBERTRAUN/HEILBRONN. Am 15. April 1954 brachen zehn Schüler und vier Begleiter zu einer Wanderung auf dem Dachstein auf. Nur eine Frau kehrte lebend zurück.
Mit zehn Schülern wandert Lehrer Hans Georg Seiler gemeinsam mit drei weiteren erwachsenen Begleitern am Gründonnerstag 1954 in Richtung Schönbergalm. Begleiterin Hildegard Mattes steigt von dort ins Tal ab, weil die Verwandte in St. Wolfgang besuchen möchte. Diese Entscheidung rettet ihr Leben.
Trotz mehrerer Warnungen setzt Lehrer Seiler die Wanderung mit der verbleibenden Gruppe fort. Auf dem Dachsteinplateau geraten sie in einen Schneesturm, der all ihren Spuren verwischt.
Am Karfreitag beginnt die bis dato größte Suchaktion der alpinen Geschichte. Neun Tage lang verhindert das schlechte Wetter jeden Fortschritt bei der Suche. Am 24. April bessert sich die Witterung und die Einsatzleiter schicken mehr als 350 Helfer auf den Berg. Sie durchkämmen die Schneewüste in der Hoffnung auf ein Wunder. Die Hoffnung war vergebens: Noch am selben Tag werden die ersten neun Leichen gefunden. Am 28. Mai, sechs Wochen nach dem Karfreitag, werden die letzten beiden Vermissten auf dem Dachstein entdeckt.
Bergunglücke seit Februar
- 23. Februar: Eine Nacht lang in einer Felswand am Spitzlstein etwa 200 Meter oberhalb des Traunsees musste ein Tscheche (33) wegen Sturms ausharren. Er konnte leicht unterkühlt gerettet werden.
- 22. Februar: Ein Bub (6) aus Tschechien stürzte auf dem Rückweg von der Drachenwand bei Sankt Lorenz vor den Augen seiner Mutter in den Tod.
- 22. Februar: Ein Strauch bewahrte eine Deutsche (23) am Krippenstein vor dem Fall in eine Doline. Sie konnte gerettet werden.
- 16. Februar: Ein 37-jähriger Familienvater aus Desselbrunn (Bezirk Vöcklabruck) stürzte auf der Südseite des Traunsteins 500 Meter in den Tod.
- 15. Februar: Eine Wienerin (26) stürzte am Krippenstein rund 80 Meter über steiles Gelände ab und konnte gerade noch gerettet werden.
- 13. Februar: Eine zwölfköpfige Schülergruppe verirrte sich mit ihrem Lehrer am Krippenstein und musste von der Bergrettung gerettet werden.
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